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Geister und Gespenster

   

 

 Geist und Gespenst werden im gemeinen Leben oft verwechselt, müssen aber unterschieden werden. Nicht jeder Geist, selbst auf dem Gebiet des Aberglaubens, ist ein Gespenst. Der Geist ist unsichtbar, das Gespenst ist sichtbar.

Geist, in welcherlei Sinn man das Wort nehmen will, bezeichnet allemal die unsichtbare Ursache zu einer wahrnehmbaren Wirkung und ursprünglich gar nichts anderes.

Den ältesten Anspruch auf diese Benennung haben daher Atem, Luft, Wind; hebräisch: Ruach, griechisch: lateinisch: animus und Spiritus.

Geist im Wein: das Unsichtbare, Belebende, Erwärmende, Stärkende, Berauschende im Wein.

Geist im Menschen: das Unsichtbare, Belebende, Tätige, Schaffende im menschlichen Körper.

Geister in Feld und Hain: die unsichtbaren Naturkräfte bei allen Nationen, selbst hie und da in der Bibel, Dryaden, Brunnengeister, Berggeister, Gnomen, Elfen, der Engel an der Tenne Aravna usw.

Der ewige göttliche Geist: die ewige unsichtbare Ursache, durch welche alles ist und in seiner Ordnung und Kraft besteht. Röm. 1, 20; Apostelgesch. 17, 24. 25. 28.

Eine solche unsichtbare Ursache zu ihrer wahrnehmbaren Wirkung kann nur zugleich eine ganz unbekannte Ursache sein, oder sie kann durch Zufall, Beobachtung oder tiefes Nachdenken dem menschlichen Verstande wenigstens bis auf einen gewissen Grad erkennbar und erklärbar werden. Im letzten Fall wird oft die Benennung Geist im Sprachgebrauch wenigstens mit der Länge der Zeit aufgegeben, oder wenn man sie beibehält, so denkt man sich dabei, soviel man von der Sache weiß.

Im ersten Fall kann sich der Mensch nicht begnügen bei der Idee ,unsichtbare Ursache' stillezustehen. Der Denkende forscht und macht Hypothesen, bis er den Geist ergriffen hat oder ergriffen zu haben glaubt, und der sinnliche Naturmensch, der träge, der nicht selber denken, nicht einmal andern nachdenken mag, und der rohe, der beides nicht einmal kann, personifiziert sich die unsichtbaren und unbekannten wirkenden Kräfte, denkt sie sich und seinem Geiste ähnlich als verständig handelnde Wesen, oder er erklärt sich das Unbekannte aus dem analogen Bekannten oder Bekanntern. Auch das ist eine Hypothese und gar nicht die absurdeste, die in dieser Materie schon zur Sprache gekommen ist.

Aus dieser etymologischen Betrachtung geht hervor, was auch die Erfahrung lehrt:

1. Daß es Geister geben könne, d. h. unsichtbare und unerkannte Ursachen zu sichtbaren Wirkungen, die sich der menschliche Geist im nämlichen Grade, wie er die Wirkungen regelmäßig und Zwecke dadurch erreicht findet, notgedrungen als sich, ähnliche, d. h. denkende und handelnde Wesen vorstellt.

2. Daß der Geister immer weniger werden, je mehr man durch Beobachtung und Nachdenken mit der Natur bekannt wird.

3. Daß man nach und nach, je öfter und länger man durch neue Entdeckungen die Erfahrung macht, daß das, was man einst für Geister hielt, keine solche seien, endlich auf den Gedanken kommen könne, es gebe gar keine Geister, und daß diese Vermutung nichts weniger als sicher sei, wenn sie keinen ändern Grund hat als den Schluß aus der Erfahrung: Nicht alles sind Geister, was man bisher oder einst dafür hielt.

4. Daß zur nämlichen Zeit in einer Gegend Geister sein können, wo in einer andern und nahen keine sind, z. B. auf dem Land mehr als in Städten.

