zurück Ueber den Ausdruck der heiligen Schrift: Dieb in der Nacht.
     

Bekanntlich war bei den Lacedämonern das Stehlen erlaubt, und bei den Ciliciern etwas dergleichen sogar adelich, und stünde nicht das 7te Gebot so klar im Dekalogus, so wollte ich gerade zu behaupten, es habe sich bei den Juden auch so verhalten, theils weil sie Betrüger und Diebe von jeher waren, und noch sind, theils weil alsdann die Vergleichung zwischen dem Tag des Herrn und dem Heranschleichen eines nächtlichen Diebs, (1. Thess. 5, 1 - 4 und 2. Petr. 3. 10) die jetzt unedel ist, edel wäre.

Denn obwohl kein Simile über sein Tertium Comparationis hinausgestreckt werden soll, so wählt doch jeder besonnene Mensch, auch wenn er keine Aesthetik gehört hat, für würdige und liebe Gegenstände, würdige und edle Bilder, und es wäre den Aposteln Paulus und Petrus zu verdenken, wenn sie wirklich den majestätischen Tag des Herrn, wenn sie die lange verheißenen und sehnlich erwartete Zukunft ihres Christus mit einem nächtlichen "Diebesbesuch" verglichen hätten. Auch würde die Rückweisung auf Matth. 24, 43. und Apost. 3, 3. sie schlecht entschuldigen, theils aus andern Gründen, theils aus diesem, weil nicht jeder mit Schicklichkeit von einem andern sagen darf, was dieser ohne Unschicklichkeit von sich selber sagen könnte.

Allein ganz gegen die gewöhnliche Weise, nach welcher man sonst den Dieb nicht sieht, wenn er schon da ist, sieht man hier einen Dieb obgleich keiner da ist; denn die eregetischen Augen sehn anderst als die gemeinen, bald wie Augen der Kakerlaken, gar wunderhelle, wo alles am dunkelsten ist, bald wie die Augen der Hexe zu Endor, Etwas wo nichts ist.

Meine Gründe, was den Dieb betrifft, sind nahe beisammen, und lassen mir Zeit, ein Paar Ideen von dem Tage des Herrn selbst voran zu schicken.

1) Idee und Name ist alt. Mehrere Propheten nennen schon den Tag des Herrn (Jom Jehovah) oder scheinen ihn zu schildern. Jesaia 13, 9.; Joel Kap. 2. und 3.; Amos 5, 18 - 20.; Zephan. 1, 14 - 17.

Aber sie haben nicht einen und denselben Gegenstand im Auge, am wenigsten einen Zeitpunkt in den fernen des N. Test. oder am Ende der Welt. Jeder bezeichnet damit etwas anders und nahes.

2) Allen indes ist es der Tag einer entscheidenden Schlacht oder Eroberung zum Wohl oder Weh des jüdischen Volkes. Jes. 13. ists Eroberung von Babylon durch die Perser und Meder; Kap. 34. Vertilgungskrieg gegen Edom; Amos 5, 18 - 20. eine Schlacht, in welcher das Schicksal von Israel sollte entschieden werden; Joel 3. Schlacht in der Ebene des Gottesgerichtes (vulgo Thal Josophat) und Sieg über Tyrus und Egypten. Selbst Kapitel 2. wo Joel eine Heuschreckenverheerung zum Tage des Herrn macht, wandelt er augenblicklich und mit hohem Talent der Darstellung die Heuschrecken in ein unwiderstehlich vordringendes und eroberndes Kriegsheer um.

3) Jehovah ist an seinem Tage persönlich gegenwärtig. Er bietet selber die Perser und Meder auf, Jes. 13, 3.4.; rückt voran an ihrer Spitze V. 5; kommandirt die Schlacht gegen Edom, Kapitel 34, 6. 7.; kommt herab ins Thal Josophat zum Gericht, Joel 3, 17.; kommandirt aus dem Hauptquartier zu Zion, V. 31 u. s. w.

4) Die Schilderung Joel 3, verbunden mit der bekannten Vorstellung der Hebräer, nach welchen Schlachten als Entscheidungen von Völkerprozessen durch den Ausspruch Jehovahs erscheinen, begründet die Behauptung, daß der Tag Jehovah's als ein "Gerichtstag" müsse gedacht werden. "Die Völker werden von Jehovah gerichtet", und "die Völker werden geschlagen, unterjocht, vertilgt" ist einerlei. Die siegenden Heerscharen heißen daher auch Heilige, d. h. Geweihte, und Werkzeuge des strafenden Willens Gottes, Jes. 12, 2. 3.

