Wie
sich der Zundelfrieder hat
beritten gemacht (1813)
Als der Zundelfrieder bald alle listigen Diebsstreiche
durchgemacht, und fast ein Überlei daran bekommen hatte, denn der
Zundelfrieder stiehlt nie aus Not, oder aus Gewinnsucht, oder aus
Liederlichkeit, sondern aus Liebe zur Kunst und zur Schärfung des
Verstandes; hat er nicht dem Brassenheimer Müller den Schimmel selber
wieder an die Türe gebunden? Was will der geneigte Leser oder des
Hausfreunds Reisegefährte nach Lenzkirch mehr verlangen? Eines Abends, als
er, wie gesagt fast alles durchgemacht hatte, dachte er: „Jetzt will ich
doch auch einmal probieren, wie weit man mit der Ehrlichkeit kommt." Also
stahl er in selbiger Nacht eine Geiß, drei Schritte von der Scharwache,
und ließ sich attrappieren. Den andern Tag im Verhör gestand er alles. Wie
er aber bald merkte, daß ihm der Richter fünfundzwanzig oder etwas zum
Andenken wollte mitgeben lassen, dachte er: „Ich bin noch nicht ehrlich
genug." Deswegen verschnappte er sich noch ein wenig in den Redensarten
und gestand bei der weitern Untersuchung nach kurzem Widerstand, wie er
von jeher ein halber Kackerlack gewesen sei, das heißt, ein Mensch, der
bei Nacht fast besser sieht, als am Tag, und als ihn der Richter aufs Eis
führen wollte, ob er nicht noch von ein paar andern Diebstählen wisse, die
kürzlich begangen worden, sagte er, allerdings wisse er davon, und er sei
derjenige. Als ihm den andern Morgen der Spruch publiziert wurde, er müsse
ins Zuchthaus, und der Stadtsoldat der ihn begleiten sollte, stand schon
vor der Tür, denn es war zwanzig Stunden weit, sagte er ganz reumütig:
„Recht findet seinen Knecht. Was ich verdient habe, wird mir werden."
Unterwegs erzählte er dem Stadtsoldaten, er sei auch schon Militär
gewesen. „Bin ich nicht sechs Jahre bei Klebeck-Infanterie in Dienst
gewesen? Könnt ich Euch nicht sieben Wunden zeigen, aus dem Scheidekrieg,
den der Kaiser Joseph mit den Holländern führen wollte?" Der treuherzige
Begleiter sagte: „Ich hab's nie weiter bringen können, als zum
Stadtsoldaten. Eigentlich war ich ein Nagelschmied. Aber die Zeiten sind
schlimm." - „Im Gegenteil", sagte der Frieder, „ein Stadtsoldat ist mir
respektabler als ein Feldsoldat. Denn Stadt ist mehr als Feld, deswegen
avanciert der Feldsoldat in seinem Alter noch zum Stadtsoldaten. Zudem der
Stadtsoldat wacht für seiner Mitbürger Leben und Eigentum, für eigen Weib
und Kind. Der Kriegssoldat zieht ins Feld und kämpft, er weiß nicht für
wen und nicht für was. Zudem", sagte er, „kann ein Stadtsoldat, wenn er
nichts Ungeschicktes begangen hat, mit Ehren sterben, wann er will.
Unsereiner muß sich schon drum totstechen lassen. Ich versichere Euch",
fuhr er fort, „ich und meine Feinde", er meinte die Strickreuter, „wir
haben wenig Ehre davon, daß ich noch lebe." - Der Nagelschmied wurde über
diese ehrenvolle Vergleichung so gerührt, daß er bei sich selbst dachte,
einen so gütigen und herablassenden Arrestanten habe er noch nicht leicht
transportiert, und der Frieder ging immer mit großen Schritten voraus, um
den Nagelschmied recht müde und trocken zu machen in der Sonnenhitze.
„Darin unterscheiden sich die Feldsoldaten von den Stadtsoldaten", sagte
er, „daß sie an einen weiten Schritt gewöhnt sind von dem Marsch." Abends
um 4 Uhr, als sie in ein Dörflein kamen, und an ein Wirtshaus, „Kamerad",
sagte der Frieder, „wollen wir nicht einen Schoppen trinken?" - „Herr
Kamerad", erwiderte der Nagelschmied, „was Ihm recht ist, ist mir auch
recht."
Also tranken sie miteinander einen Schoppen, auch eine halbe Maß,
auch eine Maß, auch zwei, und Brüderschaft ohnehin, und der Frieder
erzählte immerfort von seinen Kriegsaffären, bis der Nagelschmied vor
Schwere des Weins und Müdigkeit einschlief. Als er nach einigen Stunden
wieder aufwachte und den Frieder nimmer sah, war sein erster Gedanke: „Was gilt's der Herr Bruder ist alsgemach vorausgegangen!" Nein er stand nur
ein wenig draußen vor der Türe, denn der Frieder geht nicht leicht leer
fort. Als er wieder hereinkam, sagte er: „Herr Bruder der Mond will bald
aufgehen. Wenn's dir recht ist, so bleiben wir lieber hier über Nacht."
