Als wir, Vetter, das letztemal miteinander sprachen, sprachen wir
noch von allerlei, wie der Tag und die Laune es brachten, von den
herzigen Kindlein, wie sie wachsen und brav werden, von dem Feldbau und
Gewerbe, von dem Krieg im unglücklichen Sachsenland und von den
deutschen Siegen. Jetzt, Vetter, gilt ein anderes Wort. Nicht bloß Weib
und Kind versorgen und Gut und Nahrung bessern, sondern auch als Mann
und Held beschützen; nicht mehr an den Grenzen stehn und hinüberschauen
mit Hoffnung und Furcht, sondern das Vaterland helfen verteidigen wie
einen heiligen Boden, wie ein gelobtes Land, das Gott uns und unsern
Vorfahren anvertraut hat, und zwar ohne Furcht; nicht mehr uns erzählen
lassen, was andre deutsche Männer zum Heil der Völker wagen und
ausführen, sondern selber etwas zu loben und zu preisen geben den
Bekannten und Freunden, allen Menschen, welche Mut und Tugend zu
schätzen wissen, und der dankbaren Nachwelt.
Du hast den Ruf zum großen deutschen Werk vernommen. Deutschlands
erlauchte Retter sind da: Alexander, der Beherrscher einer halben Welt,
Franz, der deutsche Mann und Kaiser, Friedrich Wilhelm, der König einer
Nation von Helden, jeder ein Retter und Schutzengel der Bedrängten.
Hat nicht im glücklichen Einverständnis mit ihnen und allen deutschen
Fürsten und Ständen der Landesherr den Ausspruch getan, daß alle
badischen Jünglinge und Männer, wer sie sind und wie sie heißen, sich
waffnen sollen und auf stehn, wenn das Zeichen gegeben wird, ein
furchtbarer Landsturm, eine eherne Mauer zum Schütze des Vaterlandes und
seines Rechtes, das von Gott ist?
Vetter, es ist ein Wort, das Respekt hat, und dein frommer Sinn versteht
es, wenn ich sage, der Landesherr hat es ausgesprochen:
«Jedermann sei untenan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn alle
Obrigkeit ist von Gott verordnet.»
Item: «Seid Untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es
sei dem König als dem Kaiser oder den Hauptleuten als den Gesandten von
ihnen, zur Rache über die Übeltäter und zum Lobe den Frommen.»
Sieh nicht krumm dazu, Kind des Friedens! Wisse, was du sollst, und
erkenne in deinem Inwendigen die Pflicht dazu! Nicht ausrücken in das
entscheidende Schlachtfeld für fremde Siege, Rechte und Anmaßungen, auch
für deine eigenen Rechte und Vorteile, nicht auf fremdem Boden, nicht
vor fremden Festungen, das tun für dich deine tapfern Brüder, die
Soldaten und Wehrmänner unter dem Kommando der großen Helden und Sieger
- sondern in der Heimat die Heimat schützen, wenn's Not wird, gegen
entlaufenes, herumtreibendes Raubgesindel, das jeder Krieg ausstößt und
zurückläßt. Wer soll es tun, wenn wir es unterlassen? Wie kann es einer,
wenn nicht alle zusammenstehn unter Leitung und Aufsicht von
einsichtsvollen und geübten Obmännern?
Oder die siegreichen Heere der Bundesgenossen stehn schon tief in dem
Lande, das vor ihnen zittert, aber ein feindliches Streifkorps findet da
oder dort einen Umweg oder eine Öffnung und will herüberbrechen über die
Grenzen, um als Feind zu brandschatzen, zu plündern, zu sengen und zu
brennen. Dann sollst du, als ein mannhafter Streiter des Herrn und
Gideon, dich an die Grenze stellen und den Feind büßen lassen seinen
Frevel!
Dann bist du ein großer, achtungsvoller Mensch und stehst oder fällst
nicht mehr im Dienste eines Menschen, sondern Gottes, und in einem
himmlischen Beruf; denn du beschirmst, den himmlischen Heerscharen und
heiligen Engeln gleich, den hilflosen Säugling in der Wiege, die
Unschuld und Ehre der Jungfrau, die einsame Witwe, das kraftlose Alter,
die Kranken, die Sterbenden, daß sie ruhig sterben können, mit einem
Wort: das heilige, das gelobte Land, das dir der Herr dein Gott gegeben
hat, und kein welscher Fluch soll mehr die Altäre entweihen, vor denen
wir Gott dienen, oder die Kirchhöfe, in welchen die Gebeine unserer
frommen Voreltern ruhen. Das ist die Rache über die Übeltäter und das
Lob der Frommen, und kein achtungswerter Mann, der es nicht mit Mut und
Willen tut!
