An den Vetter. Patriotisches Mahnwort

(Januar 1814)
 
 

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Als wir, Vetter, das letztemal miteinander sprachen, sprachen wir noch von allerlei, wie der Tag und die Laune es brachten, von den herzigen Kindlein, wie sie wachsen und brav werden, von dem Feldbau und Gewerbe, von dem Krieg im unglücklichen Sachsenland und von den deutschen Siegen. Jetzt, Vetter, gilt ein anderes Wort. Nicht bloß Weib und Kind versorgen und Gut und Nahrung bessern, sondern auch als Mann und Held beschützen; nicht mehr an den Grenzen stehn und hinüberschauen mit Hoffnung und Furcht, sondern das Vaterland helfen verteidigen wie einen heiligen Boden, wie ein gelobtes Land, das Gott uns und unsern Vorfahren anvertraut hat, und zwar ohne Furcht; nicht mehr uns erzählen lassen, was andre deutsche Männer zum Heil der Völker wagen und ausführen, sondern selber etwas zu loben und zu preisen geben den Bekannten und Freunden, allen Menschen, welche Mut und Tugend zu schätzen wissen, und der dankbaren Nachwelt.

Du hast den Ruf zum großen deutschen Werk vernommen. Deutschlands erlauchte Retter sind da: Alexander, der Beherrscher einer halben Welt, Franz, der deutsche Mann und Kaiser, Friedrich Wilhelm, der König einer Nation von Helden, jeder ein Retter und Schutzengel der Bedrängten.

Hat nicht im glücklichen Einverständnis mit ihnen und allen deutschen Fürsten und Ständen der Landesherr den Ausspruch getan, daß alle badischen Jünglinge und Männer, wer sie sind und wie sie heißen, sich waffnen sollen und auf stehn, wenn das Zeichen gegeben wird, ein furchtbarer Landsturm, eine eherne Mauer zum Schütze des Vaterlandes und seines Rechtes, das von Gott ist?

Vetter, es ist ein Wort, das Respekt hat, und dein frommer Sinn versteht es, wenn ich sage, der Landesherr hat es ausgesprochen: «Jedermann sei untenan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn alle Obrigkeit ist von Gott verordnet.»
Item: «Seid Untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Kaiser oder den Hauptleuten als den Gesandten von ihnen, zur Rache über die Übeltäter und zum Lobe den Frommen.»

Sieh nicht krumm dazu, Kind des Friedens! Wisse, was du sollst, und erkenne in deinem Inwendigen die Pflicht dazu! Nicht ausrücken in das entscheidende Schlachtfeld für fremde Siege, Rechte und Anmaßungen, auch für deine eigenen Rechte und Vorteile, nicht auf fremdem Boden, nicht vor fremden Festungen, das tun für dich deine tapfern Brüder, die Soldaten und Wehrmänner unter dem Kommando der großen Helden und Sieger - sondern in der Heimat die Heimat schützen, wenn's Not wird, gegen entlaufenes, herumtreibendes Raubgesindel, das jeder Krieg ausstößt und zurückläßt. Wer soll es tun, wenn wir es unterlassen? Wie kann es einer, wenn nicht alle zusammenstehn unter Leitung und Aufsicht von einsichtsvollen und geübten Obmännern?

Oder die siegreichen Heere der Bundesgenossen stehn schon tief in dem Lande, das vor ihnen zittert, aber ein feindliches Streifkorps findet da oder dort einen Umweg oder eine Öffnung und will herüberbrechen über die Grenzen, um als Feind zu brandschatzen, zu plündern, zu sengen und zu brennen. Dann sollst du, als ein mannhafter Streiter des Herrn und Gideon, dich an die Grenze stellen und den Feind büßen lassen seinen Frevel!

Dann bist du ein großer, achtungsvoller Mensch und stehst oder fällst nicht mehr im Dienste eines Menschen, sondern Gottes, und in einem himmlischen Beruf; denn du beschirmst, den himmlischen Heerscharen und heiligen Engeln gleich, den hilflosen Säugling in der Wiege, die Unschuld und Ehre der Jungfrau, die einsame Witwe, das kraftlose Alter, die Kranken, die Sterbenden, daß sie ruhig sterben können, mit einem Wort: das heilige, das gelobte Land, das dir der Herr dein Gott gegeben hat, und kein welscher Fluch soll mehr die Altäre entweihen, vor denen wir Gott dienen, oder die Kirchhöfe, in welchen die Gebeine unserer frommen Voreltern ruhen. Das ist die Rache über die Übeltäter und das Lob der Frommen, und kein achtungswerter Mann, der es nicht mit Mut und Willen tut!

