zurück Der Ackerbau, eine vorzügliche Schule der Religiosität
   

 

Der Ackerbau hat von jeher seine Lobredner gefunden. Ich will nicht Virgils Bücher vom Landbau, nicht die gepriesene Ode des Horatius - ich will keinen nennen. Denn wer preist nicht die Wichtigkeit und Wohltätigkeit dieser Beschäftigung aus eigener Überzeugung? In dem Ackerbau erkennen wir die Grundlage aller bürgerlichen Geselligkeit und Ordnung, in ihm die sicherste, wenn auch nicht immer die reichste Quelle des Wohlstandes im Staat und in den Familien, in ihm die treue Hut vaterländischer Tugenden, in ihm endlich eine vorzügliche Schule einer frommen, gottergebenen Gesinnung, die wir unter dem schönen Namen der Religiosität begreifen.

Ich verweile einige Augenblicke bei dieser Seite des Gegenstandes, weil sie vielleicht diejenige ist, die man sonst am wenigsten ins Auge faßt.

Ich nenne den Ackerbau eine vorzügliche Schule der Religiosität, weil diejenigen, welche sich mit ihm beschäftigen, mit den mannigfaltigsten und erhabensten Denkmalen des Daseins und der Vollkommenheiten des Unendlichen öfter und näher als andere umgeben sind, und weil sie durch ihren Beruf öfter und unausweichbar an ihre Verhältnisse zu ihm erinnert werden.

Bald durch Geschäfte und Sorgen, bald durch Lockungen zum Genuß und unaufhörlich durch wechselnde Erscheinungen in der Sinnenwelt hin- und hergezogen und in sich selbst geteilt, bedarf das menschliche Gemüt öfterer Erinnerungen, ich möchte sagen Anschauung dessen, was in allen Zerstreuungen ihm nie verloren gehen und allen seinen Gesinnungen und Handlungen Einheit, Würde und Adel erteilen, was den Geist über sich selbst und über die Erde erheben soll. Man erzählt, daß ein Bischof von Mainz — es war eines armen Wagners Sohn —, um in seiner höhern geistlichen Würde die Demut nicht zu verlieren, hin und wieder in seinem Palast Wagenräder habe malen lassen, die ihn an seine Herkunft unaufhörlich erinnerten. Und wir wissen, daß gewisse Leute, um die Sterblichkeit nie zu vergessen, statt des Blumentopfes den Totenkopf in ihr Arbeitszimmer aufstellten; und selbst an den Wänden der einsamen Klostermauern schien das Memento mori nicht überflüssig.

Wenn aber jene Gesinnung, die wir mit dem Namen der Religiosität bezeichnen, nichts anderes als ein stetes Andenken an Gott ist, wenn sie wenigstens aus ihm unaufhörlich neues Leben, neue Nahrung, neue Kraft gewinnt und ohne dasselbe nicht gedenkbar ist, sie, die den Geist in allen Zerstreuungen und Versuchungen sich selbst und seiner Bestimmung bewahrt, sie, die alle himmlische Tugenden in sich vereinigt und verklärt, sie, die allen Wünschen, Vorsätzen und Grundlagen Einheit, Würde und Adel gibt — dann darf ich kühn die Frage aussprechen, welcher Lebensberuf mehr als der Ackerbau das Gemüt durch stete Erinnerung im Andenken an das höchste Wesen zu erhalten geeignet sei.

Zwar der Ewige, dessen allmächtiges Wirken das ganze Weltall durchdringt, hat sich keinem seiner vernünftigen Geschöpfe verborgen. Ein geheimer Zug des Herzens führt zu ihm. Es will religiös sein, ehe es weiß, daß es soll. Die Vernunft selbst ist eine innere, lebendige und unerschöpfliche Quelle seiner Erkenntnis, und der aufmerksame Beobachter dessen, was ihn umgibt, hat nicht nötig Landwirt zu sein und den Pflug zu führen, um im Auftauchen der Sonne, im Sternenheer, das die Nacht durchschimmert, im Gewittersturm, in der Blume des Feldes, in dem weisen Zusammenhang aller Dinge den zu schauen, zu bewundern, anzubeten, den das Herz so geheimnisvoll ahnet und die Vernunft so unausweichbar erkennt. Allein es ist doch nicht zu leugnen, daß von den unzähligen Berufsarten und

Geschäften, in welche sich das bedürfnisreiche Geschlecht der Sterblichen teilt, das eine weniger, das andere mehr von der Anschauung der großen herrlichen Natur und dem Andenken an ihren Urheber abziehe, und daß der Landmann mehr als jeder andere in ihm festgehalten werde. Wohin er das Auge wendet, wird er an den Schöpfer und Erhalter aller Dinge, an den Allmächtigen, Allweisen, Allessegnenden erinnert und seiner unsichtbaren Gegenwart nahe gestellt.