Und so läßt sich denn auf der Studierstube ausmachen, daß auch

5. bei uns auf dem Lande der Geisterglaube noch ganz und gar sein müsse, weil unsere Landleute, auch die verständigsten, und selbst die Schullehrer und selbst die Pfarrer noch lange nicht imstande sind, zu allen Erscheinungen des Lebens die unsichtbare Ursache zu erkennen oder zu zeigen.

Dürfte aber der Frage, wie dieser Geisterglaube zu töten sei, nicht eine andere vorauszusetzen sein, ob er getötet werden könne, und wenn er unschädlich und weise geleitet werden kann, ob es ratsam sei, ihn töten zu wollen?

Jedes Volk und jede Volksreligion auf der Erde hat unter diesem oder einem andern Namen und Typus ihre Geister, - liebliche oder häßliche und schreckliche Wesen, Gebilde einer feinern oder einer groben sinnlichen Phantasie, und jedes Volk streift sich erst alsdann in seinen einzelnen Individuis und nie in allen und nie ganz von ihnen los, wenn es zu einer hohen Aufklärung sich emporgeschwungen hat. Bis dahin liegt der Glaube an sie im menschlichen Geist selbst und ist ihm Bedürfnis. Man müßte, wenn man ihn davon befreien wollte, ehe man ihm alles Unerklärbare in der Natur und den Erscheinungen des Lebens erklärt hat, entweder den Zusammenhang zwischen Wirkungen und Ursachen zerreißen und ihn gewöhnen, Wirkungen zu beobachten, ohne sich um die Ursache dazu zu bekümmern, d. h. nicht mehr zu denken, sondern bloß zu genießen und zu dulden, was der Zufall bringt; oder man müßte die immer geschäftige, bindende und einkleidende Phantasie in ihm töten, die überall anblümt, wo für den denkenden Verstand noch keine Ernte steht. Aber wer vermag das eine oder das andere? Wer kann es auch nur wollen?

Es ist wahr, daß unser Geisterglaube ein geschmackloser und häßlicher Geisterglaube sei, und wir haben ihn oder wenigstens die Keime dazu der christlichen Religion zu verdanken, so wie wir sie empfangen haben, auf daß es wahr bleibe, die Vorsehung gebe uns kein so großes und schätzbares Gut, zu dem wir nicht eine kleine Zugabe von Ungemach mitnehmen müssen, so wie nach dem alten Sprichwort auch umgekehrt kein Unglück so groß ist, es sei denn ein kleines Glück dabei.

Jede Nation, die sich frei bildete, schaffte sich ihre eigene Mythologie oder modifizierte sich die entlehnte ihrem Genius gemäß. Sei sie ursprünglich so roh und dürftig sie wolle, sie ist wie das Volk, dem sie angehört, ihm, seinem Charakter, seinen Bedürfnissen, seinem Boden und Himmel eigen oder angeeignet und kann mit der Zeit sich veredeln und sinnig bereichern, wie das Volk selbst sich veredelt, seinen Boden um sich verschönert und sein Himmel über ihm milder und heiterer wird.