Sieh, Vetter, so steht auf und ist schon aufgestanden, ja bewaffnet ganz Deutschland vom Meer bis ans Gebirge. Alle edlen Stämme deutschen Bluts, der Preuße, der Sachse, die Hessen, die Franken, die Bayern, die Schwaben, was am langen Rhein und an der weitentfernten Donau deutsch spricht und ist, alles ist ein Mann, ein Mut, ein Bund und ein Schwur: Deutschland soll frei sein von der Fremden Joch und Schimpf! Denn die deutsche Nation, in ihren Fürsten und Häuptern vereinigt, steht unter Gott allein, sonst unter niemand, und unsre Fürsten sind von Gottes Gnaden und nicht von eines Menschen Gnaden. Es kann einem Land und einem Volk kein größeres Unglück und keine tiefere Schmach und Schande widerfahren, als wenn seine Fürsten und Väter von eines Menschen Gnade sein müssen, sozusagen, Vetter, als wenn unsre Gemeinde, die doch ihren eigenen Vogt hat, einem fremden Vogt gehorchen, einer andern Gemeinde Fronden leisten und ihre Gemeindelasten tragen müßte für Schimpf und Hudelei zum Dank. —

Vetter, zuckt es dir nicht im starken deutschen Arm? Steigt es dir nicht hoch hinauf im stolzen deutschen Herzen? Hast du noch nicht das Gewehr in der Hand und die furchtbare Streitaxt zur Seite? Ich lese etwas auf deiner Stirne. Du sagst: «Unsre Kräfte sind erschöpft, unser Wohlstand ist zugrunde gerichtet. Gleichwohl hat uns der Feind in zehn Jahren nicht so hart angemutet und nicht so arm gemacht als der Freund in zwei Monaten - und jetzt noch ein Landsturm!» Welchem teilnehmenderen Freunde als mir kannst du diese Leiden klagen? Wem hat das Herz mehr geblutet und blutet noch, wenn ich an euch denke? Aber so fallen die Würfel des Schicksals.
Seit mehr als zwanzig Jahren haben wir, wiewohl nicht ohne manches teure Opfer, gleichwohl in Ruhe unsre Felder gepflügt und Gottes Segen mit Dank und mit Undank genossen. Unterdessen ist kein anderes Land verschont und von dem Herrn unheimgesucht geblieben für manche Erkaltung der Frömmigkeit der Väter, für manchen Leichtsinn, auch für die Leichtfertigkeit mancher und für das Mißtrauen gegen Gott und gegen sich selbst. Millionen deutscher Brüder mußten huldigen dem Schwert des Überwinders und über sich richten lassen ein Gesetz in fremder Sprache. Bayern, Ostreich sah seine Vorräte aufgezehrt, weggeführt, verwüstet; blutig flössen ihre Ströme. An allen Kriegsstraßen, weit um alle Schlachtfelder herum rauchten ihre friedlichen Dörfer, ihre arbeitsamen Städte. Ganz Preußen, unsern Vätern einst ein hochgepriesener Name, war sieben Jahre lang unterdrückt, ausgesogen, entehrt. Das blühende Sachsenland nicht sechs Wochen, sondern viele Monate lang der Sammelplatz aller Heere von Europa, Freund und Feind zu gleicher Zeit, fast von einer Grenze zur andern: Ein aneinanderhängendes Schlachtfeld, eine Brandstätte, ein Kirchhof für die Toten und für die Lebendigen. Mehr oder weniger arm gemacht, weinend über ihre erschlagenen Söhne oder Gatten oder Brüder, trauernd über die Trümmer ihres Glücks und über die Brandstätten ihrer Wohnungen, bieten diese alle ihre letzten Reste und Kräfte freiwillig dar und ziehen in endlosen Scharen über den Rhein oder waffnen sich zum großen deutschen Landsturm, daß sie kämpfen für das Köstlichste, nämlich für ihre und unsere Rechte, für ihren und unsern Frieden, und für das Letzte, nämlich für die Zukunft.

