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Gutachten
über die Frage, wie dem Gebrauch anstößiger Volkslieder am sichersten vorzubeugen sein möchte |
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[1812]
Es verratet ein achtungswertes Zutrauen zu dem Sittlichkeits- und Anständigkeitsgefühl der menschlichen Natur, wenn man annimmt, daß selbst in den untersten und verwahrlostesten Klassen des Volkes anstößige und sittenwidrige Lieder bloß aus Mangel an Bekanntschaft mit bessern gesungen und durch Bekanntmachung von solchen verdrängt werden können; ein Zutrauen, das durch die Resultate aus Erfahrung bestätigt (wird) und durch die Erfolge aus der vorgeschlagenen Gegenvorkehr gekrönt zu werden verdient. Einige Zweifel dagegen, die mir das Nachdenken über den Plan des Unternehmens herbeiführte, will ich jedoch nicht unterdrücken. Nicht Mangel an Bekanntschaft mit bessern Liedern scheint die Ursache zu sein, daß sittenwidrige Lieder gesungen werden. Ich will nicht davon reden, daß schon die Mildheimische und vielleicht ähnliche Sammlungen auf verschiedenen Wegen in die Hände des Volks gelangt sind. Der gewöhnlichste Weg, auf welchem die Lieder für die rohesten Volksklassen in ihr Publikum übergehen, sind die bekannten Liedertische auf den Jahrmärkten, wo reiche Sammlungen solcher Produkte, gewöhnlich vier zusammen auf einem halben Bogen Löschpapier, dem gutgekleideten Käufer für drei, dem lumpigen für einen Kreuzer mit Einschluß des Honorariums für den Unterricht in der Melodie losgeschlagen werden. Es sind aber bei weitem die meisten dieser Quartette von Zotenhaftigkeit ganz rein, und in den übrigen zeichnet sich doch gewöhnlich nur eins unter vieren durch schmutzig-pöbelhaften und noch seltener durch eigentlich unzüchtigen Inhalt aus. Von den andern sind manche vielleicht in hohem Grade sinn- und geschmacklos; aber in sittlicher Hinsicht sind sie rein, und es liegt (in) dem Verhältnis derselben zu dem unreinen zum Teil eine feine Spekulation der Verleger. Denn der züchtige Käufer nimmt zu den drei reinen das vierte mit, und für den unzüchtigen macht das eine die drei ändern verkäuflich. Teils beweist dasselbe Verhältnis, das von alters her das nämliche ist, daß die Nachfrage nach züchtigen Liedern doch immer noch die größere ist und die unzüchtigen noch immer bloß als Sporco mit jenen abgesetzt werden können. Aber bei weitem nicht alle dieser Lieder sind neben der sittlichen Unschädlichkeit zugleich von ästhetischem Unwert. Viele volksmäßige Lieder unserer guten altern und neuern Dichter, ich nenne Hölty, den Verfasser des Siegwart, Heinrich Stilling, Asmus, Bürger, Schubart, finden sich schon alle auf den nämlichen Tischen, in dem nämlichen Format, im nämlichen Preis, bald vier zusammengedruckt, bald einzeln unter andern ebenso wie jene schmutzigen versteckt: ohne Zweifel schon frühere Versuche edler Volksfreunde, durch bessere Lieder die schlechten und den Geschmack daran in diesem Publikum zu ertöten, und es rührt daher der lächerliche Mißgriff, durch welchen einige dieser Gedichte, z. B. Schubarts Kaplied und Pfeffels Lied von des Graf Walters Pfeifenkopf, sich wieder in des Knaben Wunderhorn verlieren und die Heimweisung der Gasse und des siebzehnten Jahrhunderts erhalten konnten. Wenn es aber kein sicheres Mittel gibt, etwas zur Verbreitung unter das Volk zu bringen, als diese Anthologien, wenn diese Elzevire alle Jahrmärkte besuchen und von allen Marktgängern besucht werden, so kann schwerlich der Gesang unanständiger Lieder aus dem Mangel an Bekanntschaft mit den anständigen hergeleitet und durch fernere Vermehrung des bereits unbenutzten Vorrats an diesen verdrängt werden, und es steht keiner ändern Vermutung als der schlimmsten, aber darum nicht befremdenden oder hochbedenklichen der Weg offen, daß jene Lieder von denen, die sie singen, aus den übrigen nach Geschmack gesucht und gefunden werden. Schon diejenigen Stände, welche sich für berechtigt halten, die gebildeten zu heißen, sinken ja in ihren Individuen von der höchsten Stufe, die den Menschen an den Engel reiht, an