Kannitverstan
(1809)
Aber auf dem seltsamsten Umweg kam
ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit
und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese große und reiche
Handelsstadt, voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger
Menschen, gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes
Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Duttlingen
bis Amsterdam noch keines erlebt hatte.
Gaß
aus Gaß ein kam er
endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das
Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff, und Mastbaum an Mastbaum; und er
wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen
durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu
betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich
zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben
ausgeladen wurde.
Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen
auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt,
und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer, und salveni
Mausdreck darunter. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er
endlich einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche
Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an das Land bringe. "Kannitverstan",
war die Antwort. Aber als er eben dachte: Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannitverstan es hat, kam er um eine Ecke, und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar um Paar, verhüllt in schwarze Mäntel, und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und blieb mit dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um 10 Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und bat ihn treuherzig um Exküse. "Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein", sagte er, "dem das Glöcklein läutet, daß Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht." - "Kannitverstan!" war die Antwort. Da fielen unserm guten Duttlinger ein paar große Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. "Armer Kannitverstan", rief er aus, "was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust, oder eine Raute". Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazugehörte, bis ans Grab, sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte, und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht acht gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den anderen wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und, wenn es ihm wieder einmal schwerfallen wollte, daß so viele Leute in der Welt so reich seien, und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff, und an sein enges Grab.
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Zur Gestaltung des "Kannitverstan" von K. H. Bachmann
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...es gab ihn
(vielleicht) wirklich:
Georg Friedrich
Hilzinger, der "Kannitverstan"
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