Der Weg zum «Rheinländischen Hausfreund»
 

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Das Gymnasium illustre in Karlsruhe hatte schon 1750 vom Markgrafen Karl Friedrich die exklusive Berechtigung erhalten, neben den Schulbüchern auch einen Kalender herauszugeben. Dieses Privileg brachte zunächst einen jährlichen Gewinn ein; gegen Ende des Jahrhunderts ging der Absatz jedoch mehr und mehr zurück. Ausländische Kalender liefen dem «Kurfürstlich badischen gnädigst privilegierten Landkalender für die badische Markgrafschaft lutherischen Anteils» den Rang ab - nicht nur in Bezug auf den Titel, der nach Hebel nichts enthält als die treuherzige Warnung: "Kaufe mich nicht."

Auch Inhalt, Druck und Papierqualität entsprachen nicht dem, was der Käufer von einem Kalender erwarten durfte. Als sich die Polizei der Verteilung an die Kaufunwilligen annahm, kam es vereinzelt zu Widerstand, der unerwünschte Amtsdiener wurde fortgejagt, und nur auf Anordnung des Markgrafen unterblieb eine Untersuchung gegen die «Rebellen».

In dieser Situation setzte Staatsrat Brauer eine Kommission ein, der auch Hebel angehörte. "Wo es etwas zu arbeiten gibt, muß ich dazu, und ärgere mich darüber. Warum soll ich denn von allem haben? Aber wenn man mich ein einzig Mal verschont, so nehme ichs übel und meine, man halte mich nicht für tüchtig dazu."
Getreu seinem Leitsatz: "Du sollst dich bemühen, all deinem Werk und Tun das Siegel der Vollkommenheit zu geben!" hat Hebel sich diese Sache zur eigenen gemacht - und wie!
Schon 1802 hatte er in einem Brief angemerkt: "Das Konsistorium schreibt vor, und viele Köche versalzen den Brei", und im Frühjahr 1806 überreichte er der Oberschulbehörde ein

Unabgefordertes Gutachten über eine vorteilhaftere Einrichtung des Calenders (18. 2. 1806).

Auf dieses Gutachten folgte eine

Gegenexpertise von Finanzrat K. F. V. Jägerschmidt (März 1806)
,

dem bis dato verantwortlichen Redakteur, die Hebel im Juni 1806 mit einer zweiten, diesmal «abgeforderten» Denkschrift beantwortete:

Meine weitern Gedanken über eine vorteilhaftere Einrichtung des Calenders (17. 6. 1806).

Mit einiger Verzögerung

"konkludierte" das Konsistorium (11. 1. 1807)
,

Hebels Forderungen zu genehmigen und die «Redaktion dem Kirchenrat Hebel, der nicht allein alle hierzu erforderlichen Kenntnisse, sondern auch und insbesondere die seltenere Gabe, das Volk auf eine angenehme und faßliche Art zu belehren, zu übertragen».

Hebel übernahm den Auftrag, ein einladenderer Titel war bald gefunden: Rheinländischer Hausfreund, und die Titelvignette, die den Hausfreund unter dem zuhörenden Landvolk zeigt, hat Hebel wahrscheinlich selbst entworfen:


"Ich stehe schon dieses Jahr auf der Vignette, ich bin der Sprechende..." (Brief an C. G. Haufe, August 1807) und
"Gib acht Mägdlein, und erschrick nicht vor dem rheinländischen Hausfreund. Denn wenn ich die Larve vor dir abziehe, — sieh, ich zieh sie ab — so steht dein eigener Hausfreund und Pathe vor dir..." (Brief an Wilhelmine Hitzig, Anfang Juni 1811).


Neben der Redaktionstätigkeit war er auch um das gefällige Äußere des Kalenders besorgt, der nun ganz zu seinem eigenen Werk wurde.

