zurück Georg Friedrich Hilzinger, der "Kannitverstan"
 



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"Kannit-
verstan" -Geschichte

1809 erschien im „Rheinländischen Hausfreund" zum ersten Mal die einzigartig köstliche und wohl auch bis heute noch die verbreitetste Geschichte aus der Feder J. P. Hebels: „Kannitverstan". Sie ist ja so voll Humor und zugleich sinnreich, daß man sie immer wieder einmal lesen muß und sie gerade in unserer Zeit der heillosen Mißverständnisse nicht ohne Erbauung beiseite legen wird.
 
Nun fliegt mir dieser Tage ein Brief aus Sigmaringen auf den Tisch von einer Dame, deren Großvater aus Lörrach dahin ausgewandert ist und bis in sein hohes Alter besonders gern das Nachtwächterlied von J. P. Hebel gesungen hat. Diese Dame sandte mir in diesem Brief eine Zeitungsnotiz aus einem württembergischen Blättchen vom Jahr 1940 zu, die besagt, daß dieser Tuttlinger Handwerksbursche aus dem Kannitverstan nicht etwa eine erfundene Gestalt von Hebel ist, sondern daß er tatsächlich gelebt hat und Georg Friedrich Hilzinger geheißen hat. Es existiert noch ein Ölbild von ihm fast in Lebensgröße, das ihn, den unternehmungslustigen Rotgerber, zeigt in der Tracht seiner Zeit mit Fellmütze, roter Weste mit vielen Silberknöpfen. Diesem Bild ist ein origineller Lebenslauf aus seiner Hand beigefügt, der folgendermaßen lautet:
 
„Ich, Georg Friedrich Hilzinger, Verbürgerter und Rothgerber, zu Tuttlingen erblickte ich das Licht der Welt den 30. Dezember 1722. War ich alt 48 Jahr, auf der Profession bin ich geraist durch Holland, Engelland, Brabant, Chur, Reuß und Liefland, durch Polen, Preußen, Eisleben und Litauen, durch Hinter- und Vorpommern, durch alle Hansestadt, Ost-Friesland, Sachsen, Franken, Schwaben, Pfalz, Elsaß, Breisgau und Schweiz, auch hab ich mich gewagt und Raisen auf dem Weltmeer getan, darauf entfernte Länder besucht, wobei mich Gott in mancher Lebensgefahr wunderbar gerettet, auch die Haare oft gegen Berg gestanden, muß ich noch mit Angst des Todes denken, und ist dieses meine Absicht, meine Kinder und Kindeskinder zu warnen, daß sich keins in meine Gefahr soll wagen".
 
Wahrlich, ein abenteuerlicher Mann, der aber dann doch in seiner Heimatstadt ansässig wurde, eine Rotgerberei übernahm, sich verehelichte und es auf zehn Kinder brachte. Nachdem er einem der Söhne die Rotgerberei übergeben hatte, wird er Kastenknecht, das heißt er hatte die Steuern und Zinsen in Naturalien einznehmen. Als ein eben Sechzig jähriger ist er am 21. Januar 1783 in Tuttlingen gestorben, wo noch Nachkommen von ihm leben. Dort hat er also nach seinem arbeitsreichen und bewegten Leben, wenn auch nicht so begütert wie jener Kannitverstan, doch auch wie dieser sein enges Grab gefunden. Aber durch die Erzählung Hebels lebt er heute noch fort — und in mancherlei Gestalt.

   
 
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Original-Text: Richard Nutzinger, in "Die Markgrafschaft", Band 2, 1959