Weltbegebenheiten
(1814)
Der Brand von Moskau
Als im Jahre 1812 der Krieg zwischen Frankreich
und Rußland ausbrach, standen in Europa
die Verhältnisse so:
Auf der Seite des Kaisers von Frankreich waren Haus Östreich mit einem
Hilfscorps, alle rheinischen Bundesfürsten, Schweiz, alle Völker von
Italien, Illyrien, Preußen, Polen, fast ganz Europa. Auf der Seite von Rußland war allein der Engländer, später auch der Winter. Neutral waren:
der Däne, der Schwed, der Türk. - Spanien und Portugal hatten ihr
Apartes.
Schon hatte die furchtbare Armee des französischen Kaisers nach manchem
harten, aber siegreichen Kampf die russische Hauptstadt Moskau erreicht.
Am 14. September zog er als Sieger durch ihre Tore ein. Hier wäre ein
Wort vom Frieden zu sprechen gewesen, wenn man gewollt hätte, aber man
wollte nicht. Lieber die eigene Stadt verbrannt und den Feind wieder herausgetrieben.
So etwas ist nun geschwind gesagt: „Moskau ist verbrannt." Aber der
geneigte Leser wird fast die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn
er sich von dieser Stadt einen Begriff machen läßt. Moskau, die uneins
größte Stadt der Welt, bestand aus vier großen, aneinandergebauten
Städten. Die erste und innerste, der Kreml, welcher fest war und hernach
von den Franzosen selbst gesprengt wurde. Um den Kreml herum aber war
gebaut die Stadt Kitaigorod, um diese herum die Stadt Bielgorod, oder
die weiße Stadt (bekanntlich kann der Hausfreund russisch), um Bielgorod
herum war gebaut Semlanoigorod.
Vier solche Städte aneinandergebaut wären zum Verbrennen groß genug.
Aber Moskau hatte auch dreißig Vorstädte, in allem aber 20 000 Häuser
und Paläste, 1000 Kirchen und große Kapellen, gegen 400 brave Wirtshäuser, und wie viel Kaufläden, Fabriken, Schulen, Kanzleien, ein
Findelhaus für 5000 Kinder, mit einem Wort 400 000 Einwohner, und zwölf
Stunden im Umfang. Wer auf einer Anhöhe stand, so weit das Auge reichen
mochte, war nichts zu sehen, als Himmel und Moskau. Hernachmals nichts
als Himmel und Flammen. Denn kaum waren die Franzosen eingerückt, so
wurde von den Russen selbst an allen Ecken und Enden angezündet. Ein
anhaltender Wind trug die Flammen schnell in alle Quartiere der Stadt.
In drei Tagen lag der größte Theil derselben in Schutt und Asche, und
wer seitdem vorüberging, sah nichts mehr als Himmel und Elend.
Wer den Schrecken und Jammer bedenkt, wenn ein einziges Haus in Flammen
steht, die fürchterliche Helle der Nacht und die Röte am Himmel von
ferne, der mag sich vorstellen, wie es aussieht, wenn in einem Umkreis
von zwölf Stunden 20 000 Häuser teils in Flammen, teils in Gefahr
stehen und soviel Kirchen und Schlösser auf einmal brennen, und 400 000
Menschen, Männer, Weiber, Kinder, Greise, Gebrechliche, Kranke, Fürsten,
Bettler, fliehen oder verbrennen müssen, und niemand retten, niemand
mehr löschen kann. Alle Feuerspritzen waren weggeschafft mit Fleiß.
Tagreisen weit waren die Straßen mit Fliehenden angefüllt, Gesunde,
Kranke, Sterbende, hochschwangere Frauen, säugende Mütter, und der
Mittag bot keinen Tisch, kein Obdach die Nacht. Hier blieb ein Kranker
liegen, den man nicht fortbringen konnte, dort segneten die Söhne ihren
sterbenden Vater ein, dort begruben andere den ihrigen, alles nur so
unterwegs. Weiter lag eine Frau ohne Hilfe in Kindesnöten und gebar
ihren Benoni, ihren Schmerzenssohn, auch nur so unterwegs. Eine vornehme
Frau kochte ihren Kindern über zusammengerafften Reisern ein ärmliches
Mittagsmahl und seufzte dazu: „Ach, wie unglücklich bin ich." Eine
andere mit ihrem armen Kindlein sah ihr zu und weinte, als ob sie sagen
wollte: „Ach, wie glücklich bist du, daß du etwas zu kochen hast." Wie
viel umgekommen sind, will der Hausfreund nicht zählen.
Wer
Moskau angezündet hat, hat viel zu verantworten. Ist ein anderer Mensch,
als er schuld daran, daß die siegreiche Armee des französischen Kaisers
sich mitten im Winter und in der fürchterlichsten Kälte aus Mangel an
Aufenthalt und Lebensmitteln und mit namhaftem Verlust zurückziehen
mußte, zuerst aus Rußland, hernach aus Polen, hernach aus Preußen bis
nach Deutschland, bis an die Elbe? Die Pferde kamen vor Mangel und Kälte
um. Die Artillerie und das Gepäcke mußte zurückgelassen und den
nachschwärmenden Kosaken preisgegeben werden. Viele tausend tapfere
Krieger kamen um. Denn gegen den Winter ist mit Bajonett und Sturmmarsch
nicht viel auszurichten, und ein warmer Pelz und ein Kalbsschlegel
leisten da ganz andere Dienste, als eine Brust voll Heldenmut. Aber der
letzte hat noch nicht geschossen. |