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Wein- und Fruchtschlag      (1815)

Schon oft und gern ist der Hausfreund dabeigestanden oder -gesessen, und hat auch mit zugehört, wenn ein achtungswerter Greis von siebenzig Jahren, oder von achtzig, dem jüngern Geschlecht erzählt, was in seinen und seiner Väter Tagen geschehen ist, was die Frucht gegolten hat und der Wein. Ei wie gierig hören ihm die Söhne und die Töchter zu, ob sie es gleich schon oft gehört haben, und die herangewachsenen Enkel. Den Mägdlein am Rad bleibt der Faden in den Händen stehen ohne weiters, und dem Bäbele die Stricknadel, dem Jakob geht das Feuer in der Tabakspfeife aus, oder er dämpft gewaltig, je nachdem. „Ist es möglich", sagt die Margaret, nicht mit dem Mund, - niemand redet drein, - sondern mit dem staunenden Gesicht. „In solchen Zeiten möcht ich auch gelebt haben, so wohlfeil und so stille", sagt der Dieter. - „In solchen Zeiten möcht ich nicht gelebt haben", sagt der Heiner, „so arm an Geld und Freude." Aber die Marie sagt noch nicht ja noch nein, aber sie hört gerne was der Großvater erzählt, denn sie breitet mit der Gufe den Docht ein wenig auseinander und schaut mit lieblichem Antlitz scharf und sinnend in das Licht. Also will sich der Hausfreund jetzt auch einmal, ja auf einmal um zirka fünfhundert Jahre älter machen, als er ist und seinen aufmerksamen Lesern sagen, was seit Anno 1296 bis auf die neuern Zeiten in den höchsten und niedrigsten Preisen die Frucht gegolten hat und der Wein, vornehmlich in der Herrschaft Rötteln und Badenweiler, denn solches ist gar angenehm und lehrreich zu wissen für jeden Leser der mit dem Ackerbau und Weinbau das ganze Jahr beschäftiget ist, und davon lebt, für jeden ändern aber auch.

Merke: Erstens, der Hausfreund erfindet diese Preise nicht, sondern hat sie mühsam zusammengesucht in alter Schrift.

Merke: Zweitens, ein Pfund Geld heißt hier soviel als achtundvierzig Kreuzer. Ein Schilling soviel als zwei und zwei Fünftels Kreuzer. Ein Pfenning aber ist eines Kreuzers fünfter Teil. Mancher Herr Provisor kann hier noch manches Rechnungsexempel holen, und in sein Rechnungsbuch einheimsen, wenn er fertig ist mit der Vergleichung des neuen Maßes und Gewichts, und mit den neuen Dezimalbrüchen, die wieder einer ins Land gebracht hat.

Im Jahr 1296 war ein sehr fruchtbares Jahr. Es galt der Sack Dinkel - wieviel ratet der geneigte Leser? Antwort zwei Schillinge, oder nicht ganz fünf Kreuzer. Sechs Maß Wein hingegen galten ein Pfenning.

Im Jahr aber 1317 galt der Sack Kernen fünf Pfund. Solches war eine teure herbe Zeit, daß gar viele Leute vor Hunger verkamen.

Auch im Jahr 1439 ward es für eine große Teurung erachtet, daß der Sack Kernen sechs Gulden kostete. Im Jahr 1484 aber konnte man Wein haben umsonst. Wer viel hatte, war froh wer ihm viel abnahm.

Um diese Zeit ist die Neue Welt von den Spaniern entdeckt und nach und nach viel Gold und Silber nach Europa gebracht worden. Viel Geld aber macht teure Preise. Von 1530 an bis 1600 stand der Saum Wein selten geringer mehr als ein Pfund oder achtundvierzig Kreuzer, wie zum Beispiel im Jahr 1540 wo er zum letztenmal für 18 Schilling zu haben war. Gewöhnlich schwankte der Preis zwischen ein Pfund und fünf. Im Jahr 1589 stieg er auf neun Pfund und 1592 auf zehen. In den nämlichen Zeitläufen stand der Sack Dinkel im Jahr 1541 zum letztenmal auf neun Schilling nach dem Schlag, und stieg jedoch selten höher als zwei Pfund.

Zwischen den Jahren 1600 und 1700 war schon der geringste Weinschlag drei Pfund, und zwei Schilling, der gewöhnliche vier, fünf und sieben bisweilen schon zehn, und der höchste vierzehn Pfund zehen Schilling im Jahr 1693. Der geringste Fruchtschlag für den Sack Dinkel aber war noch manchmal, selbst noch im Jahr 1696 zwischen ein und zwei Pfund, und der höchste sechs auch sieben Pfund namentlich als der Dreißigjährige Krieg im Land war, der Schwed und der Hungar, wie auch sein Namensvetter der Hunger.

In den Jahren 1720, 1729, 1730, war der Weinschlag noch immer weniger als 3 Pfund. Im Jahr 1753 als der köstliche gekeltert wurde, der Dreiundfünfziger, sieben Pfund zwei Schilling, sechs Pfenning. Der Hausfreund gab seinen nimmer drum, er hat noch. Im Jahr 1774 zwölf Pfund fünf zehen Schilling. Der Hausfreund hat auch noch. Aber im Jahr 1781 sank er wieder, bis auf fünf Pfund und fünf Schilling, und stieg 1789 auf siebenzehen Pfund, zehen Schilling. 1795 auf dreißig Pfund, 1797 auf dreiunddreißig Pfund sechs Schilling, acht Pfenning, folglich um das Siebenunddreißigfache mehr als 1540.

