XXXXX   Allgemeine Betrachtungen
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Vergebens#

Cozakov, Chodzym und Belgrad,* einst gefürchtete Namen bieten ihnen k.[einen] Schutz mehr. Vergebens schließt Stambul die Dardanellen. Aus einigen Häfen im schwarzen Meer laufen feindliche Schiffe aus. In allen Provinzen herrschen Anarchie und Aufruhr, alle Herzen zittern vor dem Namen Wechas

Also können einen Creuzzug gegen diese Ungläubigen nur noch die Gefahren rechtfertigen, die das christliche Europa von ihrem Haß irgend einmal erfahren wird, irgend einmal erfahren kann. Ich möchte fast sagen eine spaßhafte Politik wenn sie ein Scherz seyn soll, und eine furchtbare, wenn sie ernst ist.

Also laßt uns die stolzen Eidhe bei Zeiten fallen, damit sie nicht irgend einmal ein achtungswerthes Mitglied dieser Versammlung erschlage. Laßt uns bei guter Zeit die Dächer unserer Nachbarn abdecken, eh ein Ziegel davon unsere Häupter zerschmettere. Ieder mächtigere Staat überfalle den Schwächeren so lange er auch der Mächtigere ist. Er benutze seinen Schwächen mißbrauche sein Zutrauen, würde die Söhne im Schlaf.

O, warlich gegen diesen Grundsatz nicht mehr gegen die Mahomedaner** müssten alle geistlichen Monarchen¹ in einen heiligen Bund² zusammen tretten. ##
 
¹
um des Friedens der Menschheit willen
 
² in eine christliche Allianz zusammen tretten.

Aber sie sind neben allem andern auch noch Barbaren, im Schimmer der Aufklärung des übrigen Weltheils noch die nemlichen die ihre Väter in dem 15. Jarh. waren, unrein, gedankenlos, fremd allen schönen Künsten und Wissenschaften, nur gewohnt den verhaßtesten Despotismus auszuüben oder zu ertragen. -

Ich habe wenig mehr hier über zu sagen was nicht früher schon gesagt wurde.
Wollte Gott, wenn ihr die Türken ausgestoßen habt, Europa wäre alsdann von allen seinen Barbaren gereinigt! Wollte der Himmel, wir lernten, diese Barbaren, ehe wir sie ausstoßen, zuerst noch einige ihrer Cardinalstugenden ab, ihre Gesetzlichkeit, und die unverbrüchliche Treue des gegebenen Wortes. Wollte Gott, wir überlisten sie recht weit in allem übrigen.

Aber sie sind Mahomedaner - eingedrungen mit feindseligem Schwerdt in einen zwischen allen seinen Ufern christlichen Welttheil; ihr Sultan herrscht auf einem alten christlichen Kaiserthron und wo von Ferne her seine Roßschweife sich nähern, verschwindet das Creuz und seine Priester, verstummen die Glocken und die Gesänge der Bekenner des Enangeliums.

