zurück

Weltbegebenheiten   (1815)
 
Reise nach Paris

Dritter Teil. Aufenthalt und Ende

Als nun die beiden hohen Monarchen an der Spitze ihrer schönen und zahlreichen Garden in der Hauptstadt von Frankreich einzogen, damals war auch auf einmal ein anderes Liedlein los und eine andere Melodie. Auf allen Hüten schimmerte die weiße Königskokarde. Aus allen Kehlen, aus allen Fenstern rief es: „Friede! Friede! Es lebe Alexander! Es leben die Alliierten! Es leben die Bourbonen! Es lebe der König!" Der Hausfreund hat fast ein wenig wollen erschrecken, daß der Zeiger der großen Weltuhr wieder so auf einmal auf das Jahr 1789 zurückschnellte, wie man erschrecken mag, wenn man auf einem Kirchturm neben dem Uhrenhaus steht, und denkt an nichts. Auf einmal schießt es wie ein Zorn in das Räderwerk, als wenn das Jüngste Gericht und der Welt Ende durch den Kirchturm fahren wollte. Wenn es aber geschlagen hat, eins oder zwei, wird's auf einmal wieder stille, daß man fast vor der Stille erschrecken möchte, und nur der alte Perpendikel geht wieder fort, als wenn nichts geschehen wäre. Um das hätten die Franzosen nicht nötig gehabt einst vor allen Gemeindehäusern Freiheitsbäume und Gülliotinen aufzuschlagen. Ein und der andere geneigte Leser hätte auch nicht nötig gehabt sich auf das Morgenrot des goldenen Zeitalters zu freuen, wiewohl das Zeitalter war unterdessen rot genug. - Am folgenden Tag aber nach dem Einzug, als war der 1. April, ward schon eine neue Regierung im Namen des Königs aufgerichtet. Am 4. ward von dem Senat der Kaiser Napoleon des Throns für verlustig erklärt, das Erbrecht in seiner Familie aufgehoben, und Frankreich von dem Eid der Treue gegen ihn losgebunden. Der Kaiser Napoleon aber, als er die Begebenheiten in den letzten Tagen des Monats Märzen erfuhr, wie ein Blitz sich wendet, stand er wieder mit 70 000 Mann bei Fontainebleau 10 Stunden von Paris. Er wollte die Stadt noch retten. Zu spät! Sie war übergeben. Er wollte sie angreifen und zertrümmern. Vergebens! Seine Marschälle überzeugten ihn, daß er's nicht ausführen werde. Er entsagte der Regierung für seine Person mit Vorbehalt des Regentenrechtes für seinen Sohn. „Wie steht es", rief er dem Marschall Ney entgegen, als dieser mit der Antwort zurückkam. - „Nicht schlimm insofern", erwiderte der Marschall, „aber mit dem Regierungsrecht geht's nicht." - „Wo werde ich wohnen?" - „Wo es Euer Majestät belieben wird, zum Beispiel auf der Insel Elba." In Paris aber nahmen unterdessen die Freudenfeste und Gottesdienste und spitzigen Mißverständnisse unter den Truppen, die sich bisher immer nur mit Feindesaugen gesehen hatten, fast kein Ende. Am 7., als war der Grüne Donnerstag, ging mitten in Paris der König von Preußen zum teutschen Nachtmahl. Am 10. veranstaltete der Kaiser Alexander einen großen griechischen Kirchgang. Am 13. kam auch Se. Majestät der Kaiser von Ostreich in Paris an. Am 20. reiste Kaiser Napoleon von Fontainebleau ab. Am 27. wurde Waffenstillstand geschlossen, daß, da man zusammengekommen sei, um künftig in Freundschaft zu leben, so wolle man lieber gleich anfangen. Am 3. Mai kam der neue König Ludwig der 18. in Paris an. Er ist der Bruder
Ludwigs des 16., den im Jahr 1793 die Revolution enthauptet hat. Einundzwanzig Jahre lang waren die Bourbonen des Thrones ihrer Väter und der Heimat in Frankreich verlustig. Am
4. landete der Kaiser Napoleon auf der Insel Elba. Sie liegt im Mittelländischen Meere nahe bei Livorno, hat 7 bis 8 Meilen ins Geviert, zwei Städte und 12 bis 15 000 Einwohner, soviel als ein wohlgemessenes Oberamt. Dieses Landgütlein, man kann's so nennen, und das inwendige Vermögen seinem Schicksal mit dem Leben zu trotzen, ließ das Jahr 1814 einem Manne übrig, der so manches Jahr die Kaiserkrone von Frankreich auf dem Haupte und die Königskrone von Neapel, von Westfalen, von Holland und Spanien in den Händen getragen hatte, nicht zu reden von Italien, vom Schutz des Rheinischen Bundes bis an die böhmischen und polnischen Grenzen hinein, und von dem guten Einverständnis der 19 Kantone mit ihrem Vermittler, oder von andern Dingen. Seine Gemahlin aber bekam für ihren Sohn die Herzogtümer Parma und Piacenza in Oberitalien. Seine Brüder begaben sich auf mancherlei Reisen. Es ist ein Beispiel, bei dem man Gedanken haben kann. Endlich als alles in Ordnung war, am 31. Mai wurde der Frieden verkündet, der dem gegenwärtigen heiligen und allen vorhergegangenen unheiligen Kriegen ein Ende macht. Nämlich die französische Monarchie wurde wieder hergestellt im Umfange des Gebietes, wie sie gewesen war im Jahr 1792 und etwas Anständiges dazu. Die Staaten Deutschlands sollen unabhängig sein, und in einem Bund miteinander stehen. Die Franzosen behalten bis auf etwas weniges, was in den vorigen Kriegen mitgegangen ist, zum Andenken. Der heilige Krieg verlangt keinen Nutzen, auch keine Wiedervergeltung, sonst war's ein unheiliger. Das übrige wird auf einem Kongreß in Wien gefügt.