Der Nagelschmied schläfrig und träge, sagte: „Wie der Herr Bruder meint."
In der Nacht, als der Nagelschmied fest schlief und alle Töne aus dem Baß
in den Diskant und wieder in den Baß durchschnarchte, der Frieder aber
nicht schlafen konnte, stand der Frieder auf, visitierte für Zeitvertreib
des Herrn Bruders Taschen, und fand unter andern das Schreiben, das wegen
seiner dem Stadtsoldaten an den Zuchthausverwalter war mitgegeben worden.
Hierauf probierte er für Zeitvertreib des Herrn Bruders neue
Monturstiefeln an. Sie waren ihm recht. Hierauf ließ er sich für
Zeitvertreib durch das Fenster auf die Gasse herab und ging des geraden
Wegs fort, so weit ihm der Mond leuchtete. Als der Nagelschmied früh
erwachte, und den Herr Bruder nimmer gewahr wurde, dachte er: „Er wird
wieder ein wenig draußen sein." Freilich war er wieder ein wenig draußen,
und als er den Tag erlaufen hatte, im ersten Dorf, das ihm am Weg war,
weckte er den Schulzen. „Herr Schulz es ist mir ein Unglück passiert. Ich
bin ein Arrestant und der Stadtsoldat von da und da, der mich
transportieren sollte, ist mir abhanden gekommen. Geld hab ich keins. Weg
und Steg kenn ich nicht, also laßt mir auf gemeine Kosten eine Suppe
kochen und verschafft mir einen Wegweiser in die Stadt ins Zuchthaus." Der
Schulz gab ihm eine Bollete an den Gemeindswirt auf eine Mehlsuppe und
einen Schoppen Wein, und schickte nach einem armen Mädchen. „Geh ins
Wirtshaus, und zeige dem Mann der dort frühstückt, wenn er fertig ist, den
Weg und die Stadt; er will ins Zuchthaus." Als der Frieder mit dem Mädchen
aus dem Wald und über die letzten Hügel gekommen war, und in der Ebene von
weitem die Türme der Stadt erblickt hatte, sagte er zu dem Mädchen: „Geh
jetzt nur nach Haus, mein Kind, jetzt kann ich nimmer verirren." In der
Stadt bei den ersten Häusern fragte er ein Büblein auf der Gasse: „Büblein
wo ist das Zuchthaus", und als er es gefunden und vor den
Zuchthausverwalter gekommen war, übergab er ihm das Schreiben, das er dem
Nagelschmied aus der Tasche genommen hatte. Der Verwalter las und las und
schaute zuletzt den Frieder mit großen Augen an. „Guter Freund", sagte er,
„das ist schon recht. Aber wo habt Ihr dann den Arrestanten? Ihr sollt ja
einen Arrestanten abliefern." Der Frieder antwortete ganz verwundert: „Ei,
der Arrestant, der bin ich selber." Der Verwalter sagte: „Guter Freund, es
scheint, Ihr wollt Spaß machen. Hier spaßt man nicht. Gesteht's, Ihr habt
den Arrestanten entwischen lassen! Ich seh es aus allem." Der Frieder
sagte: „Wenn Sie es aus allem sehen, so will ich's nicht leugnen. Wenn mir
aber Ihro Exellenz", sagte er zu dem Verwalter, „einen Berittenen mitgeben
wollen, so getrau ich mir den Vagabunden noch einzufangen. Denn es ist
kaum eine Viertelstunde, daß er mir aus den Augen gekommen ist."
„Einfältiger Tropf", sagte der Verwalter, „was nützt dem Berittenen die
Geschwindigkeit des Rosses, wenn er mit einem Unberittenen reiten soll.
Könnt Ihr reiten?" Der Frieder sagte: „Bin ich nicht sechs Jahre
Würtenberger Dragoner gewesen?" - „Gut", erwiderte der Verwalter, „man
wird für Euch ebenfalls ein Roß satteln lassen, und zwar für Euer eigen
gutes Geld, ein andermal gebt Achtung", und verschaffte ihm in der Eile
ein offenes Ausschreiben an alle Ortsvorgesetzte, auf daß, wenn er
Mannschaft nötig habe zum Streif. Also ritten der Strickreiter und der
Zundelfrieder miteinander dahin, um den Zundelfrieder aufzusuchen, bis an
einen Scheidweg. An dem Scheideweg sagte der Frieder dem Strickreiter, auf
welchem Weg der Strickreiter reiten soll, und auf welchem er selber reiten
wolle. „Am Rhein an der Fahrt kommen wir wieder zusammen." Als sie aber
einander aus den Augen verloren hatten, wendete sich der Frieder wieder
rechts, und machte mit seinem Ausschreiben in allen Dörfern Lärm, und ließ
die Sturmglocken anziehen, der Zundelfrieder sei im Revier, bis er an der
Grenze war. An der Grenze aber gab er dem Rößlein einen Fitzer und ritt
hinüber.
So etwas könnte hierzuland nicht passieren. |