Die Mythologie der Deutschen war, soviel wir von ihr wissen, einer solchen Veredlung und Bereicherung wohl fähig; aber sie mußte der christlichen Religion weichen, die uns einen fremden, unnationalen Geisterglauben brachte, den sie zum Teil selber nur von den Juden, so wie diese von den Chaldäern aufgeladen hatte, und der unter unserm nördlichen Himmel, für welchen er nicht geeignet ist, notwendig verkrüppelte und die Triebkraft seiner noch unentwickelten Blütenknospen verlor wie eine Pflanze, die ihr aus ihrem warmen heimischen Boden in einen andern und schlechtem versetzt. Daher müssen wir selbst, wenn wir das Bedürfnis eines edlen Geisterlebens um uns fühlen und uns in seine entzauberten Kreise zurücksehnen und gerne zurücktäuschen wollen, noch einmal zu einer fremden, aber unter ihrem eigenen Himmel frei und unbeschrien ausgebildeten Mythologie, der griechischen, greifen, weil wir unsere eigentümliche verloren haben und den eingetauschten orientalischen Geisterglauben mit seinen spätem abendländischen Auswüchsen nicht brauchen können. Und dem gemeinen Mann, der von den Göttern Griechenlands nichts weiß und wegen ihrer Unvertragbarkeit mit dem christlichen Religionsglauben nichts wissen darf, bleibt zur Belebung der Natur um ihn her und zur Belebung seiner eigenen Wohnung mit unsinnlichen Wesen und personifiziert wirkenden Ursachen zu unerklärbaren Wirkungen nichts übrig als, ein paar unschuldige Berggeister abgerechnet, die bösen Geister, die in der Luft herrschen, die Geister alter Ritter, Mönche und Missetäter im Zwinger zerstörter Burgen, umgebauter Klöster und moderner Hochgerichte und Kirchhöfe, höchst selten und immer seltener fast nur noch bei ändern da und dort ein Engel, und es wäre (incidenter es zu erwähnen) eine Frage, die nicht nur in psychologischer, sondern selbst in moralischer und religiöser Hinsicht eine Untersuchung verdiente, warum der Glaube an einen Verkehr der Engel auf der Erde fast ganz verschwunden ist, während der Teufelsglaube noch kräftig sich behauptet, und warum jener sich nie so entwickelt und ausgebildet und mannigfaltig modifiziert hat wie dieser, da doch die Bibel ebenso viele, wo nicht mehr, und sicherere, wenigstens ansprechende Data dazu gibt.

Indessen ist es nun mit unserm Volksaberglauben, wie es ist, und die Zeit, die ihn uns gegeben hat, läßt sich nicht mehr zurückspinnen. Aber ich glaube, es wäre dem Beruf weiser Volkslehrer angemessener, ihn einzuschränken, ihn womöglich zu verschönern und zu veredeln und durch besonnene Leitung unschädlich zu machen und zu moralischen Zwecken zu benutzen.

1. Weil er so tief in der Natur des sinnlichen Menschen und in der sinnlichen Natur jedes Menschen überhaupt liegt und nicht in sie hineingetragen, sondern in ihr geboren und daheim ist.

2. Weil wir alle noch gar nicht gewiß wissen, wenn wir auch, um unserer Aufklärung zu schmeicheln, zu wissen meinen, daß es gar keine Geister, keine unsichtbaren Bewohner unserer Planeten und keinen verborgenen Verkehr von außerirdischen Geistern mit ihm gebe. Oder woher wüßten wir's, die wir noch das Datum angeben können, vor welchem man von den magnetischen, elektrischen, galvanischen und ändern physischen Kräften und ihrem Einfluß nichts wußte? Es ist viel leichter von etwas Bekanntem wissen, daß es sei, als von dem Unbekannten und doch an sich Möglichen beweisen, daß es nicht sei.

3. Gesetzt, wir wissen's und erkennen's aus sichern Gründen a priori oder aus einem Wahrheitsgefühl, das oft, und vielleicht in den meisten Fällen, den mangelhaften Beweisen das Complementum zur Überzeugung gibt, wie werden wir dem gemeinen Mann unsere Überzeugung mitzuteilen imstande sein, wenn wir nicht in jedem einzelnen Fall das, was er für Geisterwirkung halten muß, natürlich zu erklären oder die vorgeblichen Fakta zu widerlegen wissen? Soll er uns gegen seine vermeinten oder wirklichen Erfahrungen und seine befestigten Traditionen aufs Wort glauben? Wird er's? Wollen wir's verlangen, die wir doch selber gegen allen blinden Glauben eifern?

4. Noch einmal gesetzt, wir wissen's und erkennen's, glauben wenigstens immer, daß verwandte Geister uns umschweben und besuchen können - wir sind ausgegangen aus dem lieblichen Paradies, wo noch die Elohim in der Abendkühle unter den Bäumen wandeln, und der Cherub der Aufklärung steht an der Pforte und läßt uns nicht mehr hinein —, um was ist's besser mit uns geworden? Blicken wir nicht noch oft über die Planken hinein und sehnen uns zurück? Warum bieten wir so gerne den Dichtern die Hand, die uns durch unbewachte Seitenpförtchen wieder auf einen Augenblick hineinführen? Warum kommen wir so oft mit einer höhern Weihe für das Schöne und Gute wieder heraus?