Das war ein merkwürdiger und unerwarteter Friedensschluß, der viele Menschen glücklich und froh gemacht hat. Denn es ging ein schönes Stücklein Europa auf einmal von Frankreich los, gleich als im Frühjahr, wenn das Tauwetter da ist, die Eistafeln von dem Ufer losgehen, die keine menschliche Kraft imstande wäre, also zu lösen, daß sie nicht brechen, nämlich das jenseitige Teutschland, die hanseatische Gebiete, ganz Holland, Östreichisch Niederland, etwas Schweiz, viel Italien, Illyrien, und aus mancher teutschen, holländischen, italienischen Festung, aus Mainz, aus Luxemburg, aus Mantua zog unbefleckt von Blut die weiße Kokarde aus.

Übrigens nähme mancher geneigte Leser und andere Europäer auch wieder an, was er im Jahr 1792 gehabt hat, und etwas Anständges dazu, ob er auch zurücklassen müßt, was er unterdessen am Kriege profitiert hat.

Auf das so gingen die Weltbegebenheiten bis auf ein weiters wieder auseinander. Es war aus. Elsaß und Lothringen hat nicht wollen losgehen.

Noch nie ist ein solcher Feldzug mit einer solchen Heeresmacht, angeführt von der Gegenwart und Eintracht dreier erhabener Monarchen in einer solchen Jahrszeit so glorreich unternommen und vollendet worden. Sind nicht die Heerscharen unter den Schneewolken des Dezembers und Jänners ins Feld gezogen und zur Kirschenzeit wieder dagewesen? Auch ist noch nie ein solcher Friede geschlossen worden, nicht mit dem Feind, sondern mit dem Freund.

 
 
zurück


           nach oben        




Das nach dem Faksimiledruck
von 1981 erstellte
Gesamtverzeichnis
der Kalenderbeiträge
1803-1826