5) Am Tage Jehovah's schauern die Himmel zusammen, die Erde erbebt bis in ihre Fundamente, die Sterne erblassen, Sonne und Mond sind verhängt. Todesangst ergreift die Bewohner der Erde. Jes. 13, 8 - 10. Kapitel 34, 4.; Joel 2, 10. Kapitel 3, 20.; Amos 5, 20.; Zephan. 1, 14 - 17. Die Ausleger verstehn künstlich unter Himmel und Erde die Staaten, die am Tage Jehovah's untergehn, unter Sonne, Mond und Sternen aber, den König, die Königin und den Adel. Mir aber scheint das alles ohne weitere Bedeutung nur poetische und symbolisch gewordene Dekoration vom Tage des Herrn zu seyn.

6) Eine Kopie des hebräischen Jom Jehovah ist Matth. 24. und in den Parallelkapiteln der übrigen Evangelisten im neuen Testament nicht zu verkennen. Auch hier erschüttern sich alle Kräfte der Natur, Sonne und Mond werden finster, die Sterne fallen vom Himmel, das Meer und die Wasserwogen brausen, den Leuten wird bange etc. Auch hier erscheint der Menschensohn persönlich. Er kommt in den Wolken, mit allen heiligen Engeln, er setzt sich auf den Richterstuhl und versammelt die Völker um sich her zum Gericht.

7) In unsern zwei Stellen 1 Thess. 5, 1 - 4 und 2. Petr. 3, 10. wird der "Tag des Herrn" ausdrücklich genannt, und Petrus hüllt ihn in die bekannte Dekoration des Jom Jehovah ein: Die Himmel werden zergehen mit großem Krachen etc.

8) Die ganze Offenbarung des Johannis ist nichts anders, als eine große Ausführung der prophetischen Idee vom Tage des herrn, und gibt nicht der Seher seinen Gegenstand selber an? Offenb. Joh. Kap. 1, 10. Zwar sagts ein Ausleger dem andern seit Jahrhunderten nach, Johannes seye entzückt gewesen im Geist an des Herrn Tag, sey zu verstehn an einem Sonntag, und wie Hr. HR. W*** zu glauben Ursache findet am Ostersonntag. Hätte aber der erste von ihnen den bessern Gedanken des Hrn. GR. B*** gehabt, unter der zu verstehn, und zu übersetzen: "Ich war im Geist in den Tag des Herrn hinausversetzt", und hättens ihm die andern, wie zu erwarten stünde, ebenfalls nachgesprochen, wie ungereimt würde mans finden, wenn jetzt einer angestochen käme und behauptete Johannes habe mit der nicht so fast den Gegenstand seiner Mission bezeichnen, als vielmehr den Wochentag, auf den sie ihm fiel, datiren wollen, als ob das nämliche nicht eben so gut an einem Montag, und wär es auch Simonis Judä, hätte geschehen können.

9) Hieraus folgt, wenn wenigstens die erste Hälfte des hermeneutischen Grundsatzes wahr ist, daß das neue Testament aus dem alten, nicht das alte aus dem neuen erklärt werden müsse, seine Richtigkeit hat, daß es nicht uneregetisch wäre, den Tag des Herrn im neuen Testament poetisch zu fassen, und die Zerstörung Jerusalems und gänzliche Auflösung des jüdischen Staates durch die Römer sammt den davon abhängenden sichern Fortgang der christlichen Religion darin zu finden, wenn nicht andere Gründe eine solche Interpretation verbieten. Ja man könnte, wer mit Gefahr weit gehen wollte, bei den heiligen Engeln, an deren Spitze der Menschensohn erscheint, an Jes. 13. denken, und darunter verstehn "die römischen Kohorten."
  Werkzeug Jehovens. geweiht zum Dienste Jehovens. Mikdaschè
Jehovah, kelè Saamo.