zwei Linien, der ästhetischen und moralischen, bis zu einer Gemeinheit herab, in welcher man mitten zwischen den Quellen der feinsten und edelsten Unterhaltung an der fadesten und schlüpfrigsten Romanlektüre sich erlaben, mit den zweideutigsten und unzweideutigsten Scherzen sich Abende lang unterhalten und ebenfalls, nur nicht auf der Gasse, Lieder singen kann, die auch nicht im Gesangbuch stehen, und man müßte entweder glauben, daß in den Tiefen der gemeinsten Volksstände keine solchen Hefen liegen, oder man müßte diesen Rohen und Versunkenen zutrauen können, daß sie allein zur Veredelung ihres Geschmackes etwas anderes singen könnten, als was ihr Geschmack zur Befriedigung fordert, wenn diese Erscheinung ebenso das Befremden als das Bedauern des Menschenfreundes rege machen könnte. Der einzig richtige Weg, diesem Übel von innen heraus abzuhelfen, wenn er sich nur nicht in das Land der frommen Wünsche verlöre, wäre daher, den Charakter und Geschmack des Volkes durch Erziehung, Belehrung und, was am wirksamsten sein würde und am wenigsten geschieht, durch Behandlung zu erheben und zu veredeln und unterdessen geschehen zu lassen, was man doch nicht hindern kann: daß jeder, solange er die Wahl hat, einstweilen zu seinem Gesang wähle, was einstweilen seinem Geschmack zuschlägt. Das einzige äußere Palliativmittel aber ist meines Erachtens, diese Wahl zu beschränken, was keineswegs durch eine abermalige Vermehrung der guten und unschädlichen Lieder, sondern durch allmähliche Verminderung und, wenn es möglich wäre, Vertilgung der schlechten zu bewirken ist. Wenn ich indes nicht eine zu gute Meinung von dem badischen Landvolk habe, das doch in Vergleichung mit vielen andern wirklich gut ist und die schönen Früchte einer wohltätigen Staatserziehung nicht verleugnet, und wenn meine zufälligen Beobachtungen an ihm nicht zu flüchtig und mangelhaft sind, so scheint es mir, daß bei demselben die Vorliebe für zotenhafte Lieder nicht einmal endemisch sei. In der Regel werden sie eher von fremden Handwerksgenossen und Gesinde gesungen und eingebracht und finden alsdann freilich Gemüter da und dort, welche für die Ansteckung dieser Krankheitsmaterie, wogegen es keine Vakzinationslieder gibt, große Empfänglichkeit haben. Ehe ich aber meine unmaßgeblichen Vorschläge zu einer Veranstaltung darlege, nach welcher meines Erachtens am besten jene unschädlichen und guten Lieder in Umlauf gesetzt und diese ungesitteten entfernt werden könnten, sei es mir vergönnt, diesen Gegenstand noch von einer ändern Seite darzustellen und daran zu zeigen, wie schwer es sei, vielleicht auf jede andere Art, nicht nur an der unzüchtigen, sondern auch an der geschmacklosen Lieder Statt bessere zur guten Aufnahme bei dem Volk und zur Lebendigkeit des Gesanges zu bringen. Das Volk singt nicht leicht außer den Stunden des Frohsinnes. Der Frohsinn aber singt nicht gern etwas Fremdes in sich hinein, sondern etwas Eigenes oder Angeeignetes aus sich heraus, und so sehr die Liedertische auf dem Markt besucht werden, so werden doch die neuesten Produkte dieses Buchhandels von den Käufern meistens nur gelesen, höchstens auf kurze Zeit gesungen oder in Gesang versucht. Je tiefer wir aber zu der rohesten Volksmasse herabgehen, für die doch eigentlich das Heil zu suchen ist, desto mehr treten uns folgende Erscheinungen entgegen: 1. Die rohesten Menschen kommen, um dem Frohsinn Luft zu machen, mit der geringsten Anzahl von Liedern aus. Andere Gesänge hört die Dreisam, andere der Neckar; aber manche Kameradschaft singt vielleicht nicht mehr als sechs bis acht, manches Tal nicht mehr als zehn bis zwanzig Lieder. Sie verlangen nicht mehr; denn sie bedürfen nicht mehr. Was am ersten Sonntag nach Trinitatis gut war, ist's am zweiten wieder. 