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 1787, den 10. Dezember

 

1. Es scheint in allem Geschaffenen der Erde nur eine Hauptform zu herrschen, die durch alle Teile fortgeführt und in dem Menschen vollendet wird. Nehmen wir die Erde im großen als eins, so scheint sie nach einer größern Hauptform, in der alle andern Planeten und Sonnen gebildet sind, ebenfalls mitgebildet zu sein. Wahrscheinlich hängt auch, wie etwa die Naturreiche unseres Erdenballes oder ihre Klassen, ebenso die gesamte Schöpfung auf den sämtlichen Planeten untereinander zusammen, und es ist auch hierin ein Plan, eine Form, die durch alles fortlauft. In einem Weltkörper fängt sie vielleicht, wenn es möglich ist, auf einer tiefern Stufe, als bei uns, an; in einem andern geht die Kette, die hier in ihrem letzten Glied, dem Menschen, scheint abgerissen zu sein, weiter; dort in einem andern wird vielleicht eine Seitensprosse, für welche hier nicht Raum war, weiter ausgeführt, oder es sind im ganzen alles ebenso viele Sprossen eines und desselbigen Stammes.

2. Wie in der Bildung eine Form, so in den Erscheinungen und Schicksalen der Dinge einerlei Gesetze, in den Gesetzen derselbige Geist. "Wie der Körper nur im Gleichgewicht ruhig bleibt und sichern Stand hat, so wie er, wenn das Gleichgewicht gehoben ist, sich durch Schwingungen in dasselbe zurückarbeitet oder auf immer aus seiner Stelle verrückt bleibt, so ist's auch auffallend ähnlich im Reich geistiger Kräfte. Wie durch die Versetzung und Zusammenmischung von Dingen, die entgegengesetzter Natur sind, entweder eines das andere verschlinge oder beide zu Grund verdorben werden oder sich eines von dem andern scheidet oder eine Gärung entsteht, ans der sich etwas Neues, Besseres läutert, so ist's auch mit der Zusammenmischung zweier Völker von verschiedenem Charakter, so mit der Kollision verschiedener Grundsätze und Begierden. Solche Gärungen entstanden und solche Korruptionen, als zur größten Barbarei und Sittenlosigkeit die edelste Sittenlehre Jesu und wieder zur einfachsten Lehre Jesu die spitzfindige neuplatonische Philosophie kam.

3. Lange hielt ich es für möglich, daß die Erde vielleicht nie veralte, sondern ewig fortdauern werde. Nichts, dachte ich, geht doch in ihr verloren. Es ist alles nur Wechsel, neues Leben aus dem Tod, Abgang hier, Zufluß dort. Jetzt kann ich mir nichts anderes mehr denken, als daß sie, die einst nicht war, was sie jetzt ist, mit der Zeit auch nicht mehr das nämliche sein könne. Sollte das Schicksal aller Geschöpfe, die sie am mütterlichen Busen nährt, nicht zuletzt ihr eigenes sein? Wie ein Baum dem ändern und ein Mensch dem ändern, zwar nicht gerade an der nämlichen Stelle und nicht dem nämlichen nach Gestalt und Teilen, aber doch einem seiner Art Platz macht, d. h. wie er, wenn sein Mechanismus zerstört ist, in die Erde zurückkehrt, um zu dem Neuen, das irgendeinmal und an einem Ort werden soll, seine aufgelösten Teile als Material zu liefern: sollte nicht ebenso die Erde ihren Teilen nach, vielleicht aus der Sonne, der Schöpfungsstätte der Planeten, sich losgewunden, ihren Teilen nach in diesem Punkt des Weltalles sich gesammelt haben? Sie hat in den Fluten, die sie bedeckten, als Embryo die Periode ihrer ersten Bildung ausgehalten, sie hat in ihren gewaltsamen Erschütterungen, in ihren ehemals so zahlreichen Vulkanen, in ihren Überschwemmungen die Krankheiten ihrer Kinderjahre, der jugendlichen Gichter, der gärenden Säfte des noch nicht berichtigten Gleichgewichts ihrer festen und flüssigen Teile überstanden; jetzt scheint sie in ihren besten, blühendsten Jahren zu gedeihen; aber einst wird sie, wenn es wahr ist, was einige Kosmologen gegen den Widerspruch anderer behaupten, daß sie nach und nach eine engere Bahn um die Sonne beschreibe, einst wird sie alt und lebenssatt in den mütterlichen Schoß der Sonne zurückkehren, sich wieder auflösen, sich neu und anderst zusammensetzen, d. h. Teile zu andern Kompositionen hergeben, Teile von andern Destruktionen empfangen. Unterdessen wird ein neuer ihr ähnlicher oder unähnlicher Körper auf gleiche Weise entstehen, ihren Platz einnehmen, damit überall, wie im Kleinen, so im Großen, wie im Raum, so in der Zeit, Abwechslung und Mannigfaltigkeit herrsche.

 

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