Sieh, Vetter, so steht auf und ist schon aufgestanden, ja bewaffnet ganz
Deutschland vom Meer bis ans Gebirge. Alle edlen Stämme deutschen Bluts,
der Preuße, der Sachse, die Hessen, die Franken, die Bayern, die
Schwaben, was am langen Rhein und an der weitentfernten Donau deutsch
spricht und ist, alles ist ein Mann, ein Mut, ein
Bund und ein Schwur: Deutschland soll frei sein von der Fremden
Joch und Schimpf! Denn die deutsche Nation, in ihren Fürsten und
Häuptern vereinigt, steht unter Gott allein, sonst unter niemand, und
unsre Fürsten sind von Gottes Gnaden und nicht von eines Menschen
Gnaden. Es kann einem Land und einem Volk kein größeres Unglück und
keine tiefere Schmach und Schande widerfahren, als wenn seine Fürsten
und Väter von eines Menschen Gnade sein müssen, sozusagen,
Vetter, als wenn unsre Gemeinde, die doch ihren eigenen Vogt hat, einem
fremden Vogt gehorchen, einer andern Gemeinde Fronden leisten und ihre
Gemeindelasten tragen müßte für Schimpf und Hudelei zum Dank. —
Vetter, zuckt es dir nicht im starken deutschen Arm? Steigt es dir nicht
hoch hinauf im stolzen deutschen Herzen? Hast du noch nicht das Gewehr
in der Hand und die furchtbare Streitaxt zur Seite? Ich lese etwas auf
deiner Stirne. Du sagst: «Unsre Kräfte sind erschöpft, unser Wohlstand
ist zugrunde gerichtet. Gleichwohl hat uns der Feind in zehn Jahren
nicht so hart angemutet und nicht so arm gemacht als der Freund in zwei
Monaten - und jetzt noch ein Landsturm!» Welchem teilnehmenderen Freunde
als mir kannst du diese Leiden klagen? Wem hat das Herz mehr geblutet
und blutet noch, wenn ich an euch denke? Aber so fallen die Würfel des
Schicksals.
Seit mehr als zwanzig Jahren haben wir, wiewohl nicht ohne manches teure
Opfer, gleichwohl in Ruhe unsre Felder gepflügt und Gottes Segen mit
Dank und mit Undank genossen. Unterdessen ist kein anderes Land
verschont und von dem Herrn unheimgesucht geblieben für manche Erkaltung
der Frömmigkeit der Väter, für manchen Leichtsinn, auch für die
Leichtfertigkeit mancher und für das Mißtrauen gegen Gott und gegen sich
selbst. Millionen deutscher Brüder mußten huldigen dem Schwert des
Überwinders und über sich richten lassen ein Gesetz in fremder Sprache.
Bayern, Ostreich sah seine Vorräte aufgezehrt, weggeführt, verwüstet;
blutig flössen ihre Ströme. An allen Kriegsstraßen, weit um alle
Schlachtfelder herum rauchten ihre friedlichen Dörfer, ihre arbeitsamen
Städte. Ganz Preußen, unsern Vätern einst ein hochgepriesener Name, war
sieben Jahre lang unterdrückt, ausgesogen, entehrt. Das blühende
Sachsenland nicht sechs Wochen, sondern viele Monate lang der
Sammelplatz aller Heere von Europa, Freund und Feind zu gleicher Zeit,
fast von einer Grenze zur andern: Ein aneinanderhängendes
Schlachtfeld, eine Brandstätte, ein Kirchhof für die Toten
und für die Lebendigen. Mehr oder weniger arm gemacht, weinend über ihre
erschlagenen Söhne oder Gatten oder Brüder, trauernd über die Trümmer
ihres Glücks und über die Brandstätten ihrer Wohnungen, bieten diese
alle ihre letzten Reste und Kräfte freiwillig dar und ziehen in endlosen
Scharen über den Rhein oder waffnen sich zum großen deutschen Landsturm,
daß sie kämpfen für das Köstlichste, nämlich für ihre und unsere
Rechte, für ihren und unsern Frieden, und für das Letzte, nämlich
für die Zukunft.
