Weltbegebenheiten
(1815)
Der
Rheinländische Hausfreund hat zwar schon seit dem 19. Oktober 1813 bis
zum 31. März 1814 wieder an seiner guten alten deutschen Pelzkappe
gebürstet und Schleißen abgelesen, und wiewohl die schönen goldenen
Schnüre dran und das goldene Quästlein schon lange herabgetrennt und
mitgegangen sind in den großen Abschlund, hat er sich doch herzlich
gefreut, wie er zum erstenmal nach soviel Jahren wieder darin erscheinen
will, und wie ihn seine geneigten Freunde und Landsleute fast nicht
kennen werden, bis sie ihn hören reden. Gleichwohl hat er den besten
Lust, und setzt das leichte fremde Hütlein noch einmal auf, und ein
lustiges Federlein drauf, weil alles so gut gegangen ist. Eine Kokarde
hat er nie getragen, trägt auch keine, sie sei denn deutsch. Denn auch
das Hütlein trägt er nicht von Herzen, sondern bald aus Mutwillen, bald
aus Unmut, bald aus Klugheit oder weil's Mode ist, und nobel aussieht.
Diesmal hauptsächlich, weil er mit seinen geneigten Lesern und den
Alliierten eine Reise nach Paris anstellen will.
Reise nach Paris
Erste Station
Ob wir gleich im Kalender 1814 die Weltbegebenheiten in Schlesien
verlassen haben, so wollen wir doch jetzt nicht mehr mit der Neuigkeit
großtun, daß der Kaiser Napoleon noch im August desselben Jahres
genötiget worden ist, seine Lorbeern in Schlesien ins Wasser zu stellen,
und Not zu wehren in Sachsen. Das französische Heer wurde damals
geschätzt auf 350000 Mann, ebenso groß das alliierte. Am 26. und 27.
Aug. war die Schlacht bei Dresden. In derselben erschien auch
russischerseits wie ein Auferstandener von den Toten, und wie ein Geist
Samuels der berühmte General Moreau, welchen der Kaiser Napoleon hatte
nach Amerika verwiesen und ließ sich gleich anfangs im Treffen zwei
Beine abschießen. Hernach ist er unter großen Schmerzen nach Böhmen
hineingeführt worden und dort unterweges gestorben, denn die Geister und
ihresgleichen erscheinen selten auf lange Zeit.
In der Schlacht selbst behauptete die Geschwindigkeit und Gegenwart
Napoleons und die Tapferkeit seiner Truppen den Besitztum von Dresden
und die Linie an der Elbe. Gleichwohl muß nicht viel an dem gewesen
sein, daß nach dieser Schlacht die Feinde eiligst durch die
Gebirgsschluchten nach Böhmen hineingeflohen seien und der Krieg soviel
als aus war. Denn von dieser Zeit an zog der Kaiser, wie einer der dem
überall eindringenden Wasser allein wehren soll, unsichern Planes von
einem Ort zum andern hin und her, und wurde von den Alliierten immer
mehr eingewickelt aber nicht in Baumwolle. Gen. Vandamme fand den Weg
nach Prag in Böhmerland schlecht und verirrte bis nach Sibirien hinein -
der Kronprinz von Schweden fand bei Jüterbock den Paß des General Ney
nach Berlin auch nicht gültig. Schon streiften die Alliierten im Rücken
der franz. Armee. Schon gegen Ende September erschien ein Korps
Alliierte in Kassel, der Hauptstadt des Königreichs Westfalen. Am 30.