2 Schreiben an das Konsistorium (März und Mai 1807)


Und besteht beispielsweise in einem Brief unmissverständlich auf der Durchsetzung seiner Vorstellungen:

Schreiben an das Konsistorium (25. 5. 1807)

Das Konsitorium scheint jedoch gewillt zu sein, die Kosten in jedem Fall so niedrig wie möglich zu halten, bzw. scheut offensichtlich jedes Risiko. Dies ist Hebel aber nicht gewillt, so ohne weiteres hinzunehmen und insistiert zumindest auf eine bescheidene Verbesserung:

Schreiben an das Konsistorium (Juli 1807)

Dieser Kompromiß scheint akzeptiert worden zu sein und es folgen nun längere Zeit auch keine Konflikte mehr, denn:

Innerhalb von 4 Jahren hat sich die Auflage mehr als verdoppelt, der Kalender erreicht inzwischen über 100.000 Leser. Hebel hält mit Verdienst und Namen nun nicht mehr hinter dem Berg zurück und betont zugleich seine "Kunst" sowie die noch offenen Wünsche und Forderungen in seinem

Schreiben an Kirchenrat Theodor F. Volz, den Kalenderreferenten des Konsistoriums (8. 12. 1809)

Ebenso kritisiert er selbstbewußt und in ungewohnt scharfem Ton in einem Schreiben an das Großherzogliche Ministerium die Nachlässigkeiten von Druckerei und Verlag:

Schreiben an das Innenministerium (17. 9. 1811)

So äußerlich wie der Anstoß zu Hebels Kalenderredaktion war der Anlass, sie niederzulegen. Die Erzählung
"Der fromme Rat", die eines Lessingschen Nathan würdig gewesen wäre, erregte den Unwillen katholischer Landeskinder, die Antikatholizismus witterten. Der Generalvikar des Bistums Konstanz, Ignaz Heinrich Karl Freiherr von Wessenberg, schaltete sich ein, später gar noch der päpstliche Nuntius in Luzern und obwohl der Kalender die Zensur anstandslos passiert hatte, wurde die ganze Auflage des Jahrgangs 1815 zurückgezogen und erst nach dem Neudruck von zweimal 40 000 Blättern wieder ausgegeben.

Dazu z. B. der Brief vom 25. 10. 1814 an seinen "Adjunkten" C. F. Kölle. *

Der Handel mit Original-Exemplaren wurde mit einer Buße von 20 Talern bedroht — Hebel machte sich ein diebisches Vergnügen daraus, allen Freunden einen verbotenen und "für ans Fenster zu hängen" einen bereinigten Kalender zuzustellen.

Als Konsequenz sagte er: "In Zukunft schreib ihn wer will" und
"Der Calender ist nach einem alten prophetischen Emetikum von Kölle geworden ein Kahl-Ender"
.

Nachdem ihm von verschiedener Seite unterstellt wurde, er hätte trotz seines eindeutig bekundeten Rückzuges den Kalender für das Jahr doch wieder vollständig redaktioniert und alle geschichten darin geschrieben, sah er sich gezwungen, dies eindeutig zurückzuweisen:

Die 2 Anzeigen vom Dezember 1815 und 1816

Nur den Jahrgang 1819 hat Hebel noch einmal ganz redigiert - er war im Sommer 1817 in Baden-Baden der Königin von Württemberg vorgestellt worden, und dieselbe veranlagte, er solle einen Volkskalender für Württemberg verfassen. Der Plan zerschlug sich jedoch und so kam nun seine Arbeit ein letztes Mal dem «Rheinländischen Hausfreund» zugute.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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* Dieser Brief wurde erst in jüngster Zeit entdeckt und von der BLB digital online gestellt.
Auf dieser Website wurde der Text zum erstenmal überhaupt in transkribierter Form veröffentlicht.


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Konsistorium
 (von lat. consistorium = Versammlungsort, Versammlung):
bezeichnet in den evangelischen Kirchen ein Kirchengericht oder eine kirchliche Behörde.

konkludieren
: einen Schluss ziehen, schlussfolgern

Emetikum (von griechisch emetikó): bedeutet wörtlich „das brechreizende Medikament"