zurück Judas Ischariot
     

Der an sich schon traurige Charakter des Judas erscheint in der schwärzesten Farbe, wenn man auf die Umstände blickt, unter welchen sein teuflischer Vorsatz zur That reifte.

Jesus sammelte voll Liebe und Zärtlichkeit seine Jünger noch einmal zum Osterlamm, u. Judas war dabei. Mich hat herzlich verlangt, das Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide pp Welche Liebe und Innigkeit! Öffnung des reinsten, edelsten, liebenswürdigsten Herzens. Und die Seele Judas' ward nicht bewegt!

Jesus stiftet das Nachtmahl, auch Judas ißt von dem Brote am innigsten Freundesmahl u. trinkt von dem Kelche des Bundes u. der Weihung zur unverbrüchlichen Treue. Und seine Seele wird nicht gerührt!

Jesus wascht seinen Jüngern die Füße u. belehrt sie sanft und milde über die Gegenstände eines kindischen Zanks von Rang und Größe in seinem Reiche, wascht sie auch dem Judas. — Wer ihn auch nicht geliebt hätte, wer auch während eines dreijährigen Umgangs mit ihm keine Ahndung seiner höhern Gesandtschaft und Würde aufgefaßt hätte, sollte über diesem Anblick den Gedanken aufgegeben haben, diesem sanften, anmaßungslosen, natürlich guten Menschensohn Kummer u. Leiden zu bereiten, sollte Mitleiden empfunden u., wenn er sich denn auch durchaus mit den Eigenheiten des Mannes nicht vertragen konnte, wenigstens diesen Entschluß gefaßt haben, sich in gutem Frieden von ihm zu scheiden u. ihm nie etwas in den Weg zu legen. Judas nicht also.

Jesus ward betrübt im Geiste u. machte seinen Jüngern mit tiefer Herzensbewegung kund, was Judas für ein verborgenes Geheimnis zwischen sich und den Priestern hielt. Einer unter euch wird mich verraten. Um den Undankbaren ganz aus dem Zweifel zu ziehen, ob er nur rate oder gewiß wisse, ob ihm nur etwas oder alles bekannt sei, erklärt er sich bestimmter. Du, Judas, bist es! Und Judas, entdeckt, verraten und beschämt, fällt Jesu nicht zu Füßen, um seine Reue vor ihm auszuweinen - Armer, Verlorener, es war dir eine andere Reue vorbehalten! - reißt sich nicht weg, um das Angesicht Jesu und seiner Mitschüler ewig zu fliehen und seine Schande zu verbergen! - Er geht hinaus, um ihm nach einigen Stunden in Gethsemane wieder unter das Gesicht zu treten.

So reifte unter diesen heiligen Gesprächen u. Auftritten, in der Nähe und im Hauch der Liebe sein feindseliger Entschluß zur verbrecherischen Tat. Der Ton, die Mienen, der Blick eines Mannes, der die letzte Stunde des Umgangs mit seinen Freunden genoß usw.pp, that nur eine und die unerwartetste Wirkung auf ihn. Immer schwärzer und giftiger mischten sich und gärten in seinem Herzen Melancholie, Groll, Rachsucht u. Geiz, bis er's nicht mehr aushalten konnte, bis es rief in seiner Seele: Jetzt gewisser als je -jetzt ohne Rücksicht auf irgendeine Bedenklichkeit u. Einsprache soll er verraten sein! So stehest du da, Unglücklicher, in der Geschichte der Religion, unter den mannigfaltigsten Bildern menschlicher Charaktere der Tugend, der Schwachheit, der Verirrungen u. des Lasters allein und ohnegleichen als demütigendes Denkmal der äußersten Verworfenheit, die ein Geschöpf, Mensch genannt, erreichen kann.

Und doch - wenn wir auf den natürlichen Temperamentscharakter Judas u. alle Umstände mit sehen, entwickelt sich die Begebenheit, wie sie sich fast allein entwickeln konnte.

