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Wunderlichkeit      (1815)
 
Es gibt so wunderliche Herrschaften, daß es niemand bei ihnen aushalten könnte, wenn es nicht ebenso schlaues Gesinde gäbe.
 
Einer verlangte früh im Bette ein Glas voll Wasser von seinem Bedienten. Das Wasser war nicht frisch genug. „Geschwind ein anderes." Der Bediente stellte das Glas draußen auf den Tisch und holte dem Herrn ein zweites. Das Glas war noch nicht sauber genug. „Geschwind ein anders." Der Bediente stellte es draußen auf den Tisch und holte ein drittes. Das Wasser war nicht rein genug. „Geschwind ein anderes." Der Bediente stellte das dritte auf den Tisch, und brachte das erste wieder. Das trank sein Herr mit großem Gelüst. „Hättest du mir dieses nicht gleich zuerst bringen können? Geschwind noch so eins!" Da brachte ihm der Bediente das zweite wieder, und also auch das dritte, und gestand nachgehends seinem Herrn, daß es immer das nämliche gewesen sei.
 
Ein anderer, ein junger Edelmann, hätte fürs Leben gern Freude gehabt am Morgenrot und am frischen Maienduft und Vogelgesang untereinander, wenn er nicht noch größeres Vergnügen gefunden hätte am Schlafen. Deswegen befahl er seinem Bedienten, daß er ihn jeden Morgen um 5 Uhr wecken, und ihm keine Ruhe lassen sollte, bis er aufstünde. „Und sollt's bis zu Schlägen kommen", sagte er. „Aber es bleibt unter uns." Item zu Schlägen kam es fast allemal, aber wer sie davontrug war der Bediente, und war's nicht früh um fünf, wenn er den Herrn weckte, so war es Vormittag um zehn oder eilf Uhr, wenn er ihn schlafen ließ, ausgenommen denn, der Bediente gebrauchte eine List. Eines Morgens als der Herr noch so ganz fest zu schlafen schien, strich er ihm die Achsel und den Rücken, soweit er zukommen konnte, mit roter und blauer Farbe an, und deckte ihn wieder zu. Um zehn Uhr, als der Herr erwachte, und die Sonne schon hoch über das Kirchendach herabschaute, fuhr er zornig aus dem Bette heraus, und auf den Bedienten los. „Warum hast du mich heute nicht geweckt?" - „Hab ich Euch nicht geweckt? Warum seid Ihr nicht aufgestanden?" „Warum hast du nicht Gewalt gebraucht?" - „Hab ich Euch nicht braun und blau geschlagen? Beseht nur Eure Achsel in dem Spiegel." Als aber der Herr in dem Spiegel die blauen und roten Striemen sah, ward sein Zorn zufrieden und legte sich. „Das laß dir gut sein", sagte er zu dem Bedienten, „daß du mich so zerschlagen hast."
 
 
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