Zwei Weissagungen
(1815)
Die erste ist sehr
merkwürdig, wenn sie wahr ist, und man behauptet's.
Als vor Jahr und Tag
viele vornehme polnische Herren bei Spiel und Tanz sich erlusteten, trat
ein leichtes wegfertiges Weibsbild, eine Zigeunerin in den lustigen
Saal, und bot ihnen ihre Weissagungen an. Da kam auch ein feines junges
Herrlein, der nachmalige Fürst Poniatowsky, der nach der Leipziger
Schlacht am 19. Okt. 1813 das Leben verloren hat, und streckte ihr die
zarte Hand entgegen: „Weissage mir auch etwas Gutes, Mütterlein! Was
meinst du will aus mir werden?" Da sah die Hexe den jungen Fürsten
freudig und wieder mitleidig an. „Ei, du schmuckes Herrlein", sagte sie,
„du gelangst einst zu seltsamen Stand und Ehren! Möchte die Freude daran
nur auch länger währen. Nimm vor den Elstern dich wohl in acht! Eine
Elster dir den Garaus macht." Darob und ob andern Weissagungen dieses
Weibes lachten sie lange und wie eine Elster daherflog, sagten zu Poniatowsky seine Freunde: „Nehmt Euch in acht Prinz! Seht Ihr was dort
fliegt?" Aber Poniatowsky erwiderte: „Seltsam Amt und Ehre ist noch
nicht da."
Als aber Polen von den drei Adlern zernichtet war, richteten
die Polen ihre Augen und ihre Hoffnungen auf Frankreich, und viele
nahmen französische Dienste, hoffend, daß durch Frankreich ihre
königliche Republik wieder sollte zu Leben kommen. Also hatte auch Poniatowsky diese Wahl ergriffen, und kämpfte in den Tagen der Leipziger
Schlacht unter den Augen Napoleons, ein achtbarer Streitgenosse mit
Tapferkeit und Glück, soviel der 16. Oktober erleiden mochte, also daß
ihn der Kaiser Napoleon selbiges Tages zum Marschall von Frankreich
ernannte. Das war seltsam Stand und Würde. Aber schon am 19. auf der
Flucht, als alles drunter und drüber ging ertrank der neue Marschall in
der Elster. Elster heißt der Fluß in welchem er ertrank. Mancher
wohlbewanderte Leser wird sie kennen. Also ward auf eine unerwartete
Weise die Prophezeiung der Zigeunerin erfüllt. Den Leichnam des
Ertrunkenen hat nachher, mit allen seinen goldenen Ringen und
Kostbarkeiten ein Fischer im Wasser gefunden und um Geld gezeigt, aber
von allen Kostbarkeiten an seinen Fingern und in seinen Taschen hat er
nichts entwendet, sondern ein Angehöriger des Prinzen hat ihn nachher in
Empfang genommen, und den Fischer mit einer ansehnlichen Geldsumme
belohnt.
Die zweite Weissagung läßt sich zwar ganz natürlich erklären.
Nicht minder aber ist sie merkwürdig.
Bekanntlich konnte
man dem großen König Friederich von Preußen nicht nachreden, daß er
leichtgläubig gewesen sei in Ansehung der übernatürlichen Dinge.
Vielmehr hatte er manchmal gern seinen Spaß mit solchen, die es waren,
aber nicht immer gelang es ihm. Eines Tages versicherte man ihn von
einem Prediger, daß er weissagen könnte. Alles was er vorhersage, treffe
ein. Der König befahl den neuen Propheten vor ihn zu bringen.
Unterdessen erkundigte sich der König, ob kein Soldat im Arrest sei, der
das Leben verwirkt habe. Ja, es war einer drinnen. Also befahl er,
den Delinquenten auf die bestimmte Stunde vor sein königliches
Wohnzimmer auf die Schildwache zu stellen. Als aber der Prediger kam, „habt Ihr den heiligen Geist empfangen", fragte ihn der König.
— „Ihro Majestät", sagte der Prediger, „es wäre gut, wenn ihn alle
hätten." - „Besitzt Ihr die Gabe der Weissagung?" - „Etwas davon, wie
die Leute sagen." - „Zum Exempel", — fuhr der König fort, — „was soll
ich geschwind, fragen? - Man bringe den Burschen herein, der draußen
Schildwache steht! Wie alt wird dieser Mensch werden", fragte er
den Prediger, „woran wird er sterben?" Der Prediger erwiderte, dieser
Mensch werde nach vielen Jahren in einem hohen Alter sterben. - „Ihr
seid in Eurer Probe schlecht bestanden", versetzte hinwiederum der
König. „Wißt Ihr", sagte er, „daß ich morgenden Tages diesen Burschen
henken lasse. Er ist ein Delinquent." — Der Prediger sagte: „Es wäre der
erste der meiner Weissagung entliefe." Item der Delinquent wurde den
andern Morgen zur Hinrichtung aus Potsdam hinausgeführt. Item die
Schwestern des Königes, die Herzogin von Braunschweig und die Prinzessin Amalia fuhren desselbigen Morgens nach Potsdam hinein, daß
sie dem König einen guten Morgen sagen, und ihm mit ihrem Besuch eine
unvermutete Freude machen wollten. Denn derselbige Morgen war schön,
fast zu schön zum Henken. Als sie aber an dem Zug vorbeifuhren und den
armen Menschen auf seinem schweren Todesgang erblickten, zuckte durch
ihre fürstlichen Seelen ein zarter Schmerz. „Was soll mit diesem armen
Menschen werden?" - „Ihro Hoheit, nimmer viel. Er wird gehenkt." - „Was
hat er begangen?" - „Das und das." - Es war zum Henken und zum Laufenlassen, wie man wollte. Die Prinzessin befahl, mit der Hinrichtung
noch innezuhalten, bis neue Ordre käme. Der König aber empfing seine
Schwestern mit brüderlicher Freude. „Wir haben eine Bitte an Euch,
geliebter Bruder", sagten sie, „die Ihr uns wohl gewähren möget, so Ihr
wollt. Gebt uns darauf Euer königliches Wort!" Der König war in guter
Laune und tat's. „Wenn's möglich ist", sagte er, „so soll's nicht Nein
sein." Denn er meinte, sie seien deswegen gekommen, und wollten etwas
verlangen für sich. Sie baten aber zu seinem Erstaunen um die
Begnadigung des Delinquenten. - Was war zu tun? Das Wort war gegeben.
Also schickte er einen Adjutanten mit einem weißen Tüchlein hinaus, daß
man den Delinquenten wieder zurückbrächte. Der König segnete das
Zeitliche den 17. Aug. 1786. Der Musketier kann in diesem Augenblicke
noch leben.
|