reiste der Großherzog von Frankfurt in kirchlichen Angelegenheiten nach
Konstanz ab. Den 14. Oktober schälte sich Bayern vom rheinischen Bündnis
ab; 75 000 Östreicher und Bayern, welche vorher an ihren Grenzen
feindselig gegeneinander standen, zogen jetzt unter verschwisterten
Fahnen mit dem General Wrede gegen Frankfurt hinaus. Am 15. war die
französische Armee in und um Leipzig von allen Seiten umringt. Napoleon
soll damals noch 200000 Mann und 500 Kanonen beisammen gehabt haben,
nicht dazugerechnet 36 000 Mann die er in Dresden zurückgelassen hatte,
und was noch in so vielen Festungen zurück war. Mit jener Heereskraft
wollte er am
17. angreifen und sich Luft machen, nein er wurde am 16. von den
Alliierten angegriffen und befand sich nicht wohl dabei, 15000 Tote und
Verwundete, 2000 Gefangene, soll ihn dieser Tag gekostet haben. 45
Kanonen soll der Fürst Schwarzenberg, 55 der Kronprinz von Schweden und
General Blücher genommen haben. Am 18. ging die Schlacht von neuem an.
Viel gutes alliiertes Blut floß auch an diesem Tag, französischer noch
besser, 1200 Kanonen sollen in dieser Schlacht gewesen sein, 30 000 Tote
und Verwundete sollen das Schlachtfeld bedeckt haben. Ganze Regimenter
rheinischer Bundestruppen und Polen gingen während der Schlacht zu den
Alliierten über. Aber welche Verwirrung herrschte an diesen Tagen in
Leipzig, der schönen deutschen Handelsstadt, welche bebende Angst
zwischen Hoffnung und Furcht. Noch wußte man abends den Ausgang dieses
Treffens nicht, so nahe es war. Aber was die Nacht verbirgt, entdeckt
der Tag. Am 19. früh wurde noch französisch Viktoria geläutet. Aber die
Glocken wollten nimmer recht klingen. Um halb zehn Uhr verließ der
französische Kaiser die Stadt und als wenn er bald wieder zurückkommen
wollte ließ er 10000 Mann zur Verteidigung zurück. Bald waren die
Alliierten vor den Mauren. Um halb eilf begann der Sturm, man focht bis
in die brennenden Vorstädte hinein. Um zwölf Uhr zogen die hohen
Alliierten, der Kaiser Alexander, der Kaiser Franz, der König von
Preußen und der Kronprinz von Schweden mit türkischer Musik siegreich
und hochbegrüßt in der Stadt ein. Die ganze Besatzung, und was sich
sonst verspätet hatte, wurde in russische Gefangenschaft abgeführt.
Die Leipziger Schlacht ist anzusehen wie ein Abweiser, der den
Weltbegebenheiten auf einmal einen ganz andern Strom und Lauf gibt, ja
wie ein Register in einer Orgeluhr, welches, wenn es gezogen wird, ist
auf einmal ein anderes Stücklein und eine andere Melodie los. Viele
schimpften jetzt, denen vorher alles recht schien. Das muß man nie tun.
Andere dachten in der Stille darauf, nimmer lang französisch zu sein,
und wie sie sich mit Glimpf aus der Sache ziehen wollten. Der Hausfreund
nicht. Auf einen Kalendermacher schauen viele Augen. Deswegen muß er
sich immer gleichbleiben, das heißt, er muß es immer mit der siegenden
Partie halten. Es ist immer ein gutes Zeichen für eine kriegführende
Macht, wenn die Kalendermacher des Landes auf ihrer Seite sind.
Die Franzosen selbst konnten nach dieser Schlacht kein rechtes
Wohlgefallen mehr an Teutschland und an der Aufführung der Alliierten
finden, und nahmen auf dem Heimweg die Begleitung derselben und ihre
Bewirtung bei Weißenfels und Erfurt nicht gerne an. Denn sie zogen sich
nicht mehr ganz in Reih und Gliedern zurück. Man kann's nicht sagen.
