Veronika Hakmann (1814)
Der geneigte Leser hat viel gute Gedanken gehabt, als er in dem Kalender des
Jahres 1813 die Geschichte von jenen zehn frommen alten Dienstboten las, und
kennt noch alle wie sie heißen und aussehen. Dem Hausfreund aber ist es in
diesem Augenblick zumute, wie wenn er im Spätjahr seinen Apfelbaum im Garten
abgepflückt hat, und meint, jetzt sei nichts mehr daran. Aber nach einiger Zeit,
wenn die Blätter abfallen, erblickt er unvermutet noch einen einsamen schönen
Apfel an einem Zweiglein, und heimbst ihn auch noch ein, und der eine macht ihm
schier so große Freude, als die andern alle.
Im Jahr 1744 als der Kurfürst Karl Theodor in der Pfalz die Regierung
angetreten hatte, trat in Mannheim, Veronika Hakmann als Magd in das Haus eines
dortigen Bürgers, und trug sein Söhnlein auf den Armen herum und hütete sein,
und als das Söhnlein zum Mann herangewachsen und selber wieder Vater geworden war, allbereits nach dem Hubertsburger
Frieden, da war sie noch immer im Hause und trug und pflegte nun seine Kinder,
wie sie ihn getragen hatte, und es geht noch lange so fort.
Denn als
zuletzt auch dem Urenkel ihres ersten Dienstherrn ein Sohn geboren war, und
lieblich heranwuchs, allbereits nach dem Frieden von Amiens, war sie auch noch
im Haus, zwar nicht mehr als Dienstmagd, sondern sozusagen, als ein wert
gewordenes Erbstück der Familie, und eines Tages, als ihr die vergangene Zeit
wie ein Traum durch die Seele ging, kam es sie, wie ein Sehnen an, und „Du",
sagte sie zu ihrem Brotherrn, „gib mir dein Kind ein wenig", denn sie machte
nicht viel Komplimente mit ihm, und die Magd nannte den Herrn Du, der
Herr aber aus Respekt vor ihrem Alter und vor ihrer Frömmigkeit, und weil sie
ihn erzogen hatte, sagte zur Magd: Ihr. „Warum verlangt Ihr das", fragte
er sie, „so doch Eure Arme nicht mehr imstande sind etwas zu tragen, und Eure
Knie kaum Euch selber halten können." Sie erwiderte: „Ich habe dich und deinen
Vater und deinen Großvater auf den Armen gewiegt, so möchte ich gerne auch dein
Kind noch in die Arme nehmen, ehe ich sterbe." Da traten dem Vater und der
Mutter des Kindes vor Rührung die Tränen in die Augen und er hieß die alte treue
Greisin niedersitzen, und nebenstehende Figur zeigt, wie er ihr das Kind auf den
Schoß legt. „Gott lohne Euch", sagt er zu ihr, „alles was Ihr an mir und an
meinen Vätern getan habt." Sie sagte: „Er wird mich bald zu sich nehmen."
Einundsechzig Jahr war sie im Dienst und Brot des nämlichen Hauses, und starb
Anno 1805 im achtzigsten Jahr ihres Lebens.
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