36 - Murets Briefe N, 17. Konvolut 3 / Text
 

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Murets* Briefe N, 17.          1812

Wen Belohnungen, und dieienigen Belohnungen, welche nach der herrschenden Meinung ein Hauptbestandtheil der Glückseligkeit sind, das einzige wären was edle Menschen anlocken könte sich Verdienste um die Menschheit zu erwerben, so würden die Beispiele früher Zeiten, wie manche wie ich glaube, von dem angetrettenen Bahn der Tugend wieder zurückbringen. Es fällt mir bei diesen Gedanken zuerst Athen ein, die Mutter aller schönen Künste ia aller menschlichen Bildung. Diese Stadt war imer den besten Künsten ergeben, angefüllt mit den gelehrtesten Menschen, und so zu sagen eine fruchtbare Erzeugerin derselben aber wer durfte ungestraft ihr einen großen Dienst erweisen? Hat sie nicht einen Miltiades
einen Aeschines einen Demosthenes 1 u. wie viele andre in das Exilum verstoßen, von denen Sie die größten Wohlfahrten genoßen hatte.

Hat sie nicht ienes Muster aller Tugenden d. Sokrates durch Gift hingerichtet, und gerade über den einzigen, der der wahren Gotteserkentniß am nächsten kam, die Straffe verhängt, die auf Ruchlosigkeit u. Religionsverachtung gesezt war.
Ich will nach dem Sokrates keinen mehr nenen, über den sich die Gemüther in dem Grade erbitterten, daß er nur dem Neid aus dem Wege gehen musste, wen er ihm nicht unterliegen wollte.

Aber in dem nemlichen Maß, in welchem der römische Staat alle andern an Macht u. Umfang der Herrschaft über traf, lifert er uns auch eine größere u. reichere Anzahl der artigen Beispiele. Doch ich übergehe alle andern. Welchen Man, der im Dienste des Vaterlands seinen Vortheil oder eine ähnliche Belohnung bezweckt, muß nicht das Unglück des Cicero und sein ganzes Stürme volles Leben von dem Beruf des Staatsmanes abschrecken den wer hat mehr und größere Verdienste um das römische Volk sich erworben?

Und welche schweren Unglücksfälle, welche entehrende Behandlungen, welche schmerzhafte Erfahrung hat er nicht in einem Staat der nur durch seiner klugen Maßnahmen wegen noch existirte, erdulden müssen, der nemliche Man, dem der Senat obgleich er aus keiner erlauchten Familie herstamte, ein Dankfest verordnete den Q. Catulus, M. Cato und viele andere Vater des Vaterlandes mit dem höchsten Recht begrüßten dem nach dem Urtheil des Lucius Gellius die Bürgerkrone von dem römischen V. gebührte.
2 Er selbst verbant, sein Vermögen geraubt, seine Gattin, seine Kinder mißhandelt, sein Haus verbrant, kurz was Clodius verdiente, hat ihn getroffen, und um des willen getroffen, was ihm nie genug konte belohnt werden. 3

Aber es ist etwas höheres, was edle Naturen bestimt, sich um das Vaterland, um die Menschheit verdient zu machen, wen ihnen nicht nur alle Belohnungen verfallen, sondern auch alle Leiden vor die Augen gestellt werden.

Ich erinnere mich von einigen späten Römern gelesen zu haben Oft sagte ein späterer Römer, Leonhard Mocencius**, ein Patrizier aus Rom Venedig, er preise sich glüklich in einer Republik gebohren zu seyn, wo niemand Gefahr laufe, um seiner Verdienste willen dem Neid in vor Gericht gezogen zu werden, u. danke dafür der alles leitenden Vorsehung, gleich wohl wen er in ienen Zeiten gelebt, und der Himel ihm die Wahl frei gestellt hätte, so würde er ohne Anstand das Schicksal eines Cicero, der aus der Stadt, die er rettete verbant wurde Cäsars Schicksal vorgezogen haben, der die unterjochte beherrschte. Und so ist es auch die Tugend ist uneigennützig und keine Dienstmagd, oder wen auch erhabene Geister ie an eine Belohnung denken, so ist es der Ruhm und die Unsterblichkeit ihres Namens von dem sie so ergriffen u. angefeuert werden, daß sie die schwersten Leiden entweder nicht fühlen oder zu verachten wissen.

 

 

   

 

* Murets Briefe = Es handelt sich bei dem Autor der Briefe um den französischen Humanisten Marc-Antoine Muret (auch
   Marc-Antoine de Muret), latinisiert Marcus Antonius Muretus, geboren 1526 in Muret bei Limoges, gestorben 1585 in Rom.
   Seine lateinisch geschriebenen Briefe lagen zu Hebels Lebzeiten in verschiedenen älteren Sammlungen vor, eine Übertragung
   ins Deutsche erschien zuerst 1830 in Nürnberg: „Briefe des Muretus in drei Büchern übersetzt und mit Anmerkungen begleitet
   von Albrecht Roder.“ Hier findet man den Brief in der Abteilung „Zweites Buch“, allerdings mit der Zählung als „Sechszehnter
   Brief“, S. 227 - 233. Hebels Übertragung ist teilweise eine freie Bearbeitung des Textes.


1 =  Miltiades, Aeschines (korrekt: Aischines), Demosthenes = siehe Wikipedia

2 = Es ist nicht zu entscheiden, welche Personen Hebel hier konkret gemeint hat -
      es gibt 4 Quintus Catulus, 2 Marcus Cato und 2 Lucius Gellius = siehe Wikipedia.
3 = Bei Clodius dagegen ist die Sache eindeutig: es handelt sich um Publius Clodius Pulcher, einen römischen Staatsmann,
      um 92 v. Chr , † 52 v. Chr. in Rom. Er war ein berüchtigter politischer Abenteurer in Rom; 58 v. Chr. Volkstribun,
      verbannte seinen Feind Cicero und terrorisierte Rom mit seinen Banden; wurde 52 v. Chr. im Straßenkampf erschlagen.


**
Leonhard Mocenicus (Leonardo Mocenigo) - ihm sind die Briefe (eigentlich Kommentare) 12 bis 16 zugeeignet
     (s. S. 206 d. o. a. Ausg. von 1830)



Hebel geht äußerst sparsam mit den Kommas um, daher sind einige Sätze nur schwer zu lesen bzw. ihr Sinn zu erfassen.

Die Absätze wurden nicht von Hebel gebildet, sondern zur besseren Lesbarkeit im Internet eingefügt.

 

Ein besonderer Dank geht an Rainer Fürst, einem ehemaligen Mitarbeiter der BLB Krhe, dessen Berufserfahrung das Erschließen und Bereitstellen der Quellen (ein Kernstück seiner Tätigkeit) erst ermöglicht hat und der durch seine Beherrschung der deutschen Kurrentschrift einige Lesefehler meinerseits korrigieren konnte sowie durch die Korrektur von Tipp- und Flüchtigkeitsfehlern.

 

 
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