Das Temperament des Menschen war, wie es mehrere noch gibt, ohne zu dem nämlichen Grad von Bösartigkeit auszuarten, melancholisch, verschlossen, unzufrieden, unfähig für stille, reine, herzliche Freuden, ungeschickt für frohen, vertraulichen Umgang, für Herzensfreundschaft und Liebe, noch ungeschickter für ihre gefällige Äußerung. Jedes Menschenherz muß seine Gegenstände haben, woran sich seine Neigungen anschließen, mit denen es sie im stillen beschäftigen u. unterhalten kann, auf die es im Umgang und in den Verhältnissen des Lebens bezieht, was sich auf sie beziehen läßt. Wer sich nicht am Anblick einer Frühlingsblume freuen u. weiden kann, wer auf einem blühenden Morgengefilde, umgeben von frohen Geschöpfen, umhaucht vom Balsam der Morgenluft, oder wer bei dem Anblick des sternenvollen Himmels nichts Befriedigendes empfindet, wer sich nicht im Kreise einer lieben Familie oder guter Menschen freuen, Freude geben und Freude nehmen kann, wem der Gedanke, etwas Gutes für die Menschen zu versuchen oder ausgeführt zu haben, nicht die Seele füllt, der sucht etwas anders, bis er etwas findet. Judas warf seine Neigung auf das Geld.

Jedes Menschenherz ist vermöge seiner Stimmung für gewisse Verirrungen und Schwachheiten fähig. Ein Beobachter und Forscher, der es so weit gebracht hätte, daß ihm in der Menschenkunde kein Geheimnis mehr übrig wäre, müßte die guten u. bösen Charaktere so zu paaren wissen, daß fast je zu einem Paar, einem bessern u. einem schlimmern, das nämliche Temperament zugrunde läge. Die Fehler, denen der natürliche Charakter des Judas am nächsten lag u. zum Teil durch die Geldliebe noch näher gebracht wurde, sind Neigung, alles von der schlimmen Seite anzusehen, eine gewisse Empfindlichkeit, wo kein Mensch ihn beleidigen wollte, Argwohn, Eifersucht, Schadenfreude, Arglist und völlige kalte Menschenfeindschaft.

Judas hatte sich in die Gesellschaft der Anhänger Jesu begeben. Es war nicht möglich, daß der finstere, verschlossene, heimtückische Mann nicht nach und nach einen Unterschied in dem gegenseitigen Betragen der übrigen gegeneinander und in dem Betragen gegen ihn bemerkt hätte, daß er nicht kälter behandelt, weniger gesucht und geschätzt wurde. Diese kalten Blicke, die rauhen Töne, diese abgebrochene Rede, diese Übergehungen und Zurücksetzungen gruben sich tief und unauslöschlich in seine finstere Seele ein und erzeugten und nährten in ihr Mißtrauen, Eifersucht, Haß und Groll. Finsterer und hämischer ward er, kälter und zurückgezogener wurden sie. Trauet es dem größten Menschenkenner und dem edelsten Menschenfreunde Jesus Christus zu, daß er ihn schonte und trug, — aber mehr als schonen konnte er ihn doch nicht, konnte ihn nicht so lieben u. an ihm sich freuen, so mit dem Ausdruck der innigsten Herzensgefühle in Blick und Ton ihm begegnen wie dem Johannes und den übrigen. Hätte das Judas nicht gefühlt?

Jesus schonte ihn, aber wohl schwerlich so klug und duldend die Jünger. Über alle erbittert, allen gram, sah er dann, wie der Meister sie liebte, mehr als ihn, sie anhörte, belehrte, tröstete, ganz Herz und Seele bei ihnen war und von ihnen geehrt und geliebt wurde, und sein Haß pflanzte sich über von den Geliebten auf den Liebenden. Haß, der nach und nach alle möglichen guten Gefühle des Dankes u. Wohlgefallens an der Sanftheit Jesu in seinem Herzen erstickte und alle besseren Bestimmungen von seiner Seele entfernte.

Jesus wird in Bethanien gesalbet. Wozu dieser Unrat p, meint Judas, u. die andern Jünger schienen mit ihm einzustimmen. Lasset sie mit Frieden sagt Jesus pp Sanfter, liebender, schonender gegen den Tadler und die Angefochtene konnte er sich nicht in das Mittel legen, u. doch schien einmal die Seele des Gefühllosen gestimmt, Gift zu saugen aus der Blüte der Sanftmut, Groll zu nähren aus der Liebe, Rede ich nicht seine eigenen Worte? schien er zu denken. (Luc. 12, 33.) Hätte ein anderer es zuerst gesagt, mit welchem Beifall würde seine fromme Erinnerung aufgenommen worden sein. Aber was du sagst, Judas, ist Thorheit und Fehler! Hier schien der Gedanke in ihm aufzuwachen, ihn zu verraten; u. die Hoffnung, Geld zu gewinnen, sich bei den mächtigen Feinden Jesu Verdienste zu machen, eine andere, neue Laufbahn zu eröffnen, dort seine Rechnung zu finden, die ihn hier betrogen hatte, vielleicht die, die ihn jetzt verachteten, um seine Gunst noch buhlen zu sehen, machte den Gedanken zum Vorsatz und das, was noch nachfolgte, zur That.