2. Es findet hier nicht viel neuester Geschmack und Wechsel der Liebhaberei statt. Einige Ephemeren in jeder Zeit abgerechnet, bleiben die wenigen Lieder, die einmal gang und gäbe geworden, auch meistens die nämlichen während der ganzen gesanglustigen Periode des Lebens und reichen oft für mehrere Generationen zu. Das Lied ,Kaiser Joseph, willst du noch usw.' ist noch nicht vergessen, obgleich Kaiser Joseph schon lange nicht mehr will. 3. Diese Kinder Melpomenens bedürfen für ihre Lieder keinen Sinn. Sie wollen bei dem Gesang nichts denken und nichts fühlen, nur einen Text haben für die Töne. So singt der Bewohner der Rheinebene die Alpenlieder der Schweiz, der Handwerksgenosse Jägerlieder, z. B. ,Schönstes Hirschlein über die Maßen', - der Deutsche das polnische Vaterlandslied, als ob einige Stellen desselben, wie das Unterpfand einer Weissagung, nicht vor dem Jahre 1812 hätten untergehen dürfen. Der Inhalt des viel gesungenen Liedes: ,Ein Lämmlein trank von frischen usw.' ist nichts anderes als des Phädrus Fabel: ,Ad rivum eundem etc.' und hat außer dem Schluß: Die Armen gelten wenig, nichts Volksmäßiges, wenn es nicht die Fabel als solche schon an sich ist. Ohne Zweifel wird die Wahl außer dem Zufall durch die Melodie entschieden. Auf alle Fälle irrt, wer glaubt, daß das Volk aus mehreren Liedern die sinnigsten und passendsten wähle. Wenn es indessen wählt, so liebt es einen wunderlichen Silbenschlag, z. B. ,Vivla, Vivla, Vivla la', mehr den Witz als die Gemütlichkeit und einen Ton, der zu verraten scheint, daß auch die besten dieser Lieder von solchen zunft- und wirtshaussässigen Genies selber verfertigt seien, und der sich in der Nachbildung schwer treffen läßt. Goethe hat zwei Lieder: ,Dort oben auf jenem Berge.' Aber das ältere Urlied gleichen Anfangs kann doch selbst für einen gebildeten Leser, der ein Ohr für Volkston hat, das wertere bleiben. Ja, es scheint mir, daß die beliebtesten dieser Lieder nicht einmal aus den Flugblättern in die Gegend, wo sie gesungen werden, übergegangen, sondern daselbst entstanden oder mündlich eingebracht und erst später in die Flugblätter aufgenommen worden seien. Des Knaben Wunderhorn hat unter den ersten fünfzig Liedern schon sechzehn, denen die Sammler keine andere Hinweisung geben konnten als: Mündlich. Scheint die Richtigkeit dieser bisherigen Angaben zweifelhaft, so darf ich nur an Erscheinungen erinnern, die jeder Beobachtung naheliegen. Der Schnurrant singt und spielt in jeder Kneipe jahraus, jahrein die nämlichen Lieder. Der akademische Student, wenn noch so roh, doch hochgebildet gegen den Mühlarzt und Trainsoldaten, mit den Schätzen der neuesten schönen Literatur bekannt, hat und singt, wenn es gilt, nur wenige, meist rohe Burschenlieder, die der Vater daheim auch noch auswendig weiß. Er liest mit Entzücken Schillers schönste Gesänge und singt mit Lustig sind wir, lieben Brüder, hat sogar unstudentische, sogar gemein soldatische Lieder, z.B. Der Kaiser hat brave Soldaten, in seinen Kanon aufgenommen, und sie haben sich darin erhalten. Selbst im gebildeten Zirkel, ich rede nicht von musikalischen Abendstunden, nicht von den Gesängen ex officio bei Vaterlandsfesten, aber wo beim Becherklang die Gesangslust ungerufen laut wird, kann man auch jahrelang die nämlichen wenigen Lieder hören, z. B. Süße, heilige Natur. Selbst die heilige Andacht, die einfältige und tiefe, die sich nicht in das leere Herz hineinpumpen läßt, sondern aus dem vollen heraus will, singt wenige Lieder und gerne die nämlichen, nicht immer die schönsten, aber die liebsten, und die Lieder des alten Gesangbuchs sind glücklicher und geschwinder aus den Kirchen und Schulen als aus den Häusern und Herzen verbannt worden. So begegnet der Mensch überall dem Menschen. Aber alles Einseitige und Beschränkte, alles Gewohnheitsmäßige und die unvertilgbare Vorliebe für alles, dem dunkle Gefühle sich eingemischt oder angehängt haben, multipliziert sich, um mathematisch zu sprechen, von der höchsten Stufe, auf welcher der Mensch noch Mensch ist, bis zur tiefsten hinab in die Quadrate der Entfernungen. Diese Bemerkungen enthalten einen Hauptgrund, warum alle Versuche, das Volk an reinere und sinnigere Lieder zu gewöhnen, bisher gescheitert sind, und die Bürgschaft, daß der nächste neue, wenn er auf dem nämlichen Weg geschieht, wieder scheitern wird. Bürgers schönste Volkslieder und Schubarts