Vetter, schlage mit Demut den Blick zur Erde nieder! Haben wir die einzigen sein wollen, auf welche kein Stein von dem Turm zu Siloah fallen sollte, die einzigen Gerechten, die ohne Entsündigung die schwere, die blutige Wiedergeburt der Völker überstehen? Oder wollen wir uns verdrießen lassen, daß nicht statt des Freundes oder mit ihm der Feind ist kommen mit allen Geißeln und Schrecken und Greueln des Krieges, die wir noch gar nicht kennen? Wollten wir lieber auch warten, bis er kommt, und bis das Schwert gefressen hat, was noch übrig ist, und das Feuer, was dem Schwert entrann? Vetter, das wäre artig, wenn es uns einfiele, die Löschanstalten anstehen zu lassen, bis das Städtlein verbrannt ist.

Sagst du aber: «Der Landsturm wird's nicht zwingen, wenn's die Armee nicht zwingt im Felde», so sprichst du ein verständiges Wort, und es geht dir ein Licht auf. Nein, der Landsturm zwingt's nicht ohne die Armee, aber die Armee zwingt's mit dem Landsturm. Großes kann nur durch Großes erlangt werden. Die Unabhängigkeit, das Glück, die Ehre einer ganzen Nation kann nur erobert und bewacht werden durch die vereinte Kraft der ganzen Nation, wenn sie auf einen Zweck geleitet wird und jeder seinen Arm, seinen Mut und sein Blut weihet dem Vaterland und der lieben Heimat. Weißt du, daß wir unbezwinglich sind, wenn wir wollen?

Dem Landsturm und dem Vorschub, den er den Armeen tat, verdankt Spanien seine Befreiung, Preußen seine Befreiung, seine Siege, seinen wieder aufstrahlenden Ruhm und der Feind seine Flucht und die Zertrümmerung seiner Kräfte. Wenn erst durch ganz Deutschland fünf Millionen Flinten, Äxte, Spieße und Sensen blitzen, meinst du, der Feind werde es noch einmal wagen, in das Rote Meer zu gehen?

Auf also, Vetter, Bruder, Landsmann, deutscher Sturmgenosse, in die Reihe der Vaterlandsverteidiger und unter das Heil Gottes! Die ihren Mut und ihren Arm der guten Sache leihen, an deren Spitze steht mit flammendem Schild und siegendem Schwert der mächtige Held, der dem Landsturm unter Gideon den Sieg über die Midianiter verlieh und den Seba und Zalmuna in ihre Hände gab, der seine Blitze leuchten macht in den Wolken und seine Donner hören läßt an aller Welt Enden. Herr der Heerscharen ist sein Name.

Vetter, es gleicht in meinen Augen schon jede vaterländische Stadt, jedes Dorf der heiligen Stätte, von welcher gesagt ist: «Ich will Wächter auf deine Mauern bestellen, welche den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht schweigen sollen, und die des Herrn gedenken sollen - der Herr hat geschworen bei seiner Rechten und bei dem Arme seiner Macht: Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben, noch deinen Most die Feinde trinken lassen; sondern die es einsammeln, sollen es auch essen und den Herrn rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums. Siehe, der Herr läßt sich hören bis an der Welt Ende. Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, dein Lohn ist bei ihm, und seine Vergeltung ist vor ihm!»

Oder hättest du es lieber so gehört: «Daß man fort nicht mehr da wohne, und niemand da bleibe für und für, und die Hirten keine Hütten da aufschlagen, sondern Rohrdommel und Igel werden es innehaben. Denn er wird eine Meßschnur über sie ziehen, daß sie wüste werde, und ein Senkblei, daß sie öde sei, daß ihre Herren heißen müssen Herren ohne Land und alle ihre Fürsten ein Ende haben; und werden Dornen wachsen in ihren Palästen, Nesseln und Disteln in ihren Schlössern.»

Siehe, das sind zwei Spiegel, in welchem die heilige Weissagung jedem Volk seine Zukunft vorherzeigt in den Tagen der Gefahr, dem tapfern und frommen, dem leichtfertigen und feigen. Denn was zuvor geschrieben ist, ist uns zur Lehre geschrieben.

Auf denn mit vereinter Kraft zum großen Werk! Laßt das Feldzeichen ein wenig flott wehen! Wenn's gilt, so finden wir uns, und wer mit uns nicht gleichen deutschen Mutes und Sinnes ist, der braucht uns nimmer zu grüßen; denn wir danken ihm nicht.

 

 
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