Ich ehre den Eifer meiner Glaubensgenoßen. Ich wünsche mit ihnen, und so lebhaft wie sie, daß der Sieg des Christentums sich über die ganze Erde verbreite (die ganze Erde den S. des Chr. feiere, und daß am Don und am Misissipi der nemliche größte Glaube bekannt, am Ganges und am Nil die nemliche christliche Liebe und Sanftmuth ausgeübt, und Tugend wandelt in allen Nationen, in allen Welttheilen beglücken möge. Wenn es aber nicht so ist, und wenn es noch nicht so bald so werden kann, und wenn wie denn doch unterdessen die Andersdenkenden einem ruhigen Aufenthalt in irgend einem Welttheil zugestehen müßen, so frage ich abermal  Warum kurzum in Europa nicht? Oder mit andern Worten: Durch welches Gottesurtheil, oder durch welchen Völkervertrag oder durch welche Weltbegebenheit ist E.[uropa] zum ausschließlichen Eigenthum der Christenheit erklärt worden, dessen heiliger Boden durch einen Götteraltar oder durch einen Menschen entweiht würde. Etwa durch das h. Haus das die Engel von Nazareth nach Loretto trugen oder doch die Gebeine des h. Apostel in St. Iago?*** Oder vielleicht doch die Bluttaufe der Saxen und doch die Brandstätten der Inquisition oder durch die Opfer der Bartolomäus Nacht?
Fühlet ihr nicht, wenn irgend durch eine Reihe wundervoller Begebenheiten ein Land zum Eigenthum der Christenheit geheiligt werden könnte, daß es dasienige sey, welches man das heilige wirklich nennt, welches das versönende Blut eines Erlösers trank und in seinen Schoß seiner Langmuth barg, und Zeugen seines Sieges über den Tod und die vereinte Macht der Hölle war, und könnt ihr es übersehen, daß dieses heilige Land aber dem Welttheil angehört, in welchem ihr aber die Feinde des Heiligthums zurück drängen wollt. Wohlan denn, wenn auch die Sache der Rel. belebt, wenn ihr dem Christenthum zwar nicht Seelen aber Provinzen rauben wollt, ergreift die Waffen! Landet in Jaffa, und ruht nicht bis ihr das Kreuz an dem Ufer des Jordans wieder aufgerichtet, und zu den Füßen des h. Grabes die Fahnen des Sieges niedergelegt habt.
Ihr staunet! Ihr lächelt! Eure Geschichten füllen sich mit der Mär des Unwillens. Ihr glaubt zum 1sten mal die fanatischen Eremiten zu hören! So fühlt denn wenn es ein empörender Fanatismus wäre, die Mahomedaner aus dem h. Land zu vertreiben, wie viel empörender es seyn würde, sie aus einem unheiligen Land zu verbannen, das die Christen selbst durch ihren Aberglauben, durch ihre gegenseitigen Relig. Kriege, durch ihre Laster entwürdigt hat.

Aber sie sind nicht nur keine Bekenner, sie sind erklärte Feinde des Kreuzes, und die Verehrer desselben erfahren von ihnen nicht nur Gleichgültigkeit sondern Verachtung, nicht nur Verachtung s[on]dern Haß, nicht nur Haß sondern grausame Verfolgung haben vor Wien gezeigt was E. von ihnen zu erwarten hat und mit diesem Erbfeind sollten wir friedlich und sorglos unter dem Himmel des nemlichen Welttheils und zwischen den Ufern des nemlichen Meeres wohnen auf dem nemlichen Continent dieses Carthago dulden, das keinen Frieden kennt. Wenn ihr hierauf die Gerechtigkeit des Krieges gründen wollt, so muß ich fragen, wollt ihr die Mahomedaner strafen wegen der Verbrechen die sie an der Christenheit in den vordern Zeiten begangen haben oder die sie in diesem Augenbl. verüben, oder die sie einst, wenn alles anderst wird verüben werden.

       


a    Ihr wollt die Verbrechen strafen heimzahlen, die der Türk an der Christenheit
      in der vordern Zeit begangen - woolt die Grausamkeiten des 17 Jarh an dem
      19ten, die Sünden der Väter an den Enkeln strafen. Also ist all euer heiliger
      Eifer für den Sieg und die Ehre des Evangeliums nichts andres und nichts
      besseres, als unheilige Rachsucht. O schönes heiliges Gewand der Religion
      und seiner Liebe, welche Thorheiten, welche unheilige Landschaften, welche
      Verbrechen an der Menschheit, welche Gräuel mußt du deilen.****
      Doch nein! Das könnt ihr nicht wollen.   Und doch

b    Müßte ich nicht fürchten, den Verdacht, als ob ich meine sehr achtungsvollen
      Gegner lächerlich machen wollte, wenn ich ihnen Gut anerkennte, daß sie das
      Ganze christliche Europa waffnen wollten gegen die Gefahr, die es iezt von
      ihnen zu fürchten hat, von diesen Ohnmächtigen, die seit Jarhunderten ihre
      Staatsklugheit auf Vertheidigung beschränken und dem Frieden iedes Opfer
      bringen.

