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Murets* Briefe N, 17.
1812
Wen Belohnungen, und dieienigen Belohnungen, welche nach der
herrschenden Meinung ein Hauptbestandtheil der Glückseligkeit sind, das
einzige wären was edle Menschen anlocken könte sich Verdienste um die
Menschheit zu erwerben, so würden die Beispiele früher Zeiten, wie
manche wie ich glaube, von dem angetrettenen Bahn der Tugend
wieder
zurückbringen. Es fällt mir bei diesen Gedanken zuerst Athen ein, die
Mutter aller schönen Künste ia aller menschlichen Bildung. Diese Stadt
war imer den besten Künsten ergeben, angefüllt mit den gelehrtesten
Menschen, und so zu sagen eine fruchtbare Erzeugerin derselben aber wer
durfte ungestraft ihr einen großen Dienst erweisen? Hat sie nicht einen
Miltiades einen Aeschines einen Demosthenes
1 u. wie viele andre in das Exilum verstoßen, von denen Sie die größten Wohlfahrten genoßen hatte.
Hat sie nicht ienes Muster aller Tugenden d. Sokrates durch Gift
hingerichtet, und gerade über den einzigen, der der wahren Gotteserkentniß am nächsten kam, die Straffe verhängt, die auf
Ruchlosigkeit u. Religionsverachtung gesezt war.
Ich will nach dem Sokrates keinen mehr nenen, über den sich die Gemüther
in dem Grade erbitterten, daß er nur dem Neid aus dem Wege gehen musste,
wen er ihm nicht unterliegen wollte.
Aber in dem nemlichen Maß, in welchem der römische Staat alle andern an
Macht u. Umfang der Herrschaft über traf, lifert er uns auch eine
größere u. reichere Anzahl der artigen Beispiele. Doch ich übergehe
alle andern. Welchen Man, der im Dienste des Vaterlands seinen Vortheil
oder eine ähnliche Belohnung bezweckt, muß nicht das Unglück des Cicero
und sein ganzes Stürme volles Leben von dem Beruf des Staatsmanes
abschrecken den wer hat mehr und größere Verdienste um das römische
Volk sich erworben?
Und welche schweren Unglücksfälle, welche entehrende Behandlungen,
welche schmerzhafte Erfahrung hat er nicht in einem Staat der nur durch
seiner klugen Maßnahmen wegen noch existirte, erdulden müssen, der
nemliche Man, dem der Senat
obgleich er aus keiner erlauchten Familie herstamte, ein Dankfest verordnete den Q. Catulus, M.
Cato und viele andere Vater des Vaterlandes mit dem höchsten Recht
begrüßten dem nach dem Urtheil des Lucius Gellius die Bürgerkrone von
dem römischen V. gebührte. 2 Er selbst verbant, sein Vermögen geraubt,
seine Gattin, seine Kinder mißhandelt, sein Haus verbrant, kurz was Clodius
verdiente, hat ihn getroffen, und um des willen getroffen, was
ihm nie genug konte belohnt werden. 3
Aber es ist etwas höheres, was edle Naturen bestimt, sich um das
Vaterland, um die Menschheit verdient zu machen, wen ihnen nicht nur
alle Belohnungen verfallen, sondern auch alle Leiden vor die Augen
gestellt werden.
Ich erinnere mich von einigen späten Römern gelesen zu haben
Oft sagte ein späterer Römer, Leonhard Mocencius**, ein
Patrizier aus Rom Venedig, er preise sich glüklich in einer Republik gebohren zu seyn, wo niemand Gefahr laufe, um seiner Verdienste willen
dem Neid in vor Gericht gezogen zu werden, u. danke dafür der alles
leitenden Vorsehung, gleich wohl wen er in ienen
Zeiten gelebt, und der Himel ihm die Wahl frei gestellt hätte, so würde er ohne Anstand das
Schicksal eines Cicero, der aus der Stadt, die er rettete verbant wurde
Cäsars Schicksal vorgezogen haben, der die unterjochte beherrschte. Und so
ist es auch die Tugend ist uneigennützig und keine Dienstmagd, oder wen
auch erhabene Geister ie an eine Belohnung denken, so ist es der Ruhm
und die Unsterblichkeit ihres Namens von dem sie so ergriffen u.
angefeuert werden, daß sie die schwersten Leiden entweder nicht fühlen
oder zu verachten wissen.
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* Murets
Briefe =
Es handelt sich bei dem Autor der
Briefe um den französischen Humanisten Marc-Antoine Muret (auch
Marc-Antoine de Muret), latinisiert Marcus Antonius Muretus,
geboren 1526 in Muret bei Limoges, gestorben 1585 in Rom.
Seine lateinisch geschriebenen Briefe lagen zu Hebels Lebzeiten in
verschiedenen älteren Sammlungen vor, eine Übertragung
ins Deutsche erschien zuerst 1830 in Nürnberg: „Briefe des Muretus
in drei Büchern übersetzt und mit Anmerkungen begleitet
von Albrecht Roder.“ Hier findet man den Brief in der Abteilung
„Zweites Buch“, allerdings mit der Zählung als „Sechszehnter
Brief“, S. 227 - 233. Hebels Übertragung ist teilweise eine freie
Bearbeitung des Textes.
1 = Miltiades, Aeschines (korrekt: Aischines),
Demosthenes = siehe Wikipedia
2 =
Es ist nicht zu entscheiden, welche Personen Hebel hier konkret
gemeint hat -
es gibt 4 Quintus Catulus, 2 Marcus Cato
und 2 Lucius Gellius = siehe Wikipedia.
3 = Bei Clodius dagegen ist die Sache eindeutig: es handelt sich um Publius
Clodius Pulcher, einen römischen Staatsmann,
um 92 v. Chr , † 52 v. Chr. in Rom. Er war ein berüchtigter politischer
Abenteurer in Rom; 58 v. Chr. Volkstribun,
verbannte seinen Feind Cicero und terrorisierte Rom mit seinen Banden;
wurde 52 v. Chr. im Straßenkampf erschlagen.
** Leonhard Mocenicus
(Leonardo Mocenigo) - ihm sind die Briefe (eigentlich Kommentare) 12 bis
16 zugeeignet
(s. S. 206 d. o. a. Ausg. von 1830)
Hebel geht äußerst sparsam mit den Kommas um, daher sind einige Sätze nur
schwer zu lesen bzw. ihr Sinn zu erfassen.
Die Absätze wurden nicht von Hebel gebildet, sondern zur besseren
Lesbarkeit im Internet eingefügt.
Ein besonderer Dank geht an Rainer Fürst,
einem ehemaligen Mitarbeiter der BLB Krhe, dessen Berufserfahrung das
Erschließen und Bereitstellen der Quellen (ein Kernstück seiner Tätigkeit)
erst ermöglicht hat und der durch seine Beherrschung der deutschen Kurrentschrift einige
Lesefehler meinerseits korrigieren konnte sowie durch die Korrektur von Tipp- und Flüchtigkeitsfehlern.
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