Weltbegebenheiten
(1815)
Reise nach Paris
Zweite Station
Es war der Anfang
einer herben und klemmen Zeit, als die Völker von Europa und halb Asien
wie ein Schneegestöber, nein, wie ein Wolkenbruch in die ehmals
rheinischen Bundeslande hineinregneten, und nicht der kleinste Teil
derselben zwischen dem Schwarzwald und Rhein sozusagen sich einklemmte,
und fast nimmer flott werden wollte, und es war dem Trost, daß man für
eine gute Sache aufopfere was man kann, nicht übelzunehmen, wenn er
zuletzt nimmer recht an den geschlagenen Gemütern anfassen wollte,
Östreicher, Bayern, Donische und Grebinskische Kosaken, Wirtenberger,
russische Kaisergarde, Frankfurter, Baskiren, Preußen, preußische
Garden, Darmstädter, Zekler Husaren und Fußvolk, Kirgisen, Sachsen,
Kalmücken und Wirzburger mit- und neben- und nacheinander tranken damals
Kriegskameradschaft am Rhein, und guten Teils aus des rheinländischen
Lesers Gläsern und Kannen. Die Großväter in 50 Jahren werden den Enkeln
etwas zu erzählen wissen, wie man einst uns erzählt hat von den paar
Warasdinern und Panduren, die zu seiner Zeit im Lande waren, zum
Beispiel vom Trenk. Endlich aber und um Weihnachten 1813 geschah es, daß
die Weltbegebenheiten wieder anfingen, laut zu werden und über den Rhein
zu gehen in die Schweizer Neutralität hinein, und in die Departementer.
Stand nicht auf einmal von Schaffhausen bis nach Mannheim eine Brücke an
der andern im Rhein, wiewohl mit gehörigen Zwischenräumen. Am 21.
Dezember brach am Oberrhein die große Schwarzenbergische Armee auf, und
bezog die Straße von Altkirch, Mömpelgard, Arcey, Vesoul, gegen Paris
zu. Bald waren alle französische Grenzfestungen eingewickelt, zum Teil
von geneigten Lesern. Mit Hüningen sprach man noch ein Wörtlein mehr. Am
30. stand schon ein östreichisches Feldpiquet von
40 000 Mann bei Genf, das Angesicht wendend nach Lyon. Am 31. ging
General Vorwärts, der geneigte Leser versteht's schon, General Blücher
mit der schlesischen Armee über den Niederrhein. Arn 15. Janner 1814
vereinigte er sich mit der großen Schwar-zenbergischen Armee. Am 18. war
das große Hauptquartier schon in Langres. Bald darauf wurde Chaumont,
bald darauf Bar sur Aube besetzt. Unter diesen Umständen löste und
schnellte sich von Frankreich ab, was nicht niet- und nagelfest war, und
kehrte feindliche Spitzen entgegen. An Spanien war nimmer zu denken.
Schon am 7. Oktober 1813 stand General Wellington auf französischem
Boden. Im November erklärte sich Holland für frei. Im Jänner ging der
König von Neapel, Prinz Murat, des Kaiser Napoleons vieljähriger
Waffengenosse mit 40 000 Mann zu den Alliierten über. Allen Gefangnen,
die in Frankreich gefangen waren, allen Ehrengardisten, die in den
losgeschälten Ländern daheim sind, fuhr das Sprüchlein des Propheten
Jesaias in die Beine, Jesaiä am 13.: „daß ein jeglicher zu seinem Volk
umkehren, und ein jeglicher in sein Land fliehen wird." Endlich traten
auch die Dänen über. Ganz Europa war jetzt gegen Frankreich verbündet.
Niemand vermochte in dem großen Kampf um das Schicksal des Weltteils und
um die Zukunft neutral zu bleiben, außer die Schweizer und der Türk.
