Ein Vergleich der Erstauflage von 1803
mit der von Hebel geänderten Version ab der 3. Auflage 1806

 
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1803 erschien die Erstauflage der Alemannischen Gedichte, sie wurden in der 2. Auflage 1804 unverändert gedruckt.
1806 erschien die von Hebel korrigierte und veränderte 3. Auflage, die wiederum der 4. und den folgenden Auflagen als Druckvorlage diente.
(Siehe auch die Vorworte Hebels zu den einzelnen Auflagen, insbesondere zur 4.)

Das Internet bietet nun die einmalige Gelegenheit, die Unterschiede der beiden Versionen in einer "Paralleldarstellung"
schnell und übersichtlich deutlich zu machen.
 
    1. + 2.  Auflage,  1803 + 1804

 

Der Wächter in der Mitternacht
 
„Loset, was i euch will sage!
 D' Glocke het zwölfi gschlage."
 
 Wie still isch alles! Wie verborgen isch,
  was Lebe heißt, im Schoß der Mitternacht
 uf Stroß und Feld! Es tönt kei Mensche-Tritt;
 es fahrt kei Wagen us der Ferni her;
 kei Husthür gahret, und kei Othem schnuft,
 und nit emol e Möhnli rüeft im Bach.
 's lit alles hinterm Umhang iez und schloft;
 und öb mit liichtem Fuß und stillem Tritt
 e Geist vorüber wandlet, weißi nit.
 
 Doch was i sag, ruuscht nit der Tiich? Er schießt
 im Leerlauf ab am müede Mühli-Rad,
 und näume schliicht der Iltis unterm Dach
 de Tremle no, und lueg, do obe zieht
 vom Chilchthurn her en Uehl im stille Flug
 dur d'Mitternacht, und hangt denn nit im Gwülch
 die großi Nacht-Laterne dört, der Mond?
 Still hangt sie dört, und d' Sterne flimmere,
 wie wemmen in der dunkle Rege-Nacht,
 vom wite Gang ermattet, uf der Stroß
 an d' Heimeth chunnt, no keini Dächer sieht
 und numme do und dört e fründli Liecht.
 
 Wie wirds mer doch uf eimol so kurios?
 wie wirds mer doch so weich um Brust und Herz?
 As wenni briegge möcht, weiß nit worum?
 as wenni 's Heimweh hätt, weiß nit - no was.
 
 „Loset, was i euch will sage!
 
D' Glocke het zwölfi gschlage.
 
 
Und ischs so schwarz und finster do,
 
se schine d'Sternli no so froh,
 
und us der Heimeth chunnt der Schi;
 
's muß lieblig in der Heimeth sy!“
 
 Was willi? willi übere Chilchhof goh
 ins Unterdorf? Es isch mer d'Thür seig off,
 as wenn die Todten in der Mitternacht
 us ihre Gräbere giengen, und im Dorf
 e wenig luegten, öb no alles isch
 wie almig. 's isch mer doch bis dato ken
 bigegnet, aß i weiß. Denkwol i thue's,
 und rüef de Todte - nei sell thueni nit!
 Still willi uf de stille Gräbere goh!
 Sie hen io d'Uhr im Thurn, und weiß i denn,
 isch au scho ihri Mitternacht verbey?
 's cha sy, es fallt noch dunkler alliwil
 und schwärzer uf sie abe - d'Nacht isch lang;
 's cha sy, es zuckt e Streifli Morgeroth
 scho an de Berge uf - i weiß es nit.
 
 Wie ischs so heimli do? Sie schlofe wohl!
 Gott gunnene's! - e bizli schuderig,
 sel läugni nit; doch isch nit alles tod.
 I hör io 's Unrueih in der Chilche; 's isch
 der Pulz der Zit in ihrem tiefe Schlof,
 und d' Mitternacht schnuft vo de Berge her.
 Ihr Othem wandlet über d'Matte, spielt
 dort mittem Tschäubbeli am grüne Nast,
 und pfift dur d'Scheie her am Gartehag.
 Sie chuuchet füecht an d'Chilche-Mur und chalt;
 die lange Fenster schnattere dervo
 und 's lopperig Chrütz. Und lueg, do lüftet sie
 en offe Grab! - Du gueten alte Franz,
 se hen sie au di Bett scho gmacht im Grund,
 und 's Deckbett wartet uf die nebe dra,
 und d' Liechtli us der Heimeth schine dri!
 
 He nu, es gohtis alle so; Der Schlof
 zwingt ieden uffem Weg, und eb er gar
 in d' Heimeth dure chunnt. Doch wer emol
 si Bett im Chilchhof het, Gottlob er isch
 zum letzte mol do niden übernacht;
 und wenn es taget, und mer wachen uf,
 und chömmen use, hemmer nümme wiit,
 e Stündli öbben, oder nitemol. -
 Se stolperi denn au no d' Stäpfli ab,
 und bi so nüechter bliebe hinechtie.
 
 „Loset, was i euch will sage!
 
D' Glocke het zwölfi gschlage.
 
