zurück Meine Bemerkungen über das mit Abänderungen in unsern Schulen
 einzuführende biblische Geschichtbuch von Schmid.
     

1) Ich kannte dieses Buch nicht, als in unserer Commissionssitzung beschlossen wurde, auf die Einführung desselben mit einigen Abänderungen der ev. Kirchen Section Antrag zu machen. Eben deswegen sprach ich nicht dafür und nicht dagegen. Hätte ich es gekannt, wie ich es jetzt aus den bisher cirkulirten 6 Heften kenne, so würde ich dagegen gesprochen haben, was ich auch jetzt noch nachzutragen mich gedrungen fühle und der Prüfung und Beurtheilung meiner Herren Collegen übergebe und unterwerfe.
Da bei weitem die meisten unserer Schulen Dorfschulen sind, und bei weitem die meisten Kinder selbst in Stadtschulen der gemeinen Volksklasse angehören, so muß der Verfasser einer biblischen Geschichte für die Schuljugend vor allen Dingen wissen nicht nur verständlich s. a. populär zu seyn, er muß sodann gut erzählen - gut für Kinder - erzählen können,
(2) er muß das Materiale der Geschichte auf religiöse Geistes- und Gemüthsbildung klug und psychologisch zu berechnen und zu benutzen wissen, und wenn er ein Catholik ist, so muß wenigstens ein starker und durchgreifender Grund vorhanden seyn, warum man für die protestantischen Schulen eines ganzen Landes nicht ein ähnliches für protestantische Schulen geschriebenes Buch gewählt hat.
Schmidt scheint aber 1tens nicht bekannt zu seyn mit jener ächten und edlen Popularität, die zwischen gebildeten und ungebildeten Lesern keinen Unterschied erkennend aus dem Menschen hervorgeht und den Menschen erfaßt, weil sie alles, was sie zu geben hat, zur klaren Anschauung bringt, nur durch Einfachheit und Natur, nicht durch conventionelle Schönheiten im Ausdruck gefallen will, und nur auf jene, nie auf diese ihre Effecte berechnet. Ihre Schreibart verschmäht jeden unnötigen Wortaufwand, sie
(3) ist gediegen, kräftig und würdig. Um sich zu überzeugen, ob es die Schmidtische auch sei, vergleiche man fast jede Stelle, jeden Spruch, wie er in Schmidt und wie er in der Bibel steht, dem Muster der Popularität. Schmidt erlaubt sich viele Nachlässigkeiten im Stil - vielleicht absichtlich! Aber es gehört ein geübter Takt dazu und eine vertraute Bekanntschaft mit der menschlichen Sprache, um nicht scheinbare Nachläßigkeiten, die den Effect erhöhen, mit dem wirklichen zu verwechseln, die ihn fast allemal schwächen.
Aber auch iener sogenannten Popularität scheint er nicht genug Meister zu seyn, die das, was der gebildete Mensch in kunstreicheren Formen zu geben und zu empfangen gewohnt ist, dem Ungebildeten nur auflößt und gleichsam durch einen Übersezungs Prozeß in seiner Sprache zur Empfänglichkeit bringen will. Dies verrät er
a) Durch gar manche Ausdrücke, die in der Volkssprache ganz unüblich, unklassisch, unverstanden sind,
(4) wozu ich genug Beispiele zu geben bereit bin.
b) Durch unpopuläre Inversionen, z. B.:
Wie traurig er aber auch bei dieser Nachricht müsse geworden seyn - -kann man sich denken. Statt: Man kann sich vorstellen, wie etc.
Ich citire übrigens aus dem Gedächtniß.
c) Durch unnöthige Parenthesen.
Und Du mein Kind - fuhr er fort, indem er sich an den kleinen Johannes wendete - wie groß etc.
Am meisten aber
d) Durch häufige Tropen aus der sogenannten Kraftsprache, z. B.: „Sie war ganz Freude, ganz Liebe, ganz Gebet. Mit einem Herzen voll Anbetung ging sie in den Tempel.“ Formen, zu denen der schlichte kühle Mensch lacht, und die ich selbst im gebildeten Stil nie billigen würde.
2) Aber auch im erzählenden Ton dürfte Schmidt nicht das vorzüglichste Muster seyn. Zum Nachtheil für die Aufmerksamkeit und für das Interesse an der Geschichte mag er lieber
(5) zeichnen und mahlen, reflectiren und bis auf die lezte Faser zergliedern als erzälen. Ersteres scheint ihm besonders bei heiligen Stätten, Handlungen und Personen seiner Kirche, z.B. den Hirten in Bethlehem, das dritte überall zu begegnen, und das vierte ist fehlerhaft, wenn es auch nur einmal geschähe.
