Weltbegebenheiten
(1814)
Fortsetzung der Weltbegebenheiten
Der Hausfreund bildet
sich fast etwas darauf ein, daß er seines Orts und mit seinem schwachen
Arm die Weltbegebenheiten fortsetzen kann, wenn er's nur auch könnte
nach seinem und des geneigten Lesers Sinn. Wiewohl viel Köpfe viel
Sinne. Jeder meint, er wollte es gewiß am besten machen, wenn aber
einmal der oberste Weltregent, der den Königen die Kronen aufsetzt, und
dem Schwerte den Sieg verleiht, die Hand aus der Sache ziehen wollte, so
würde bald eine Verwirrung und ein Elend werden, daß wir andere
unglückliche Weltregenten alle die Hände über dem Kopf zusammenschlagen
und ihn bitten müßten, sich der Menschheit wieder anzunehmen, wie er
bisher getan hat, obgleich noch niemand in sein geheimes Kabinett
hineingeschaut und seinen verborgenen Ratschluß erspäht hat.
Als nämlich die französische Armee sich aus dem russischen Winter
herausgezogen hatte, und die Russen in das deutsche Frühjahr
hineinrückten, änderte sich die Gestalt der Sache so, daß die Preußen
dem französischen Kaiser und seinen Bundsgenossen aufkündeten, und mit
ihren bisherigen Feinden gemeine Sache machten. Auch erwartete man
selbigerseits die Schweden und den Beitritt der Dänen. Am 18. März waren
die Russen schon in Hamburg an der Elbe, und brachten diese unglückliche
Stadt zum Abfall. Gleichermaßen zogen sie in Dresden der Hauptstadt von
Sachsen ein, nachdem die Franzosen abgezogen waren und die schöne
Elbbrücke gesprengt hatten, die mancher Weltkundige geneigter Leser auf
seiner Wanderschaft wird gesehen und bewundert haben, und viele Leute
fürchteten, die Feinde würden am Rhein sein, ehe man Zeit hätte in der
Geschwindigkeit etwas Russisch zu lernen. Der französische Kaiser aber
sagte unterdessen kein Wort. Hat er nicht in der kurzen Winterruhe, als
wenn sonst nichts zu tun wäre, die französische Thronfolge festgesetzt
auf ewige Zeiten, und mit dem Papst nach mehrjährigen Mißhelligkeiten
eine neue Eintracht abgeschlossen, also daß sich mitten zwischen zwei
blutigen Feldzügen der Staat und die Kirche miteinander aussöhnten? So
etwas weiß der Hausfreund zu loben, denn zum Glück und Wohl der Völker
gehört nicht nur die weltliche Macht und Klugheit, sondern auch der
geistliche Segen. Nicht alle Leute glauben's.
Als aber die Schlehen blühten, am 15. April, als noch viele Leute im
Kleinmut dachten, (gesagt hat man's just nicht) „diesmal bringt er keine
Armee mehr zusammen, die den siegenden Feinden Stich halten kann", da
war der Kaiser schon wieder in Mainz, und vor ihm und hinter ihm, wie
aus dem Boden gewachsen ein neues Kriegsheer, so jung und frisch, so
zahlreich, so ausgerüstet und kampflustig, daß man billig hätte sagen
mögen es sei in Frankreich wahr geworden, was man einst die Russen
glauben ließ, nämlich die Ertöteten im Feld seien wieder auferstanden
daheim. Aber am 25. war der Kaiser schon in Erfurt, am 28. in Weimar, am
29. in Naumburg, am 2. Mai vor den Augen des Feindes auf dem alten
berühmten Schlachtfeld von Lützen, denn auf diesem Felde war schon im
30jährigen Krieg am 6. November 1632 zwischen dem schwedischen König
Gustav Adolf und dem kaiserlichen General Wallenstein eine der
merkwürdigsten Schlachten geliefert worden. Der große König Gustav Adolf
verlor in derselben durch einen Büchsenschuß das Leben. Aber seine
tapfern Schweden behaupteten das Feld und den Sieg und kamen hernachmals
heraus bis an den Rhein zu des geneigten Lesers Altvordern. Sonst
geschieht es selten, daß im Lauf der Zeiten in dem nämlichen Revier zum
zweitenmal eine Schlacht geliefert wird; gleichsam als wenn die Geister
der Erschlagenen das Feld behüteten und wie es an manchen Orten der
Brauch ist, nicht leiden wollten, daß Fremde auf ihrem Kirchhof begraben
werden. Aber wenn der fromme Landmann den Pflug darüberführt, und die
Knaben und Mägdlein den Erntetanz dort halten, dagegen haben sie nichts,
was jedoch im Jahr 1813 bei Lützen nicht geschehen ist. Denn der Russe,
als wenn er nach 181 Jahren dem König Gustav Adolf und den Erschlagenen
auf diesem Feld noch ein blutiges Seelenamt halten wollte, tat den
ersten Schuß, und begann damit eine der hartnäckigsten und blutigsten
Schlachten, die je gehalten worden. Man rechnete in Leipzig die Zahl der
Verwundeten und Getöteten, gering geschätzt, auf vierunddreißigtausend.