Viele Gewehre präsentierten sich unterweges von selbst, auch andere
Sachen und Leichname, und wer kein Federlein auf dem Hut hätte, könnte
sich deutlicher ausdrücken. Allein bei aller Geschwindigkeit gelang es
ihnen doch nicht, früher als der tapfere General Wrede mit seiner Armee
den Rhein zu erreichen. Hielten sie nicht am 29. Oktober miteinander
noch ein blutiges Abschiedsmahl bei Hanau, drei Stunden hinwärts
Frankfurt, 11 Stunden von der französischen Grenze. Am 31. war Napoleon
noch in Frankfurt, am 9. wurde Hochheim genommen, 3 Stunden vom Rhein.
Am 12. November standen die Vorposten der Alliierten in der Schußweite
von Kastei bei Mainz.
Man sagt die Franzosen seien noch 60-80 000 Mann stark bei Hanau
angekommen. Man sagt, ihre Armee habe sich in diesem Feldzug um 200 000
Mann, 800 Kanonen und 3000 Munitionwagen gesäubert, ohne was sie als
Besatzung in Dresden und so vielen ändern festen Städten zurückließen.
Man sagt der Rest dieser Armee die im Frühjahr so schön und zahlreich
über die Mainzer Brücke ausgerückt war, sei von Mangel an
Lebensbedürfnissen und von Strapazen ermattet in einem klagenswerten
Zustand, in diese Stadt zurückgekommen. 30 000 Verwundete und Kranke
lagen in allen Lazaretten, in Kirchen; was auf der Straße umfiel blieb
liegen, was sterben konnte, starb, ohne Verband, ohne Pflege, ohne den
letzten Tropfen Wassers, ohne den letzten Trost und Zuspruch einer
mitleidigen Seele. Es waren zuviel. Man konnte nicht. Unterdessen kam
unter dem tapfern Fürsten und Heerführer Schwarzenberg das Hauptquartier
der großen Armee in Frankfurt an. Am 5. zog unter allgemeinem Jubel
Kaiser Alexander von Rußland, am 6. Kaiser Franz von Ostreich, nach
ihnen der König von Preußen ein, in furchtbare Gewitterwolken eines
großen Weltgerichts eingehüllt, aber lauter Sonnen des Friedens. „Wir
wollen Frankreich nicht erobern", sagten sie, „sondern den Frieden.
Frankreich", sagten sie, „soll groß und mächtig bleiben und glücklich
werden." Viele Leute glaubten's damals nicht. Jetzt glauben sie's. Die
Stadt Frankfurt selbst aber sah damals etwas gleich. Könige und Fürsten
aus allen Gegenden versammelten sich, um die hohen alliierten Monarchen
zu bewillkommen. Der Rheinische Bund, gestiftet den 12. Juli 1806, wurde
stückleinweise zerrissen. Aus allen teutschen Ländern auf allen Straßen,
besonders aus dem Lande der hochherzigen Preußen, zogen waffenlustige
Männer, Linientruppen, Landwehren, Studenten, Advokaten, Staatsräte,
Prinzen, Kalendermacher zum heiligen Krieg
- so
nannten sie es - an den Rhein. Was will der Hausfreund sagen? Kamen
nicht um diese Zeit die Weltbegebenheiten dem guten rheinländischen
Leser selber bis ins Haus und auf den Speicher und blieben manchen Abend
bei ihm über Nacht?
Die gesamte Heeresmacht aber, die damals gegen den Kaiser Napoleon rings
um Frankreich herum auf den Beinen stand, oder noch darauf kommen
sollte, war:
Die große Hauptarmee unter General Schwarzenberg am Oberrhein 250 000
Mann.
Die schlesische Armee unter General Blücher am linken Rhein 115 000
Mann.
Die Nordarmee unter dem Kommando des Kronprinzen von Schweden im
nördlichen Teutschland 130000 Mann.
Die teutschen Truppen, Liniensoldaten und Landwehr 295 000 Mann.
Die italienische Armee unter General Bellegarde 60000 Mann.
Die englische, portugiesische und spanische Armee unter Gen. Wellington
100 000 Mann.
Die
neapolitanische unter ihrem Könige 30 000 Mann.
[Die Fortsetzung folgt] |