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1962 packte Lörrach das Puppenfieber. Initialzündung für die Puppenbühne war
eine Abschlussfeier, an der sämtliche Schüler aus Lörrach teilnahmen. "Wir
wollten etwas Besonderes machen", sagt Karl-Hans Bachmann, der damals an der
Albert-Schweitzer-Volksschule unterrichtete. Also beschloss der heute
92-Jährige, ein Figurentheater auf die Beine zu stellen.
Die erste Marionettenaufführung war eine Adaption des russischen Märchens "Iwan
mit dem Ranzen". Den Kindern und den Bachmanns machte die Arbeit an der Bühne
und den Puppen so viel Spaß, dass alle ihre Freizeit opferten. Straff
organisierte AGs mit großzügigen Fördermitteln ausgestattet gab es damals nicht.
Das Material musste irgendwie zusammengetragen werden. "Die Kinder sammelten
Stofflappen bei Schöpflin und Holzreste bei Schreinereien", erinnert sich
Anne-Rose Bachmann.
Die Mühe wurde belohnt – "Iwan mit dem Ranzen" gefiel nicht nur den Lörrachern,
sondern auch dem Internationalen Institut für Puppenspiel in Bochum. Auf dessen
Einladung hin packten die Bachmanns die Schüler, die Puppen und die Bühne in
einen Bus und fuhren nach Bochum, um an einem Wettbewerb teilzunehmen - und
gewannen gleich den 3. Preis. Diese Reise, so Karl-Hans Bachmann, sei
unglaublich beeindruckend - sie besuchten das Bergbaumuseum und waren dabei, als
der erste Opel in Bochum vom Band lief.
Auch wenn die Lörracher Marionettenbühne schon 1962 ihre Geburtsstunde feierte,
war es doch eine Mittelschulklasse der Hebelschule, die mit dem Lörracher
Puppentheater erstmals auf internationaler Bühne spielte und sie überregional
bekannt machte. Diese feiert 2017 mit ihrem Lehrer Karl-Hans Bachmann, dem
Initiator der Bühne, ein Jubiläum: Vor 50 Jahren haben die Schüler ihren
Abschluss gemacht. Der gelernte Stuckateur und Volksschullehrer übernahm 1964
die damalige 7. Klasse, und sollte sie für vier Jahre bis zum Abschluss betreuen
und führte mit dieser Klasse
als Klassenprojekt die Arbeit weiter. Was vergleichsweise bescheiden begann begann, endete bei Bachmanns Pensionierung mit über 450
Figuren, zahlreichen internationalen Preisen und Auftritten im Fernsehen.
„Wir hatten weder Säge, noch Hammer noch Werkraum in der Schule“, erinnert sich
Bachmann an die Anfangszeit. Die Materialien sammelten die Schüler bei den
heimischen und elterlichen Betrieben zusammen, Werkzeuge und Maschinen steuerten
die Eltern bei - gearbeitet wurde im Klassenzimmer, in dem auch die Bühne aufgebaut
war. Gemeinsam erfanden sie das Stück „Die abenteuerliche Reise des kleinen Jo“.
Die Idee: „Die Schüler sollten sich Geschichten ausdenken, in denen Elemente
Feuer, Wasser, Erde und Luft personifiziert werden“, so Bachmann. Zusammengefügt ergaben die einzelnen Teile
eine fantastische Reise durch die Lüfte, das Unterwasserreich, zu Erdgeistern
und Drachen. „Beim Puppenspiel kann man Dinge sagen, die das große Theater nicht
kann“, findet der 92-Jährige, „Man bewegt sich in einem Zwischenraum von
Realität und Fantasie.“
Schüler/Spieler der MBL - Kl.8aMi der Hebel-Mittelschule Lörrach 1965
3. v. li. Hansjürg Baumgartner, heute Webmaster des Hausener Hebelportals.
Foto: Bachmann
Mit dem Stück reiste die Gruppe zu den Bochumer Puppenspieltagen – und erhielt
prompt den ersten Preis im Laienpuppenspiel. Die Schüler kamen aus dem Stauen
nicht mehr heraus. Besonders eindrücklich. die Aufführungen der um den "Preis
der Stadt Bochum" konkurrierenden Bühnen, dabei hervorstechend die "Bilder einer
Ausstellung" des Engl. Instituts Heidelberg und "Nico und der Zauberer" des
Gymnasiums Königstein/Taunus. Bachmann erinnert sich: „Als
deswegen dann auch noch das SWF-Fernsehen zu uns in die Schule kam, waren alle
hin und weg.“
Doch damit war die Geschichte nicht zu Ende: Die Marionettenspieler wurden zu ihrer
großen Überraschung 1966 zu den internationalen Puppenspieltagen in das
ungarische Békéscsaba eingeladen. „Man muss sich das mal überlegen: Das war
während des kalten Krieges“, staunt Bachmann bis heute.
Die Klasse 8aMi bei der Rückkehr aus Ungarn (1. v. re. Hj. Baumgartner)
K. H. Bachmann
Die Reise mit dem Bus über Salzburg, Wien und Budapest dauerte drei Tage. Angekommen,
gewannen die Lörracher den dritten Preis. Fast noch wichtiger aber: Sie knüpften
enge Kontakte mit ihren Gastgebern und der dortigen Bühne "Napsugar", die ihrerseits nach Lörrach
eingeladen wurde. „Diese einmalige Gelegenheit über den Tellerrand zu blicken“,
wie Bachmann es formuliert, ist bis heute die Grundlage einer besonderen
Beziehung zwischen dem Lehrer und seinen Schülern, von denen viele auch nach der
Mittelschulzeit, bis zum Abi und Studienabschluss "bei der Stange", bzw. "bei
den Fäden" blieben.
In den folgenden Jahren gewann die Bühne mit Bachmann noch 2 mal den Preis der
Stadt Bochum für Laienpuppenspiel, es ging es wiederholt nach Ungarn und
Rumänien. Rund vierzig Auftritte absolvierte die Gruppe pro Jahr, bereiste
Schulen im gesamten Kreis Lörrach, fuhr ins Ausland ( z. B. nach Sens (FR) und
Senigallia (It)) und quer durch die Republik.
1972 kam dann der vermeintlich große Durchbruch für die Marionettenbühne. Das
ZDF plante eine Konkurrenzsendung zur "Augsburger Puppenkiste" und wollte mit
den Bachmanns arbeiten. Aber das Projekt war zum Scheitern verurteilt: Erst
passten den Fernsehleuten die Puppen nicht, die Bachmanns gebaut hatten, dann
haute die Frau vom Regisseur mit dem Produzenten ab. "Und das war’s dann", sagt
Bachmann kopfschüttelnd.
Nicht ganz: Mit den Lehrern der Lörracher Realschule wurden phantastische Stücke
gestaltet, insbesondere die "Bilder einer Ausstellung" und der "Dr. Faust".
Als die Bachmanns Anfang der 1990er ans Aufhören dachten, hatten sie mehr als
400 Puppen, unzählige Requisiten und Bühnenbilder in ihrem Fundus. "Unser
Nachlass quasi", sagt Bachmann. Also machten sie sich auf die Suche nach einem
würdigen Verwalter. Bachmanns fanden ihn im Figurentheater in Lübeck. Sie
packten die Puppen ein letztes Mal in einen Bus und brachten sie in den Norden.
Anne-Rose und Karl-Hans Bachmann haben 1962 die Marionettenbühne Lörrach ins
Leben gerufen.
Foto: V. Pichler
Original-Bericht: OV / Verena Pichler
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