Viele umliegende Ortschaften wurden an diesem Tage ausgeleert und
zerstört. Lützen selbst verlor 200 Häuser durch den Brand. Die ganze
Gegend ward zur Verwüstung.
Wer gern allen Leuten Glauben beimißt, konnte zwar aus den damaligen
Zeitungen nicht klug werden, welche Partei in dieser mörderischen
Schlacht das Feld behauptet und den Sieg davongetragen habe. Mit
gleicher lobenswerter Tapferkeit focht der Franzos, der Ruß' und der
Preuß. Der Musketier stand dem Reuter, der Reuter der Kanone. Aber am 6.
Mai erging in Berlin, der preußischen Hauptstadt, ein Befehl, als wenn
es nicht gut stünde, alle Männer bis zum
60. Jahr sollten sich schleunig bewaffnen, und wo der Feind sich zeigen
wolle, sollten alle Frauen und Kinder, alle obrigkeitlichen Personen,
alle Ärzte, Wundärzte und Apotheker, alle Postherrn mit ihren Pferden,
alles Vieh, alle Vorräte weggeschafft werden. Alle Früchte auf dem
Felde, alle Schiffe und Brücken, alle Dörfer und Mühlen sollten
verbrannt, alle Brunnen verschüttet werden, damit nirgends der Feind
einen Aufenthalt oder Vorschub finden sollte. Noch nie ist eine solche
schauerliche Maßregel zur Zerstörung des eigenen Landes ergriffen
worden. Die Franzosen selbst aber rückten unterdessen vorwärts. Am 8.
Mai hielt der Kaiser seinen Einzug in Dresden. Am 12. gingen die
Franzosen über den Elbstrom. Aber Meilen weit und lang waren viele
Gegenden des schönen und volkreichen Sachsenlandes verstört, und alle
Dörfer an der Militärstraße verlassen. Brannte nicht am 12. die Stadt
Bischofswerda mit Kirche Rathaus und 318 Bürgershäusern also nieder, daß
nur noch drei Firsten übrig sind. Aber am
18. brach der Kaiser selbst von Dresden auf und lieferte am 20. eine
neue Schlacht bei Bautzen, weit drinnen in der Lausitz im Sachsenreich,
nicht weit von der schlesischen Grenze. Der geneigte Leser wird gar
nicht fragen, wer gesiegt hat. In wenig Stunden war der Feind geworfen,
und die Stadt in den Händen der Franzosen. Der 21. vollendete bei
Wurschen was dem Sieg vom 20. noch fehlte. Einundzwanzig Dörfer wurden
an diesen zwei Tagen ein Raub der Flammen. Meilenweit alle Vorräte
aufgezehrt oder vernichtet, alle Mühlen von den Feinden zerstört, alle
Saatfelder abgeweidet und zertreten. Keine Sichel ging dort im Jahr 1813
in die Ernte. Aber am 23. rückte der Kaiser in Preußisch-Schlesien ein,
am 1. Juni in Breslau. Viel getan in einem Monat von Lützen bis nach
Breslau. Viele tausend Franzosen waren noch von Anno 1812 her, in einer
Reihe von Kriegsstädten, von Polen heraus bis an die Elbe durch die
Russen eingeschlossen. Czenstochow, und Thorn und Spandau mußten sich
ergeben. Aber Torgau, Wittenberg, wo Doktor Martin Luther gelebt und
gelehrt hat, und Glogau in Schlesien wurden durch die siegreichen Waffen
des Kaisers frei gemacht. Am 30. Mai kam auch Hamburg wieder in die
Hände der Franzosen, und sollte für seinen Abfall eine Buße von 48 Mill.
Franken entrichten, also daß diese unglückliche Stadt, wenn sie alle
Tage, die Gott gibt, 1000 Gulden an dieser Summe abbezahlen wollte, doch
erst in einer Zeit von 88 Jahren damit fertig würde. Der Hausfreund
wüßt's nicht aufzutreiben. - Vom 4. Juni an war Waffenstillstand, aber
es war schwer zu erraten, ob zur Wiederherstellung des Friedens oder zu
einer fürchterlichen Fortsetzung des Kriegs. In ganz Europa wurde
rekrutiert, die ganze Elbe befestigt. Am
10. August kündeten die Russen und Preußen den Waffenstillstand auf. Zu
gleicher Zeit erklärte Ostreich dem französischen Kaiser den Krieg. Auf
der einen Seite standen jetzt Rußland, Preußen, Ostreich, Schweden, auf
der ändern Frankreich, der Rheinische Bund, Italien, Schweiz und
Dänemark, eine Hälfte des Weltteils gegen die andere, und kein Sternlein
der Hoffnung schaute durch die Wolken der Gewitter. |