Es ist wahr, jede Erzählung, wenn sie interessiren soll, muß in ein gewisses Detail gehen. Aber Schmidt umgeht so oft, wie absichtlich, die Data, die ihm die Bibel dazu bietet, und umgibt dagegen die Haupthandlung mit Umständen, die sich zu sehr von selbst verstehen, als daß sie interessiren könnten, z.B. Esau und Jacob wurden mit den Jahren größer oder er supponirt etwas, wozu wir, wenigstens wir Protestanten, keine Quellen haben. Daher die ewig wiederkehrende und ermüdende Einflechtungsformeln, z. B, Gewiß wird er da gedacht oder gesagt, oder das und jenes gethan oder nicht gethan haben. Dieserlei Zusätze möchte ich wenigstens nicht Detail der Geschichte nennen. Indessen
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3) Kann man es dem Verfasser zu keinem Fehler anrechnen, wenn er am allerwenigsten den Ton der Erzählung für dieienigen Leser, denen wir das Buch widmen wollen, scheint getroffen zu haben. Er hat sich wirklich ein anderes Alter gedacht. Wenigstens glaubt man, wo er noch am besten gefällt, fast immer eine Mutter zu hören, die ihrem 6jährigen Kinde die Geschichte lieb und anziehend zu machen sucht. Die unsrigen aber sind 10 - 14 Jahr alt, und wie sehr wäre zu wünschen, daß sie das Buch auch mit dem 14ten noch nicht aus den Händen legen möchten.
4) Auch an der Behandlungsart der Geschichte für die religiösen Zwecke möchte ich folgendes tadeln
a) Schmidt sucht und zieht die Gelegenheiten dazu zu sehr herbei. Man kann auch dieses Guten zu viel thun.
b) Selbst an oberwähnte eigene Zusätze aus der Muthmasung oder Phantasie knüpft er solche an. Beide miteinander, die Basis, und was er darauf
(7) stellt, hängen ohne Haltung. So stellt er Jesum als das vollkommenste Muster der Nachahmung gerade in derjenigen Periode seines Lebens auf, aus welcher wir ganz und gar historisch nichts von ihm wissen. Wir erhalten statt des wirklichen Jesus in Nazareth einen Schmidtischen Jesus zum Vorbild. Wenigstens kann man den Verfasser bei jedem Wort fragen: Woher weist Du das?
c) Gar oft, wenn er in die gute Laune des Predigers kommt, findet er kein Ende mehr und preßt den Apfel bis zur troknen Trester aus. Man glaubt bisweilen nicht mehr Geschichte sondern Betstundenvorträge über geschichtliche Texte zu lesen.
Conf. die Darstellung Jesu im Tempel. Je kürzer, glaube ich, je körniger und sententiöser solche Bemerkungen sind, desto fruchtbarer. Es ist zweierlei, einzelne Fruchtkörner quasi aliud agendo in das aufgelockerte zarte Gemüth legen, und die ganze Ernde darauf schütten. Aber das erstere ist das Bessere. Die
(8) Ernde wachst inwendig.
Nach allem diesem darf ich sagen: Wir haben vielleicht nicht recht gethan, daß wir den Versuch einer Bibelgeschichte von der Hand eines Katholiken zum Lehrbuch unserer protestantischen Schulen gewählt haben. Ich will das allerwichtigste, was hier in Betrachtung kommt, nur als Nebensache aufführen. Der ganze lutherische Bibeltext ist aus dieser Bibelgeschichte bis auf die lezte Spur verschwunden, und ich spreche hier mein Geständnis aus, daß alles, was in einem solchen Buch mit Worten der Bibel gesagt werden kann, mit keinem andern gesagt werden sollte. Sie sind nicht nur lebendig und kräftig, auch noch in Luthers Übersetzung. Sie sind auch für eine große Menge die einzige Bürgschaft für die Warheit und Heiligkeit der Geschichte, und das Volk glaubt so leicht etwas anderes zu hören, wenn es das nemliche nimmer mit den nemlichen Worten hört. Wenn aber der Bibeltext in Luthers Wort nimmer gut ist, so machen wirs auch nimmer besser.
Dagegen will ich auf eine wirkliche Nebensache, als ob es meine Hauptsache wäre, aufmerksam machen. Wenn wir diese biblische Geschichte in unseren protestantischen Schulen einführen, so legen wir das Geständniß ab, daß wir in der protestantischen
(9) Kirche nichts eben so gutes haben und nichts besseres machen können, und thun uns daran unrecht.
Nicht ohne unwillkürliche Anwandlungen des Mistrauens in mein eigenes Urtheil über eine Schrift, die so viele achtungswerte Stimmen für sich hat, wie wohl aus reiner und völliger Überzeugung, habe ich bisher meine Meinung über den Schmidtischen Urtext selbst ausgesprochen. Freier und unbedenklicher darf ich meine Meinung in Ansehung der Revision aussprechen, durch welche einer unserer Herren Collegen das Buch zur Einführung in unseren Landschulen zu eigenen die Mühe übernommen hat, indem ich nichts darüber zu sagen habe, was meine Achtung für den Genius, der in ihm waltet, und für seine schriftstellerischen Verdienste namentlich im Fach der religiösen Geistes- und Herzensbildung zweifelhaft machen könnte. Was ich noch weiter zu sagen habe, ist allgemein, und anwendbar auf jeden Fall, wo von irgend jemand ein ähnliches Geschäft unter den nemlichen Umständen unternommen werden soll.