Jesu setzte sich mit seinen Jüngern u. hielt unter den gefühlvollen Reden eines scheidenden Freundes das Osterlamm u. Nachtmahl. Wir meinen, die Sprache der Liebe, die so rein und warm aus seinem Herzen ausging, hätte noch eine gute Fiber in dem Herzen des Jüngers berühren, u. in Schwingung setzen sollen. Aber wenn Judas noch etwas sah u. hörte, wenn er noch etwas fühlte, so fühlte er, gerade je herzlicher und liebender die letzten Unterhaltungen Jesu waren, desto stärker und bitterer, daß sie ihn nicht angingen, u. sein schwarzer Vorsatz befestigte sich, statt daß er erschüttert wurde.

Die Jünger stritten, wer (vermutlich im neuen Reich) der Größte sein sollte. Und Jesus steht auf, ihnen die Füße zu waschen, der Meister den Jüngern, um sie durch Handlung und Wort zu belehren, daß sie in seinem Reich keine weltliche Macht zu suchen hätten, u. daß der Geist unter ihnen nur durch Liebe, Bescheidenheit u. Sanftmut groß sei. Für mich eine unnötige Belehrung, dachte der menschenfeindliche Judas. Es ist mir noch nie eingefallen zu fragen, ob ich der Größte oder Kleinste (der Erste oder der Letzte) der Vorgezogenste oder der Vergessenste sein würde, wenn das Reich Gottes käme. O, ich darf nur sehen und hören, darf nur zurückdenken an meine Erfahrungen, um ungefragt und ungezankt meinen Platz zu finden. Er ließ sich die Füße waschen von der Hand seines Lehrers und Herrn; aber schwarz, wie in der Hölle gefärbt, blieb seine Seele.

Jesus ward betrübt im Geiste - aber was wirkte das mehr auf einen Menschen, der nun einmal in Jesu einen Gegenstand seines Hasses erblickte, alle Gefühle der Liebe gegen ihn erstickt hatte und die bessern Gefühle der Menschlichkeit, die auch bei dem Jammer eines Feindes rege werden, nicht kannte.

Jesus ward betrübt im Geiste, zeugte und sprach: Einer unter euch wird mich verraten — u. tauchte den Bissen ein und sprach: Der ist's, dem ich ihn gebe. Und er gab ihn dem Judas, u. Judas nahm ihn, um in der nämlichen Sprache gleichsam zu antworten: Ja, ich werde dich verraten, jetzt gewisser als je, jetzt ohne alle Rücksicht auf Bedenklichkeit und Schonung. Als er den Bissen genommen hatte, fuhr der Satan in ihn.

Der Unglükliche hat schon lange seine Laufban vollendet, u. ist wenige Schritte über das ziel der höchsten erreichten Bosheit hinaus auf einem schröklichen Wege seinem Richter entgegen gegangen. Wenden wir das Auge weg von seiner Person. Seine Geschichte ist reich an ernsthaften Belehrungen.

1, Es ist schwer über den Werth u. Unwerth menschlicher Handlungen, u. über die Strafwürdigkeit der Bösen ganz richtig zu urtheilen. Wir schieben dem Thäter so gerne unsre Gefühle, Kenntnisse Erfahrungen u. Grundsätze in die Seele, denken ihn mehr in unsre, als uns in seine Lage, u. sind in Gefahr auch dem Schlimmsten in unserm Urtheile viel zu thun.

Lasset uns beben vor der Sünde, u. Mitleiden haben mit dem Sünder, — ernsthaft und demüthig verstummen ob dem Gedankens: Gott ist Regierer und Beobachter und Richter — u. ihm danken, für die besseren Anlagen u. Stimmungen u. Leitungen durch welche er uns vor der Gefahr grosser Übertrettungen bewahrte. Warum richten und kaltblütig u. grausam den Stab brechen, wo wir nicht in das Klare sehen. Und haben dazu so gar keinen Beruf, von der ganzen Sache keinen Vortheil.