10) Nun ist aber freilich wahr, das die citirten Stellen des neuen Testaments Ankündigungen enthalten und Ermahnungen dazu, die auf etwas größeres als auf den Untergang des jüdischen Staates durch die Römer zu gehen scheinen. Aber eben so wahr, daß die prophetischen Bilderzüge, die anerkannt die Zerstörung Jerusalems zeichnen, sich sehr mit denen verwischen, die etwas anderes als die Zerstörung Jerusalems zu zeichnen scheinen, und daß man wenigstens versucht werden könne zu glauben, des Menschen Sohn habe sich selber eine totale Veränderung der Dinge ins herrliche und Große, die Eröffnung des seligen Reichs Gottes auf der Erde mit der Zerstörung Jerusalems zusammen und als Eins gedacht. Auch wäre weiters nichts daran auszusetzen, wenn er sichs so gedacht hätte, und weiter nichts. Gesteht er doch selber, von dem Tag und der Stunde wisse niemand auch der Sohn nicht. Allein die Sache hat doch einen hacken. denn so wenig es in meinen Augen den Sohn herabsetzt, daß er nicht Alles wisse, was der Vater weiß, so wenig möchte ich doch von diesem Sohne glauben, daß er etwas behauptet habe, was er nicht weiß.

Ich will auch nichts behaupten, was ich nicht weiß. Die Exegese, die eine dienende Magd der Dogmatik ist, weiß Rath. Allein sie sollte die gebietende Mutter der noch unerzogenen, und was noch schlimmer ist, der ungezogenen Dogmatik seyn.

So viel vom Tage des Herrn - aber der Dieb?
"Ein Dieb kommt nicht, denn daß er stehle."
Allein der des Neuen Testaments ist nicht der deutsche "Dieb in der Nacht" den man henkt, sondern der hebräische
Gannabh ballajla, der auch ein ehrlicher, und sogar ein gepriesener Mann seyn kann. Das hebräische hat nämlich einen weitern Umfang als das verächtliche deutsche Wort "Dieb" und bezeichnet auch den Krieger im unerwarteten Ueberfall, oder den Sieger im Sturm, mit der nebenidee, daß er Beute mache, was in den Augen der Vorwelt nicht so entehrend war, als im Feldzug 1793 in den Augen des elsäßer Landsturms. Denn als ihnen die Oestreicher im Bienenwald ein halbes Dutzend übel bewachte Kanonen weggenommen hatten, und sie nach wie vor von den Vorposten aus mit dem Ehrentitel "Königsmörder" begrüßten, waren die Söhne der blutigen Freiheit auch nicht stumm, sondern riefen zurück: "Kanonendiebe!"

Mein Gewährsmann ist Joel Kapitel 2.; nicht weil dort die Heuschrecken ebenfalls einen Tag des Herrn repräsentiren, sondern weil dort, indem er sie in furchtbare Krieger verwandelt, und im Sturmmarsch malt, im Augenblick der Eroberung ein Gannabh über die Mauer springt. Man muß das ganze Gemälde überschauen:

Stoßt in die Trompete zu Zion! Feldgeschrei töne
Von dem heiligen Berg! "Auf, ihr Bürger des Landes!"
Denn es rückt der Tag Jehovens in furchtbare Nähe.
Ha, ein dunkler finstrer Tag, in Wolken verhüllet
Und in Gewitterdunst! Statt des erfreuenden Frühlichts
Breitet sich über den Bergen ein zahllos mächtiges Volk aus;
Nie sah die Vorwelt desgleichen, nie wirds die Nachwelt erleben.
Vor ihm sengt das Feuer, hinter ihm lecket die Flamme;
Einem Paradiese glich, eh' es einbrach, die Erde,
Eine Wüste nach ihm her und Rettung unmöglich.
Siehe, sie sprengen daher, wie Reiter auf schnaubenden Rossen,
Rauschend, wie Wogen herab vom Gipfel der Berge,
Prasselnd, wie die Flamme, wenn sie durch Stoppeln dahin fährt,
Wie ein mächtiges Heer zur Schlacht gerüstet einherrückt,
Dem die Völker zittern, und alle Gesichter erblassen.
Stürmend dringen sie an, wie Krieger, erklimmen die Mauren,
Weichen nicht, unaufgehalten rücken sie vorwärts,
Keiner den andern verdrängend und in gehaltenen Reihen
Stürzend in das Geschoß und immer wieder geschlossen.
Jetzt durchziehn sie die Stadt und, über die Mauren sich schwingend,
Stürzen sie durch das Fenster ins Haus. - -

- sagt Joel. Wie übel gegriffen,
wie matt und unedel auch hier, wenn man, um dem meisterhaft aufgeführten Dichtergebilde,
seinen Schlußstein zu geben, das letzte Hemistich so ergänzen wollte

- - "wie Diebe, die stehlen!"