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1) Selten vielleicht haben 2erlei Personen ein Werk glücklicher zu einem in sich vollendeten Ganzen gemacht, als einer allein es konnte. Wenn der erste Verfaßer, falls er seinem Unternehmen gewachsen war, und der zweite Herausgeber desselben in allen Ansichten, Tendenzen, Grundsätzen hinsichtlich der Materie und Form bis auf die Orthographie hinab einig sind, so hat eigentlich der zweite an dem Werk des ersten nichts zu verändern und zu verbessern. Sind sie es aber nicht, wie es auch der Katholik und der Protestant, der Schriftsteller für katholische Kinder zunächst und der Überarbeiter für protestantische Schulen, der Schriftsteller für ein jüngeres Alter und der Überarbeiter für ein späteres, nicht seyn können, so liegt es vielleicht in keines Menschen Vermögen mehr, zu verhüten, daß nicht bald die Grundsätze des einen, bald des andern hervorschillern und die Haltung schwankend werde. Einzelne gewagte Meinungen, nicht genug begründete Urtheile, nicht genug gewählte Worte lassen
(11) sich an ihrem Orte, wo sich der Schriftsteller vergaß, durchstreichen und verbessern. Die Gesichtspunkte und Grundsäze aber, die der Schriftsteller nimmt, werden höchstens in der Vorrede ausgesprochen. Im Text leben und weben und spielen sie durch das Ganze und alle seine Theile und geben ihm seinen Charakter, oft seine Eigenthümlichkeit und lassen sich so leicht nicht wieder auslaugen.
2) Diese schwere Aufgabe aber wird es noch viel mehr, wenn der Überarbeiter in mancherlei und mehrseitigen Geschäftsverhältnissen nur einzelne, vielleicht kurze und abgebrochene, vielleicht weit auseinander liegende Augenblicke zwischen und neben andern Geschäften dazu benutzen muß, und unter ungleichen innern Stimmungen es thut, nicht weil er jezt die rechte dazu hat, sondern weil er mit der Zeit kargen muß.
Es ist nicht möglich, daß unter solchen Umständen nicht einmal stehen bleibe, was zu einer andern Zeit gewiß wäre gestrichen worden, nicht etwas so gesagt werde, was zu einer andern Zeit wohl anderst wäre gesagt worden,
(12) und der aufmerksame Leser möchte sich dann oft fragen, warum hier so ausführlich, dort so kurz - hier so colorirt, dort so troken, hier so viel erklärt, dort so wenig. Doch zum Beweise daß ich hier nur im Allgemeinen spreche, es wäre unbillig diese Bemerkungen auf das vorliegende Werk anzuwenden da eine lezte Angleichung der Ungleichförmigkeiten in dem Text des A.T. bereits versprochen ist, und der Mann, von dem wir sie zu erwarten haben, früher als ich erkannt hat, daß gerade die verwahrlosesten von allen Büchern, das Volksbuch und das Schulbuch, mehr als jedes andere in seiner Art vollendet und klassisch seyn sollte.
Bei allen diesen Bemerkungen kann ich die Absicht nicht haben, die Wahl des Schmidtischen Buchs geradezu vereiteln zu wollen. Meine Wünsche sind erfüllt, wenn die Ausgabe und Einführung desselben nicht übereilt wird und der Herr Revident desselben sich gerne dadurch
(13) veranlaßt sieht, auf andere ähnliche vorhandene Versuche eine Aufmerksamkeit und Prüfung zu verwenden, die vielleicht zu Gunsten irgend eines derselben und zum Gewinn unserer Landesschulen ausfallen könnte.
Keinem Unternehmen hat die Opposition noch etwas geschadet, wenn sie nicht zu spät kam, was hier der Fall nicht ist, so lange die Sache noch in unsern Händen liegt, und wenn die dissentirende Theile beide nur das Zweckmäßige und Beste in den Augen haben, was ich von meiner Seite eben so aufrichtig versichere, als ich von Seiten meines Herrn Collegen es überzeugt bin.
Übrigens muß ich wünschen, daß diese Bemerkungen, wenn es demselben vielleicht gefallen wird, zuerst seine Gegenbemerkungen und der Commission etwa ihr Gutachten dazu zu geben, der verehrlichen Section, durch deren Beschluß die Wahl dieses Buches bereits bestätigt worden, zur Kenntnisnahme gebracht, und den betreffenden Akten angefügt werden.