 
Und d'Sternli schine no so froh,
 
und us der Heimeth schimmerts so,
 
und 's isch no um e chleini Zit.
 
Vom Chilchhof seigs gwiß nümme wiit."
 
 Wo bini gsi? Wo bini echterst iez?
 e Stäpfli uf, e Stäpfli wieder ab,
 und witers nüt? Nei weger  witers nüt!
 Isch nit 's ganz Dörfli in der Mitternacht
 e stille Chilchhof? Schloft nit alles do,
 wie dört vom lange müede Wachen us,
 vo Freud und Leid, und isch in Gottis Hand,
 do unterm Strau-Dach, dört im chüele Grund,
 und warte, bis es taget um sie her?
 
 He, 's würd io öbbe! Und wie lang und schwarz
 au d'Nacht vom hoche Himmel abe hangt,
 verschlofen isch der Tag deswegen nie;
 und bißi wieder chumm, und no ne mol,
 se gen mer d' Gühl scho Antwort, wenni rüef,
 se weiht mer scho der Morgeluft ins Gsicht.
 Der Tag verwacht im Tanne-Wald, er lüpft
 alsgmach der Umhang obsi; 's Morgeliecht
 es rieslet still in d'Nacht, und endli wahlt's
 in goldne Strömen über Berg und Thal.
 es zuckt und wacht an allen Orte; 's goht
 e Lade do und dort e Husthür uf,
 und 's Lebe wandlet use frey und froh.
 
 Du liebi Seel, was wirds e Fyrtig sy,
 wenn mit der Zit die lezti Nacht versinkt,
 wenn alli goldne Sterne groß und chlei,
 und wenn der Mond und 's Morgeroth und d'Sunn
 in Himmels-Liecht verrinnen, und der Glast
 bis in die tiefe Gräber abe dringt,
 und d' Muetter rüeft de Chindlene: „'s isch Tag!"
 und alles usem Schlof verwacht, und do
 ne Laden uf goht, dort e schweri Thür!
 Die Todten luegen use iung und schön.
 's het menge Schade gutet übernacht,
 und menge tiefe Schnatte biß ins Herz
 isch heil. Sie luegen use gsund und schön,
 und tunke 's Gsicht in Himmels-Luft; sie stärkt
 bis tief ins Herz - Du alte Nar, was briegsch?
 
 „Loset, was i euch will sage!
 
D' Glocke het zwölfi gschlage.
 
 
Und d' Liechtli brennen alli no;
 
der Tag will iemerst no nit cho.
 
Doch Gott im Himmel lebt und wacht,
 
er hört wohl, wenn es Vieri schlacht!"

 

3.  und die folgende Auflagen,  1806 ff

 

Der Wächter in der Mitternacht
 
„Loset, was i euch will sage!
 D'Glocke het Zwölfi gschlage."
 
 Wie still isch alles! Wie verborgen isch,
  was Lebe heißt, im Schoos der Mitternacht
 uf Stroß und Feld! Es tönt kei Mensche-Tritt;
 es fahrt kei Wagen us der Ferni her;
 kei Husthür gahret, und kei Othem schnuuft,
 und nit emol e Möhnli rüeft im Bach.
 's lit alles hinterm Umhang iez und schloft;
 und öb mit liichtem Fueß und stillem Tritt
 e Geist vorüber wandlet, weißi nit.
 
 Doch was i sag, ruuscht nit der Tiich? Er schießt
 im Leerlauf ab am müedi Mühli-Rad,
 und näume schliicht der Iltis unterm Dach
 de Tremle no, und lueg, do obe zieht
 vom Chilchthurn her en Uehl im stille Flug
 dur d'Mitternacht, und hangt denn nit im Gwülch
 die großi Nacht-Laterne dört, der Mond?
 Still hangt sie dört, und d'Sterne flimmere,
 wie wemmen in der dunkle Rege-Nacht,
 vom wite Gang ermattet, uf der Stroß
 an d'Heimeth chunnt, no keini Dächer sieht
 und numme do und dört e fründli Liecht.
 
 Wie wirds mer doch uf eimol so kurios?
 wie wirds mer doch so weich um Brust und Herz?
 As wenni briegge möcht, weiß nit worum?
 as wenni 's Heimweh hätt, weiß nit no was.
 
 „Loset, was i euch will sage!
 D'Glocke het Zwölfi gschlage.
 
 Und ischs so schwarz und finster do,
 se schine d'Sternli no so froh,
 und us der Heimeth chunnt der Schi;
 's muß lieblig in der Heimeth sy!“
 
 Was willi? Willi dure Chilchhof goh
 ins Unterdorf? Es isch mer d'Thür seig off,
 as wenn die Todten in der Mitternacht
 us ihre Gräbere giengen, und im Dorf
 e wenig luegten, öb no alles isch
 wie almig. 's isch mer doch bis dato ken
 bigegnet, aß i weiß. Denkwol i thue's,
 und rüef de Todte - nei sell thueni nit!
 Still willi uf de stille Gräbere goh!
 Sie hen io d'Uhr im Thurn, und weiß i denn,
 isch au scho ihri Mitternacht verbey?
 's cha sy, es fallt noch dunkler alliwil
 und schwärzer uf sie abe - d'Nacht isch lang.
 's cha sy, es zuckt e Streifli Morgeroth
 scho an de Berge uf - i weiß es nit.
 