Wie richtig gehalten hingegen und treffend, wie vollendet bis zum letzten fehlenden Pinselstrich, wenn wir übersetzen, und schließen:

-- "wie plündernde Sieger."

Ein Zeuge reicht freilich, wenigstens im Gerichtssaale nicht zu, einen angeschuldigten Dieben zum ehrlichen Manne zu machen. Aber der Prophet Obadjah ist auch noch da, "auf daß alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Wunden."

(V. 1.) Kunde wird uns vom Herrn. Ein Aufgebot geht durch die Völker:
"Gegen Edom zum Krieg!" -
(V. 3.) - - - - Dein Uebermuth hat dich betrogen,
Der du in Burgen wohnst, auf hohen Alpen und pochend
Fragst: Wer wird hinab mich in die Ebene bringen?
(V. 4.) Schwinge dich auf mit dem Adler und niste zwischen den Sternen;
Dennoch stürz' ich dich hinab. So spricht der Herrscher Jehova.
(V. 5.) Wenn sie dich überfallen die Gannabim und die Zerstörer
In der Nacht, wie wirst du dann geschelet, wie werden
Deine Schätze sie rauben - "."

So die zwei Propheten! Und man hätte also für die Aussprüche der zwei Apostel wenigstens die Wahl bei dem nach eigenem Gefühl an den Dieb mit Brecheisen und Dietrich, oder an den
 Anführer einer tapfern und glücklichen Avantgarde zu denken, wenn nicht Paulus, selber der dritte
fehlende Zeuge die Wahl entschiede:

Auch Paulus erwartet ja den Herrn an seinem Tage im Costüme der Propheten an der Spitze eines Heeres und sein ganzer Aufzug ist militärisch. Woher denn ein Dieb?

1. Thess. 4, 16. Der Herr wird mit einem Feldgeschrei ( ) unter Commandoruf ( ) und mächtigem Trompetenschall daher kommen.

- Kap. 5, 2. Ihr selbst wißt, daß des Herrn Tag kommen wird, wie ein nächtlicher Ueberfall (Κ. ε. Ν.)

- - V. 3. denn wenn sie werden sagen: es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen, wie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen.

- - V. 4. Ihr aber lieben Brüder, seyd nicht in der Finsterniß, daß euch der Tag nicht wie ein überfalle.

- - V. 8. - angethan mit dem Krebs des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung zur Seligkeit.

Sichtbar erhält sich hier der Apostel nach der Weise der Propheten in einer Reihe zusammen gehörender Bilder, in welcher der Dieb so wenig als irgend an einem andern Ort außer dem Galgen an seinem Platz ist.

Und so sey er denn auch hier gerichtet nach Urtheil und Recht!

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Anhang.

Hr. Pf. G***, der diese Abhandlung las, zweifelt ob die hier angenommene Bedeutung von
 auch aus Profan-Griechen könne belegt werden.

Ich sage, wir sind auf hebräischem und hellenischem Boden, nicht auf profan griechischem, und wären wir doch nur auf dem attischen.

Denn fürs erste wird bei Xenophon Mem. Soer. III. 1. 6. unter mehreren Eigenschaften, die ein guter Feldherr haben soll, auch die gefordert, (ipsissimo verbo).

Und dann will der Schriftsteller damit nicht einmal sagen, daß er plündern müsse, sondern die Kunst verstehe, unbemerkt heranzurücken, dem feind in der Besetzung wichtiger Posten durch Geschwindigkeit zuvor zu kommen, wie zwei Stellen aus der Anabasis beweisen.

Auch bei Aristophanes im Plutus Act. 1, Scen 1. v. 27. nennt Chremylus seinen Sclaven Kario, wenn er ihn loben will, sey es auch mit einer muthwilligen Anspielung auf die andere Bedeutung des Wortes (maxime taciturnum nach der Glossa).

Nach dem Atticismus ließe sich also die paulinische Stelle ohne allen Gedanken an einen Dieb so übersetzen.

"Ihr selbst wißt, daß des Herrn Tag kommen wird, wie ein Kriegsherr in der Nacht, von dessen Ankunft man nichts merkt", (oder: früher als man meint).

 

 

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