Der Dinkel aber galt nach dem Schlag in den Jahren 1706, 1718, 1722, 1723, 1730 ein Pfund und zwölf bis siebenzehn Schilling. 1712 und 13 aber fünf Pfund. 1770 aber sechs Pfund zehn Schilling; 1771 sechs Pfund; 1796 zehn Pfund, oder zweiundzwanzigmal mehr als 1541.

Jetzt will der Hausfreund noch der Jahrzahl seine Ehre antun und in Zukunft immer. Nämlich es war der Schlag
Vor zweihundert Jahren 1615:
Wein der Saum 6 Pfund 18 Schilling.
Dinkel der Sack 2 Pf. 5 Sch.
Roggen der Sack 3 Pf. 15 Sch.
Haber der Sack l Pf. 12H Sch.

Vor hundert Jahren oder 1715:
Wein der Saum 8 Pf. 7 Sch.
Dinkel der Sack 3 Pf.
Roggen der Sack 6 Pf.
Haber der Sack 2 Pf.

Wie er im Jahr 1815 ausfallen wird weiß noch niemand, als der Hauptplanet.

Merke zum Beschluß, erstens: Seit dem Jahr 1296 bis jetzt, also in mehr als sechshundert Jahren ist der Preis der Lebensmittel im ganzen genommen immer gestiegen.
Merke zweitens: Gar geringe Preise in die Länge sind kein Glück, und verraten nichts Gutes. Entweder ist zu wenig Geld zum Kaufen im Land, und der Batzen muß in der Not die Dienste des Guldens tun, wie wenn einer mit einem Eselin ins Feld fahrt, er tut's nicht aus Mutwillen oder zum Staat, sondern weil er's noch nicht bis zum Rößlein gebracht hat. Der Batzen ist das Eselin, und es kommt nicht darauf an, wie wenig Batzen gilt das Malter Kernen, sondern wieviel hab ich Batzen. Im Jahr 1362 sagt die Chronik, brachte der fleißigste Arbeiter seinen Taglohn nicht höher als neun Pfennige. Ein Haus mit Hofstatt kostete 35 Gulden. Wer damals 100 Gulden vermochte, war ein reicher Mann, und konnte alle Tage Vogt werden, insofern. Aber was hilft's? Schon der Mittelmann hatte nichts, noch viel weniger der arme. Gleichermaßen, wie man zum Spott von einer gewissen Gegend sagt, daß dort die reichen Leute Holzschuhe tragen, die Mittelleute aber gehn barfuß, und die armen haben gar keine Füße.

Oder aber es ist schon eine andere schreckliche Landplage vorhergegangen, und hat viele Leute hinweggerafft, die ägyptische Pest, oder ein langer Krieg, und die Welt sieht einem Jahrmarkt gleich, wo viel Krämer sind aber kein Käufer. Wo man aus Mangel an Käufern nicht weiß wohin mit dem Vorrat - „Was gebt Ihr mir für den Sack Kernen?" „Nichts!" - „Nehmt ihn für zehn Groschen." „Ich brauche ihn nicht", - da ist es keine Kunst wohlfeil zu sein, aber etwas zu erwerben, daß man kaufen kann, was nicht in der Furche wächst. Schiff und Geschirr, türkisch Garn, Sohlleder. Kalender. Sage nicht: „Es ist doch gut, wenn der arme März auch essen und trinken kann nach Genüge und nicht sorge: und arbeiten muß von einem Stern zum andern." Sage vielmehr: „Das tut gut eine kurze Zeit." Wenn der Reiche nimmer bestehen kann, was soll aus dem Armen werden. der von dem Reichen leben muß, der Bettler hat es alsdann gut, aber es gibt viele, und nicht jedermann ist es gern. Also bedeutet es lauter gute Zeit, wenn die Preise etwas hoch stehen und unter der Hand immer ein wenig steigen.

Merke drittens und endlich: Also sind die Zeiten seit sechs hundert Jahren trotz Pest und Kriegen, und Revolutionen und Pariser Kaiser-Regierung im ganzen immer ein wenig besser worden, weil die Preise aller Lebensmittel und der Lohn aller Arbeiten immer ein wenig gestiegen ist. Liegt's nicht offenbar am Tag? Wie schön gerüstet und geschmückt gehn heutzutag die Mägdlein in die Kirche? Die Mütter zu ihrer Zeit hätten's nicht vermocht. Mancher, den der Hausfreund noch wohl gekannt hat, ging im Zwilchrocke und band die Schuhe mit ledernen Riemen. Nein, der Sohn trägt einen tüchenen Rock und Schnallen, zum wenigsten von Komposition. Und in manchem Städtlein oder Flecken, wo einst kaum für einen Kreuzer Prisen zu haben war, stehn jetzt Kaufläden mehr als einer, von den schönen Wirtshäusern an allen Straßen nicht zu reden.

 
 
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