     


Sie sind Feinde des Geschmacks und der Aufklärung. So huldige ihnen desto treuer der Christ, nicht nur in den Werkstätten der Künstler, nicht nur in den Häusern und auf den Büchermessen. Schon in den Grundsätzen und Sitten. - Sie sind gewohnt Despotismus zu üben. Der Christ gewöhne sich durch Sanftmuth und Milde durch weise und verständliche Gesetze, aber schöne, edle und gute zu Stand zu bringen. - Sie sind gewohnt, Despotismus zu ertragen. Der Christ gewöhne sich das Gute freiwillig zu wollen. - Aber sie haben ihre asiatischen Kekheiten nach Eur. gebracht und Constantinopel ist so lange wir sie dulden. Der ewig dampfende Braukessel der Pest, die schon mehr als einmal die schönsten Provinzen v. Europa, ergriffen, vergiftet verödet hat - Wie?

Steht es um die Sache die ihr vertheidigen wollt wirklich so schlecht, daß ihr mit Wissen und Vorbedacht, zu den seichtesten Gründen eure Zuflucht nehmen müßt. Oder ist es euch ernst? War***** es auch wirklich unbemerkbar geblieben daß die Pest seit unfürdenklichen Zeiten höchst selten mehr von Const. zwischen die Gränzketten der Östereicher und Preussen hindurch sich in das Innere von Europa verbreitet, und daß sie, so oft sie d. christliche Europa bedroht, von Afrika herüber, wo ihr die Türken nicht zu vertilgen gedenkt, und aus eben dem Asien, wohin ihr sie zu verweisen gedenkt, von Cairo und von Smirna her auf den Inseln des Mittelmeeres und in den Höfen von Italien und Spaniern sich ausschift.

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Der Autograph beginnt hier, ein vorausgegangenes Blatt mit 'a' existiert nicht.

* = Cozakov (heute ev.) Kozákov (Tschechische Rep.). Der Kozákov (deutsch Kosakow) ist die höchste Erhebung des Český ráj (Böhmisches Paradies), 744 m, in Tschechien.
Falls Hebel diesen Berg meinte, so ist unbekannt warum, denn er wird im Kampf gegen die Türken m. W. n. historisch nicht prominent erwähnt.

Chodzym = (verm. Chotyn (ukr.)/Chocim (pol.). Wegen seiner strategisch günstigen Lage spielte Chotyn eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Ukraine, der Moldau, Polens, des Osmanischen Reiches, des Russischen Reiches und Rumäniens, insbes. auch im Russisch-Türkischen Krieg.

Belgrad = Nach der erfolgreichen Abwehr der Türken vor Wien 1683 konnte die Heilige Liga im Großen Türkenkrieg die Osmanen bis hinter Belgrad zurückdrängen. Die Belagerung Belgrads unter dem Kommando von Max Emanuel endete am 6. September 1688 mit der Einnahme der Stadt. Die kaiserlichen Truppen konnten Belgrad insgesamt drei Mal erobern (1688–1690, 1717–1739, 1789–1791), jedoch nicht dauerhaft halten. Wegen dieser ständigen Kämpfe gaben die Osmanen Belgrad die Bezeichnung Dar Ul Jihad (Haus des Krieges). Die Eroberung Belgrads unter Eugen von Savoyen in der Doppelschlacht von Belgrad brachte im Jahr 1717 das spätere Volkslied Prinz Eugen, der edle Ritter hervor, das in seiner Adaption als Kunstlied noch in den Balladen der Klassik bis zur Musikmoderne rezipiert wurde.

Hebel bezieht den 'nicht mehr gebotenen Schutz' vermutlich auf die sog. Türkenkriege vom 15. bis zum 19. Jahhundert (siehe Wikipedia).

** von Hebel in diesem Text - warum unbekannt - immer mit dieser Vokalvertauschung geschrieben.

## Wiederholung so im Autograph - vermutlich ein Versehen bedingt durch den zweifachen Einschub.

*** St. Iago - alte Schreibweise von Santiago - hier ist verm. Santiago de Compostela in Spanien gemeint, der Beisetzungsort des Apostel Jakobus der Ältere.

**** verm. Verschreiber aus 'leiden'

***** lesbar auch 'wäre'

 

 
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      Transkription nach dem Autograph (Digitalisat der BLB Karlsruhe S. 240 - 247).

 

Das Jahr ist unbekannt, der Schrift des Originals nach
dürfte der Text nach 1820 entstanden sein.