5. Man kann den Glauben, daß es Geister gebe, wenn er nur veredelt ist, ohne Anstand als eine vorliegende Schanze um den Glauben an Gott und in einigen Modifikationen desselben um den Glauben an Seelenunsterblichkeit und an Vergeltung nach dem Tode für das Unvergoltene vor dem Tode, also wohl für die drei wichtigsten und heiligsten Glaubenslehren ansehen. Immer gut für die gute Sache, wenn die feindliche Macht des Unglaubens unserer und der künftigen Tage erst nach und nach lange an solchen Vorwerken niederzureißen hat, dir sie den Katapult an das Heilige selber ansetzen kann Warum wollen wir es tun, die wir das Heilige zu bewahren da sind? Laßt uns, wie die Weisen aller Zeiten, Wahrheil in die Mythen legen, falls wir sie dafür halten, und dem gelehrten Zunftgeist entsagen, der da will, daß alle Men sehen, fähig dazu oder unfähig, die Wahrheit in der nämlichen reinen Form anschauen und festhalten sollen!

6. Christus selber und seine Apostel, auch damals noch, als sie den Heiligen Geist empfangen hatten, der sie in alle Wahrheit leitete, begünstigen in ihrer Lehre den Glauben an den Einfluß guter und böser Geister mehr, als sie ihm entgegenarbeiteten. Glaubten er und sie selber daran, so werden wir wohl auch keine andere Wahl haben. Befolgten sie aber nur die Klugheitsmaxime der vorigen Nummer, so geben sie uns ein beherzigungswertes Beispiel. Oder wäre der gemeine oder gemeinste Mann en gros jetzt gereifter und empfänglicher für die reine trockene Wahrheit ohne Hülle als damals die Juden, Griechen und Römer, bereitwilliger seine Vorurteile ab zulegen, und wir sicherer, daß er nicht mit seinen Irrtümern auch die Wahrheit wegwerfen würde, die sich in jene mischt wie das Licht in die Finsternis in der milden Dämmerung? Das Fortrücken in der Kalenderzahl macht wohl den Menschen, aber nicht die Menschheit reifer.

So viel von den Geistern.

Ein Gespenst ist ein sichtbar gewordener Geist, und zwar nach dem Sprachgebrauch böser Art. Das Wort scheint von Spinnen herzukommen und eben das nämliche mit Gespinst (Luft- oder Hirngespinst) zu sein. "Wenigstens verdient es diese Ableitung, obgleich Adelung das altdeutsche Wort: Spanen, Oberreden für das Stammwort hält und Gespenst bei den Alten oft Suggestio diabolica bedeutet.

Es steht daher Matth. 14, 26 richtig und Luther übersetzt richtig: Sie sprachen: Es ist ein Gespenst, obgleich in andern Stellen, z. B. Lukas 24, 37, wieder gesetzt wird.

Ein sichtbarer Geist wäre nun freilich nach dem Begriff ein Widersprach, folglich ein Hirngespinst. Aber seine Gegenwart darf nach der echten Gespensterlehre eigentlich nur durch eine scheinbare Hülle dem Auge erkennbar werden. Man muß mit einem Schwert mitten durch ihn hinfahren können, ohne ihn zu verwunden. Und er ist demnach ein Luftgespinst. Christus belehrt daher seine Jünger richtig, wie natürlich: «Tretet näher und betastet mich. Ein Geist (Gespenst) hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, daß ich habe.»

Dem Gespensterglauben möchte ich nun freilich das Wort nicht reden. Er scheint bloß zum Schrecken und Betrügen gut zu sein. Indessen überlasse ich die Vorschläge, wie er zu vertilgen sei, mit Bescheidenheit denen Menschenkennern unter uns, die in ihrer näheren Berührung mit dem gemeinen Mann zu den längst bekannten und leicht zu findenden Heilmitteln gegen diesen Aberglauben neue und wirksamere mögen gefunden haben.

     
 
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