Vetter, schlage mit Demut den Blick zur Erde nieder! Haben wir die
einzigen sein wollen, auf welche kein Stein von dem Turm zu Siloah
fallen sollte, die einzigen Gerechten, die ohne Entsündigung die
schwere, die blutige Wiedergeburt der Völker überstehen? Oder wollen wir
uns verdrießen lassen, daß nicht statt des Freundes oder mit ihm der
Feind ist kommen mit allen Geißeln und Schrecken und Greueln des
Krieges, die wir noch gar nicht kennen? Wollten wir lieber auch warten,
bis er kommt, und bis das Schwert gefressen hat, was noch übrig ist, und
das Feuer, was dem Schwert entrann? Vetter, das wäre artig, wenn es uns
einfiele, die Löschanstalten anstehen zu lassen, bis das Städtlein
verbrannt ist.
Sagst du aber: «Der Landsturm wird's nicht zwingen, wenn's die Armee
nicht zwingt im Felde», so sprichst du ein verständiges Wort, und es
geht dir ein Licht auf. Nein, der Landsturm zwingt's nicht ohne die
Armee, aber die Armee zwingt's mit dem Landsturm. Großes kann nur durch
Großes erlangt werden. Die Unabhängigkeit, das Glück, die Ehre einer
ganzen Nation kann nur erobert und bewacht werden durch die vereinte
Kraft der ganzen Nation, wenn sie auf einen Zweck geleitet wird und
jeder seinen Arm, seinen Mut und sein Blut weihet dem Vaterland und der
lieben Heimat. Weißt du, daß wir unbezwinglich sind, wenn wir wollen?
Dem Landsturm und dem Vorschub, den er den Armeen tat, verdankt Spanien
seine Befreiung, Preußen seine Befreiung, seine Siege, seinen wieder
aufstrahlenden Ruhm und der Feind seine Flucht und die Zertrümmerung
seiner Kräfte. Wenn erst durch ganz Deutschland fünf Millionen Flinten,
Äxte, Spieße und Sensen blitzen, meinst du, der Feind werde es noch
einmal wagen, in das Rote Meer zu gehen?
Auf also, Vetter, Bruder, Landsmann, deutscher Sturmgenosse, in die
Reihe der Vaterlandsverteidiger und unter das Heil Gottes! Die ihren Mut
und ihren Arm der guten Sache leihen, an deren Spitze steht mit
flammendem Schild und siegendem Schwert der mächtige Held, der dem
Landsturm unter Gideon den Sieg über die Midianiter verlieh und den Seba
und Zalmuna in ihre Hände gab, der seine Blitze leuchten macht in den
Wolken und seine Donner hören läßt an aller Welt Enden. Herr der
Heerscharen ist sein Name.
Vetter, es gleicht in meinen Augen schon jede vaterländische Stadt,
jedes Dorf der heiligen Stätte, von welcher gesagt ist: «Ich will
Wächter auf deine Mauern bestellen, welche den ganzen Tag und die ganze
Nacht nicht schweigen sollen, und die des Herrn gedenken sollen - der
Herr hat geschworen bei seiner Rechten und bei dem Arme seiner Macht:
Ich will dein Getreide nicht mehr deinen Feinden zu essen geben, noch
deinen Most die Feinde trinken lassen; sondern die es einsammeln, sollen
es auch essen und den Herrn rühmen, und die ihn einbringen, sollen ihn
trinken in den Vorhöfen meines Heiligtums. Siehe, der Herr läßt sich
hören bis an der Welt Ende. Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil
kommt! Siehe, dein Lohn ist bei ihm, und seine Vergeltung ist vor ihm!»
Oder hättest du es lieber so gehört: «Daß man fort nicht mehr da wohne,
und niemand da bleibe für und für, und die Hirten keine Hütten da
aufschlagen, sondern Rohrdommel und Igel werden es innehaben. Denn er
wird eine Meßschnur über sie ziehen, daß sie wüste werde, und ein
Senkblei, daß sie öde sei, daß ihre Herren heißen müssen Herren ohne
Land und alle ihre Fürsten ein Ende haben; und werden Dornen wachsen in
ihren Palästen, Nesseln und Disteln in ihren Schlössern.»
Siehe, das sind zwei Spiegel, in welchem die heilige Weissagung jedem
Volk seine Zukunft vorherzeigt in den Tagen der Gefahr, dem tapfern und
frommen, dem leichtfertigen und feigen. Denn was zuvor geschrieben ist,
ist uns zur Lehre geschrieben.
Auf denn mit vereinter Kraft zum großen Werk! Laßt das Feldzeichen ein
wenig flott wehen! Wenn's gilt, so finden wir uns, und wer mit uns nicht
gleichen deutschen Mutes und Sinnes ist, der braucht uns nimmer zu
grüßen; denn wir danken ihm nicht.