2, Lasset uns beben vor der Sünde - u. frühe und zu rechter Zeit unsre und der unsrigen Neigungen auf das gute lenken, veredlen und heiligen. Unsere Geschichte stellet uns eine schrökliche Warheit unter die Augen: Alles erleichtert dem Bösen die Sünde, wie alles dem Guten die Tugend erleichtert.

3. Gehet wie gut u. schlim ihr seid keine Schritt weiter dem Laster entgegen, ziehet euch zurük so weit ihr könnet. Eine böse That mehr oder weniger ist keine Kleinigkeit, Auch wenn es erst die zweyte oder dritte, auch wenn es schon zu tausenden nur noch eine mehr wäre, sie ist keine Kleinigkeit. Mit ieder That bekomt die Seele einen starkem Hang eine größere Fertigkeit. Und wenn sie dieses: stärker und grauer auch nur leicht wie ein Senfkorn wäre es ist keine Kleinigkeit. Es geht durch das Thun eines ieden Leichtsinnigen oder Gefühllosen eine feine Gränzlinie. Hinter ihr ist Reue u. Rückkehr, Aufweckung und Zurück bringung der edeleren Gefühle Neigungen und Grundsätze leicht und möglich, über sie hinaus ist alles anderst. Es gibt irgendwo in dem Thun des Menschen eine solche Linie; irgendwo entscheidet sichs in ihm, irgend ein mal, wenn er fortgeht, wird Schwachheit zum Laster, Leichtsinn zum Frevel. Aber keiner sieht sie, wo sie ihm über die Bahn lauft. Vielleicht armer Sorgenloser ligt sie iezt vor deinen Füssen, u. mit einer bösen That die du noch begehst mit einem unheiligen Gedanken dem du nachhängest schreitest du unvermerkt und ungeahndet über sie hinüber, pp.

Judas Reue.

Ich glaube nicht, daß Judas nur die Priester anführen, ihnen das Geld abnehmen u. dann Jesum machen lassen wollte, der sich schon wieder aus ihren Händen losreißen würde. Die Geschichte sagt etwas anders.

Auch glaube ich nicht, daß er Jesum in der Voraussetzung, daß er nicht getötet würde, verraten habe. - War er im Stande, ihn zu Gefängnis, gerichtlichem Proceß und Geisselung zu verraten, so verriet er ihn auch zum Tode.

Judas setzte, glaub' ich, gar nichts voraus, bekümmerte sich jetzt um keine Folgen, fühlte nichts als seine Rachsucht, dachte nichts als dreißig Silberlinge.

Indeß stieg die Behandlung, der er Jesum preisgegeben hatte, bis zu einem gewissen Punkte, wo es ihn reuete seine Tat. Gehofft mußte er also haben daß es bis zu diesem Punkt nicht kommen würde.

Möglich; vielleicht auch nicht. Der Reue konnte er immer fähig bleiben. O es wird noch manchem außer Judas ganz anders zumute nach der That, als es vor ihr war. Immer ein kleiner, wenn schon nur kleiner Trost für den, den die Erfahrung betrübt, wie weit ein Mensch sich verirren kann. — Auch Judas blieb noch der Reue fähig.

Und wenn sie erwachen sollte, wann konnte, wann mußte sie's eher, als da Judas sähe, daß er zum Tode verdammt war.

O, wärest du noch einmal an ihm vorbeigeführt worden, der du mit einem Blick der Liebe deinem Petrus verziehest u. mit einem Blick des Trostes einem reuevollen Mörder die Bitterkeiten des Todes versüßtest - aber das war seine Stunde. Hart u. mitleidlos fuhren den Reuevollen, den Trostlosen, am Rande der Verzweiflung Taumelnden die Priester an: Was kümmert uns das? Da siehe du zu.

Der Unglückliche hat seine Laufbahn vollendet u. ist wenige Schritte über das Ziel der höchsten erreichten Bosheit hinaus auf einem schrecklichen Wege seinem Richter entgegengegangen.

 

 

p, pp = perge; perge, perge (lat.) = usw.

 

 

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