 

    Der Text stammt vermutlich aus dem Jahre 1815

Die Zahlen in Klammern sind bei Hebel - im Unterschied zu den Buchstaben in Klammern - vermutlich nicht an den Zeilenanfang gesetzt worden. Ich habe dies der besseren Erkennbarkeit bei den unterschiedlichen Zahlen- Hirarchien
im Internet wegen so ausgeführt.

 

 

   

"Ganz ähnlich wie ihm das Gutachten zur Verbesserung des badischen Kalenders wider Erwarten die Redaktion des „Rheinländischen Hausfreundes" eingebracht hatte, so führte mehrere Jahre später das Gutachten, das er zur Bearbeitung der Biblischen Geschichte des katholischen Theologen und Volksschriftsteller Christoph (von) Schmid vorzulegen hatte (1815), dazu, daß ihm die Kirchen- und Schulbehörde die Abfassung eines geeigneten Lehrbuchs für den evangelischen Religionsunterricht in Baden übertrug. So entstanden seit 1818 als Auftragsarbeit die „Biblischen Geschichten". Infolge der Verpflichtung, im Kirchenrat die Union der lutherischen und der reformierten Kirche im Großherzogtum Baden vorzubereiten (1818—1821) und als Prälat an den Verhandlungen der Ersten Kammer des 1818 erstmals einberufenen badischen Landtages teilzunehmen, zog sich die Abfassung und Veröffentlichung der „Biblischen Geschichten" allerdings bis ins Jahr 1824 hin."

Zitat: aus "Hebel als Theologe", Gustav Adolph Benrath, 1985

 

 

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