Ich würde die Zeit nicht finden, wenn ich alle Denkmale der Allmacht und Güte und Weisheit aufzählen wollte, die ihn in allen Tagszeiten, in allen Jahrszeiten, vom Morgenrot des ersten Frühlingstages bis zum letzten duftenden Herbstabend in allen seinen Geschäften unaufhörlich umgeben. Der Berg und das Tal, der Grashalm, die Blume des Feldes zeugen von ihnen. Im Gesang der Lerche, im Säuseln des Abendwindes, im Rollen der Gewitter vernimmt er ihren Preis. Aus allen Blumenkelchen steigen Weihrauchdüfte ihnen empor. Wohin er seine Blicke wendet, begegnet ihm sein Gott. Die ganze Natur wird ihm zum Tempel des Vaters aller Wesen, in dessen Händen sein Schicksal ruht. Welch andere Berufsart erinnert so unaufhörlich, so unausweichlich an die Abhängigkeit von Gott, an die engen unverrückbaren Verhältnisse zwischen dem Sterblichen und ihm?

Zwar gestehen wir gerne zu, daß jeder Mensch in jedem Alter, auf jeder Stufe des Glückes, in jedem Beruf Gelegenheit genug findet, wenn er auf seine Gefahren achten will, seiner Ohnmächtigkeit sich bewußt zu werden und den Lenker seiner Schicksale über den Sternen zu suchen und zu vernehmen.

Ich will nicht zu der ersten Frage zurückgehen. Wem verdankt der König wie der Bürger, der Gelehrte und der Garbenbinder sein Dasein? Aber wen flehen wir alle um Genesung an, wenn Schmerz und Krankheit in unsern Gliedern wütet? Zu wem heben alle das tränenvolle Auge empor, wenn ein geliebtes Wesen mit dem Tode ringt? Wer erkennt nicht in seinen Schicksalen eine unzerstörbare Verflechtung in dem großen Zusammenhang aller Dinge,

der nur von der guten Vorsehung geboten ist? Wahrlich der Unglückliche stände nicht mehr hoch über dem Gottesleugner, wenn er nicht in seinem Glück und in seinem Mißgeschick, in seinen erfüllten und in seinen verwickelten Hoffnungen das Walten einer höhern Macht erkennte.

Ebensowenig läßt es auf der ändern Seite sich leugnen, daß oft genug auch das Wünschen, Streben und Hoffen des Landmanns von menschlicher Willkür und Übermacht durchkreuzt wird. Auch er ist Mensch wie alle und Bürger wie alle und allen Gesetzen und Bedingungen unterworfen, von denen alle geleitet werden. Das brennende Haus des Nachbarn ergreift auch das seinige; der Dieb findet auch zu seiner Türe den Eingang; Hader und Zwietracht, Friede und Liebe wohnt auch unter den Dächern der Dörfer; und der Krieg zerstört seine blühenden Saaten, die Frucht seiner Arbeit, wie er die Werkstätte des fleißigen Handwerkers zertrümmert, die Magazine des Kaufmanns plündert und die Paläste der Fürsten verödet. O, er wäre glücklicher, als die Erde beglücken kann, wenn er über alle Berührungen mit menschlicher Willkür, über allen Zwang der Umstände erhaben, nur mit seinem Gott in unmittelbarer Verbindung stände.

Allein dies alles zugestanden, steht doch die ackerbauende Volksklasse noch in einem besondern Verhältnis zu dem Herrn der Natur und wird öfter und lebhafter als jede andere an ihre Abhängigkeit von ihm erinnert. Der Landmann darf die Fruchtbarkeit des Erdreichs, dem er seine Saaten anvertraut, von keinem Menschen erwarten, von keinem Günstling des Glückes erschmeicheln, er bedarf keiner Laune des Königs dazu. Sie ist durch das ewig wirksame Wort des Schöpfers gegeben, ausgebreitet, unvertilgbar, unerschöpflich und wartet nur auf seine fleißige Hand.

Oder wer führt ihm die Sonne am heiteren, blauen Himmel herauf, daß sie die Keime seiner Saaten entwickle? Wer überzieht den Himmel mit Wolken, daß er zu rechter Zeit seine Pflanzung begieße? Oder wer weigert beides und bleibt stumm zu seinen Bitten? Oder wer zerstört die Hoffnung des Glücklichen durch Hagelschlag den Tag vor der Ernte? Nennt mir den Menschen, der einen Regentropfen in dem Dunstkreis zusammenziehen, der die Millionen von Weizenkörnern, die der Garbenbinder sammelt, um eines vermehren kann? Da wird alle Weisheit der Gelehrten, da alle Fertigkeit des Künstlers, da alle Macht der Könige zuschanden.

Nur zu dem Ewigen kann der Sämann beten, wenn er seine Saat auf den Acker trägt, nur ihm der Schnitter danken, wenn reiche schwere Halme unter der Sichel fallen, nur demutsvoll und vertrauend sprechen: «Dein Wille geschehe», wenn alle seine Hoffnungen er vernichtet sieht. So wahr ist es, wenn wir sagen, daß der Landmann unaufhörlich an Gott und an seine Verhältnisse zu ihm erinnert werde; und so ist sein Beruf, wenn er nur will, mehr als jeder andere eine Schule der Religiosität.

 

 

nach oben

 

zurück