getroffenste, dem Volke auf hundert Wegen zugespielt, gingen im Gesang nie auf oder bald wieder unter, während die alten im Geschmack und Ton folgender Musterverse: Zu Amsterdam in Holland oder: Schöns Gretel, komm herab, im lebendigen Strom aus dem 18. in das 19. Jahrhundert übergegangen sind und in allen Schenken und auf allen Gassen fortgesungen werden. Demnach wäre mein unmaßgeblicher Vorschlag nach allem bisher Vorgetragenen: dem Volke nichts mehr indirekte aufzudringen, noch direkte anzubieten, wofür es keinen Geschmack und keine Empfänglichkeit hat, und wogegen seine verschmähende Wahl schon lange standhaft und einstimmig entschieden ist, - dagegen aber seinem eigenen Geschmack nachzugeben, denselben durch eine Revision des vorhanden Vorrates vor Verirrungen zu bewahren und ihm die Wahl des sittenwidrigen und schlechtesten zu erschweren. Ich stelle daher höherer Ermessung ehrerbietig anheim, ob folgende Vorschläge dazu ausführbar und zweckbefördernd möchten erfunden werden: 1. Daß die Lieder einer neuern Sammlung nicht in neuen, noch unbenutzten Quellen aufgesucht, sondern größtenteils aus jenen schon vorhandenen alten, so sehr akkreditierten Volksliedern mit Weglassung aller ekelhaften und pöbelhaften und gar zu albernen zusammengetragen werden. 2. Daß die neu zu veranstaltende Sammlung vereinzelt in der beliebten Form: «Vier neue weltliche Lieder usw., gedruckt in diesem Jahr», gefertigt und zum Verkauf vereinzelt der Wahl des Käufers überlassen werde. 3. Daß zulieb den sinnigem Gemütern, die auch für etwas Besseres Empfänglichkeit haben, jezuweilen unter drei gemeine ein oder zwei edlere Lieder ebenso eingeschwärzt werden, wie es bisher mit dem unanständigen geschah. 4. Daß, sobald die Sammlung zum Verkauf fertig ist, alle bisherigen Flugblätter dieser Art für die inländischen Märkte verboten und kassiert werden und nur diese neue Sammlung und Auflage die Zulässigkeit auf die Märkte und zur schnelleren Erkennung irgendeine ausgezeichnete Vignette erhalte und, wenn ausländische Krämer sich nicht dazu verstehen würden, nur Inländer mit dem Recht dieses Verkaufs belehnt würden. Dies ist nach meiner Einsicht und dem Resultat meiner Erfahrungen, wenn noch etwas versucht werden kann und soll, das einzige Mittel zum Zweck, und ich könnte eine Einwendung dagegen, «daß die ausgestoßenen Lieder gleichwohl noch von Grenzbewohnern auf ausländischen Märkten gekauft oder von ausländischem Gesinde eingebracht, auch wohl im Lande selbst verkauft werden können», ganz mit Stillschweigen übergehen, da diese nämlichen Schleichwege auch unter jeder andern und anders eingerichteten Sammlung offen bleiben und nichts beweisen, als, was schon zuviel ist, daß das Übel, solange es rohe und unsittliche Gemüter gibt, die diese Ware für ihren Geschmack bedürfen und mit Geld oder Beifall bezahlen, nicht wird zu heben sein; und ich will die vierte und schlimmste Elusion auch nicht verschweigen, daß das Volk, wenn auch alle bisher üblichen schandbaren Lieder seinen Händen und Lippen auf einmal durch ein Wunder entzogen werden könnten, Leute genug in seiner eigenen Mitte hat, die ihm wieder so viel neue machen können, als es bedarf. Gleichwohl könnte vielleicht auch diesem Unheil noch ein Versuch mit Hoffnung entgegengesetzt werden, wenn, was zwar ohne Zweifel auch schon geschehen ist, den Ortsvorgesetzten, Kirchenältesten und Wirtshausvisitatoren in den Umfang ihrer Pflicht gegeben würde, auf den Inhalt der Lieder, welche öffentlich gesungen werden, aufmerksam zu sein und sodann die Betretenen vor die Zensur gezogen und, zwar nicht mit einer Buße am Körper oder Geld, wohl aber von dem Pfarrer und ersten Vorgesetzten nach Befinden mit väterlicher Ermahnung oder durchgreifender Kastigation in Worten angesehen würden, was doch wenigstens bei der heranwachsenden Jugend nicht ohne Eindruck bleiben dürfte.
[Es liegen noch neun weitere, jedoch durch Durchstreichen praktisch unleserlich gemachte Zeilen über die Frage, welche Klasse die meisten unzüchtigen Lieder singe, vor.]
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