 Wie ischs so heimli do? Sie schlofe wohl
 Gott gunnene's! - e bizli schuderig,
 sel läugni nit; doch isch nit alles todt.
 I hör io 's Unrueih in der Chilche; 's isch
 der Pulz der Zit in ihrem tiefe Schlof,
 und d'Mitternacht schnuuft vo de Berge her.
 Ihr Othem wandlet über d'Matte, spielt
 dort mittem Tschäubbeli am grüne Nast,
 und pfift dur d'Scheie her am Garte-Hag.
 Sie chuuchet füecht an d'Chilche-Mur und chalt;
 die lange Fenster schnattere dervo
 und 's lopperig Chrüz. Und lueg, do lüftet sie
 en offe Grab! - Du gueten alte Franz,
 se hen sie au di Bett scho gmacht im Grund,
 und 's Deckbett wartet uf die nebe dra,
 und d'Liechtli us der Heimeth schine dri!
 
 He nu, es gohtis alle so. Der Schlof
 zwingt ieden uffem Weg, und eb er gar
 in d'Heimeth dure chunnt. Doch wer emol
 si Bett im Chilchhof het, Gottlob er isch
 zum letzte mol do niden übernacht,
 und wenn es taget, und mer wachen uf,
 und chömmen use, hemmer nümme wit,
 e Stündli öbben, oder nitemol. -
 Se stolperi denn au no d'Stäpfli ab,
 und bi so nüechter bliebe hinechtie.
 
 „Loset, was i euch will sage!
 D'Glocke het Zwölfi gschlage.
 
 Und d'Sternli schine no so froh,
 und us der Heimeth schimmerts so,
 und 's isch no umme chleini Zit.
 Vom Chilchhof het me nümme wit."
 
 Wo bini gsi? Wo bini echterst iez?
 e Stäpfli uf, e Stäpfli wieder ab,
 und witers nüt? Nei weger, witers nüt!
 Isch nit 's ganz Dörfli in der Mitternacht
 e stille Chilchhof? Schloft nit alles do,
 wie dört vom lange müede Wachen us,
 vo Freud und Leid, und isch in Gottis Hand,
 do unterm Strau-Dach, dört im chüele Grund,
 und warte, bis es taget um sie her?
 
 He, 's würd io öbbe! Und wie lang und schwarz
 au d'Nacht vom hoche Himmel abe hangt,
 verschlofen isch der Tag deswegen nie;
 und bißi wieder chumm, und no ne mol,
 se gen mer d'Gühl scho Antwort, wenni rüef,
 se weiht mer scho der Morgeluft ins Gsicht.
 Der Tag verwacht im Tanne-Wald, er lüpft
 alsgmach der Umhang obsi; 's Morgeliecht
 es rieslet still in d'Nacht, und endli wahlt's
 in goldne Strömen über Berg und Thal.
 Es zuckt und wacht an allen Orte; 's goht
 e Lade do und dort e Husthür uf,
 und 's Lebe wandlet use frey und froh.
 
 Du liebi Seel, was wirds e Fyrtig sy,
 wenn mit der Zit die lezti Nacht versinkt,
 wenn alli goldne Sterne groß und chlei,
 und wenn der Mond und 's Morgeroth und d'Sunn
 in Himmels-Liecht verrinnen, und der Glast
 bis in die tiefe Gräber abe dringt,
 und d'Muetter rüeft de Chindlene: „'s isch Tag!"
 und alles usem Schlof verwacht, und do
 ne Laden ufgoht, dort e schweri Thür!
 Die Todte luegen use iung und schön.
 's het menge Schade gutet übernacht,
 und menge tiefe Schnatte bis ins Herz
 isch heil. Sie luegen use gsund und schön,
 und tunke 's Gsicht in Himmels-Luft. Sie stärkt
 bis tief ins Herz - o wenns doch bald so chäm!
 
 „Loset, was i euch will sage!
 D'Glocke het Zwölfi gschlage.
 
 Und d'Liechtli brennen alli no;
  der Tag will iemerst no nit cho.
 Doch Gott im Himmel lebt und wacht,
 er hört wohl, wenn es Vieri schlacht!"

 

       
     Der Text links folgt dem in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe vorhandenen und digitalisierten Exemplar der 1. Auflage von 1803.
Der Text rechts folgt dem für diese Website auch sonst verwendeten Referenzwerk: Johann Peter Hebel, Poetische Werke, Winkler Weltliteratur, München 1961
(Diese folgt weitestgehend der 5. Ausgabe(!), erschienen 1820 bei H. R. Sauerländer in Arau).

Alle Unterschiede der beiden Texte - Änderungen, Hinzufügungen und Weglassungen wurden links gelb hinterlegt, rechts (soweit möglich und sinnvoll) rot dargestellt.

 

 
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