Mancher geneigte Leser dachte auch wieder einmal: „Jetzt bringt's der
Napoleon nimmer auf. Jetzt darf man nur nach Paris hineinspazieren, und
ein Wort mit ihnen reden, und es ist gut, daß man den Zorn des heiligen
Krieges schon im Blut hat, damit man nicht zu glimpflich gegen sie
verfahre, wenn sich keiner wehrt." — Fehlgeschossen! Der Franzos,
wiewohl er im Notfall Beine hat, und Gelenke drin, so gut als einer,
will doch nie den Namen haben, daß er besiegt sei, wenn er nicht muß,
nicht einmal wenn er es ist. Der Franzos ist stolz auf seinen Namen, und
eifersüchtig auf die Ehre seiner Nation, und nie mehr, als wenn es den
ändern vorkommt, daß er's am wenigsten Ursache habe. Das Unglück beugt
ihn nicht, es macht ihn watz. Er ist gleich einem Bergbach, dem man den
Lauf verbauen will. Desto brausender überlauft er, oder bohrt sich ein
anders Rinnsal, ja wie ein Feuerstein, je besser man ihn trifft, je
besser sprühen die Funken. Das Dörflein darf verbrennen, Arm und Bein
darf zerschmettert werden. Wenn's nur halbwegs aussieht, daß man gesiegt
habe, oder daß man wenigstens nur verraten, aber nicht überwunden sei,
oder daß ein einziger ungeschickter Korporal einen dummen Streich
gemacht habe. Also vermehrten sich jetzt täglich von allen Straßen her
Napoleons Streitkräfte, und aus allen Häusern heraus wuchs junge
Mannschaft, wie der Rhein durch soviel Bäche aus allen Tälern anschwillt
im Frühjahr, und immer voll bleibt, so er doch immer abläuft. Galt es
nicht schon den 1. und 2. Februar bei Brienne und Rothier in ernsthaften
Meinungen. Das ist das nämliche Brienne, wo die Kriegsschule war, wo
Napoleon das Metier gelernt hat. Hernach hat er sich eine gute
Kundschaft gemacht, und viel Arbeit geliefert bis zu den Jahren
1812-1814. Im Jahr aber 1814 lagen seine Feinde in dem nämlichen Brienne,
und in seiner eigenen Lehrstube, und der nämliche Napoleon mußte den Ort
beschießen und anzünden, trotz, daß er ein eigenes Haus darin hat, wo
die Obsthändlerin wohnt. - Der gelehrsame Leser des Hausfreunds ist
durch ihn mit der halben Welt bekannt. - Nichtsdestoweniger war seine
Seide soviel als ausgesponnen, und das Heer der Alliierten rückte tapfer
nach Troyes vor. Von dieser Zeit aber gingen gleichwohl gar seltsame
Märsche und Stellungen zwischen den Armeen vor, und es begann auf allen
Punkten eine Reihe blutiger und fruchtloser Gefechte mit denen der
Hausfreund den geneigten Leser nicht aufhalten will, weil doch die Sache
bleibt, wie sie ist. Nicht alle Siegesboten kamen an Ort und Stelle an.
Auch ward nicht alle Tag frisch gebacken. Eher noch wurden von Zeit zu
Zeit die Better wieder angezogen - frischer Schnee. Indessen ging es
doch immer näher zum Ende, und die Schweden setzten sich auch in
Bewegung. Sollte Napoleon den Zepter verlieren, und Paris, die stolze
Stadt, dem Feinde die Tore öffnen, so mußte er wenigstens noch mit einem
kühnen Unternehmen seine Laufbahn beschließen. Ist er nicht auf einmal
mit 50 000 Mann zwischen den Stellungen der Schwarzenbergischen und
Blücherschen Armee herausmarschiert, und stand ungewarnter Weise dem
Feinde im Rücken. Es war ein bedenklicher Augenblick. Das Landvolk auf
der ganzen Linie vom Wasgau bis nach Lyon hinab stand im Begriff sich
für Napoleon zu bewaffnen. Alle Garnisonen in den eingeschlossenen
Festungen warteten nur auf Bericht, um durchzubrechen, und sich mit ihm
in ein furchtbares feindseliges Heer zu vereinigen, und vornean waren
auch noch Leute, z. B. der Marschall Marmont. Man kann nicht sagen was
in den nächsten 14 Tagen hätte geschehen können, aber desto herzhafter
was geschehen ist. Das Stündlein hatte geschlagen. War Napoleon kühn,
war der Alliierte schlau. Am 24. März vereinigte sich die große
Schwarzenbergische und die Blücherische Armee, zwischen den getrennten
Korps des Feindes, und statt dem Kaiser Napoleon nachzufolgen, was er
gerne gesehen hätte, gingen sie schnell auf den Marschall Marmont los,
und schlugen ihn mit kräftigem Schwert bis unter die Mauern von Paris.
Der furchtbare Donner der alliierten Kanonen ertönte schon in allen
Häusern und Palästen und Gemütern der großen Stadt voll Menschen und
eroberter Schätze. Zwei Jahre früher wäre einer ins Irrenhaus gekommen,
und das noch glimpflich. Aber es ist noch nicht aus. Soldaten und
Bürger, Invaliden und Knaben aus der Kriegsschule eilten auf die Anhöhen
die vor Paris liegen; eine Kanone stand an der ändern, und wartete auf
den Feind. Es hätte unterbleiben können. Denn am 30. gelang es der
tapfern preußischen Garde und einem braven Korps geneigter
rheinländischer Leser diese letzte Schutzwehr von dem Montmartre bis in
die Vorstädte von Paris herabzuwerfen. Das ist der Berg Montmartre, von
welchem einige Monate vorher Napoleon gesagt hat, daß wenn auch die
Feinde auf dem Montmarte stünden, so wolle er kein Dorf von Frankreich
hergeben. Er hat es auch gehalten. Ein anderer brachte noch selbigen
Abend um 4 Uhr die Kapitulation zustande. Damals hatte auf dem Pariser
Weg der letzte geschossen, vielleicht gar ein Tannenkircher, vielleicht
gar der Herr Stephan, ein guter Bekannter des Hausfreundes. Zog nicht am
31. vormittags um 11 Uhr Seine Majestät der Kaiser von Russland und
Seine Majestät der König von Preußen an der Spitze ihrer schönen
zahlreichen Garden in der Hauptstadt des französischen Kaiserreichs ein?
Es ist nicht anderst, das Federlein mag sich diesmal krausen, wie es
will.
[Die Fortsetzung folgt] |