Vereitelte Rachsucht (1810)
Der Amtmann in Nordheim ließ im Krieg in den neunziger Jahren fünf
Jauner henken, und waren's in der ersten Viertelstunde so gut gewohnt, daß keiner mehr herabverlangte, und je nachdem der Wind ging,
exerzierten sie miteinander zum Zeitvertreib, rechts um, links um, ohne
Flügelmann. Aber einem seine Beiläuferin, die einen Buben von ihm hatte,
sagte: „Wart Amtmann, ich will dir's eintränken." Ein paar Tage darauf
reitet die österreichische Patrouille gegen das Städtlein am Galgen
vorbei, da sagt einer zu dem andern: „Es lauft dir eine Spinne am Hut,
so groß wie ein Taubenei." So zieht der andere vor den Gehenkten den Hut
ab, und die Gehenkten, weil eben der Wind aus Westen ging, drehten sich
und machten Front. Indem schleicht von weitem ein Büblein von der
Straße ab hinter eine Hecke, wie einer, der keine guten Briefe hat. Aber
das Büblein hatte gar keine, weder gute noch schlechte. Denn als einer
von den Dragonern auch um die Hecke ritt, fiel der Junge vor ihm auf die
Knie, und sagte mit Zittern und mit Beben: „Pardon! Ich hab sie alle ins
Wasser geworfen." Der Dragoner sagte: „Was hast du ins Wasser geworfen?"
- „Die Briefe." - „Was für Briefe?" „Die Briefe vom Amtmann an die
Franzosen. Wenn Östreicher ins Land kommen", sagte der Bursche, „muß
ich dem Amtmann Boten laufen ins französische Lager. Diesmal hatte ich
drei Briefe, einen an den Dürrmeier." Also holten die Dragoner, mir
nichts, dir nichts, den Amtmann ab, wie er ging und stand, und mußte in
den Pantoffeln zwischen den Pferden im Kot mitlaufen, und spritzte die
Rosse nicht sehr, aber die Rosse ihn, und der Bube mußte auch mit. Der
Amtmann war so unschuldig, als der römische Kaiser selbst, hätte sich
für die östreichischen Waffen lebendig die Haut abziehen lassen, hatte
sechs Kinder, eins schöner als das andere, und eine schwangere Frau.
Aber das war die Rache, die ihm die Jaunerin zugedacht hatte, als sie
sagte: „Wart, Amtmann, ich will dir's gedenken." Im Lager, als er zu dem
General geführt wurde, und die Hohenzollerer Kürassiere und
Kaiser-Dragoner und Erdödi-Husaren sahen ihn vorbeiführen, sagte einer
von der Patrouille seinem Kameraden vom Pferd herab: „Es ist ein Spion."
Der Kamerad sagte: „Strick ist sein Lohn." Und der Offizier, an den sie
ihn ablieferten, war auch der Meinung, und bestellte spottweise schon
bei ihm einen Gruß an den Schwarzen und seine Großmutter. Dem Hausfreund
ist's aber bei dieser Geschichte nicht halb so angst, als dem geneigten
Leser, denn ohne seinen Willen kann der Amtmann nicht sterben, sondern
als er vor das Verhör geführt wurde, schaute ihn der Hauptmann Auditor
mit Verwunderung und Bedauren an, und sagte: „Seid Ihr nicht der
nämliche, der mich vor einem Jahr drei Tage lang im Keller hinter der
Sauerkrautstande vor den Franzosen verborgen hat, und habt Schläge genug
von ihnen bekommen, und als sie Euch oben den Speck verzehrten, aß ich
unten das Sauerkraut dazu, samt den Gumbistäpfeln." Der Amtmann sagte:
„Gott erkennt's, und ich bin so unschuldig als die Mutter Gottes in der
Kirche, so doch von Lindenholz ist, und ihr Leben lang noch keinen
Buchstaben geschrieben hat." Indem kamen auch mehrere gute Freunde und
angesehene Bürger von Nordheim ins Hauptquartier und bezeugten seine
Rechtschaffenheit und Treue und was er schon für Drangsalierung von
den Franzosen habe ausstehen müssen, und wie auf seine Anordnung der
letzte Sieg der Östreicher mit Katzenköpfen gefeiert wurde, daß der
Kirchturm wackelte, und er selber habe keinen Rausch gehabt, aber einen
Stich. Der Hauptmann Auditor, der noch immer daran dachte, wie er drei
Tage lang in des Amtmanns Keller in der verborgenen Garnison lag, hinter
dem Schanzkorb, hinter der Sauerkrautstande, war geneigter, Ja zu
glauben als Nein. Also ließ er den Amtmann hinausführen und den Buben
herein, und tat ein paar verfängliche Fragen an ihn, sagte ihm aber
nicht, daß sie verfänglich sind. Deswegen war der Bursche, so sehr er
die Spitzbubenmilch an der Mutter Brüsten eingesogen hatte, mit seinem
Ja und Nein so unvorsichtig, daß er in wenig Minuten nimmer links,
nimmer rechts auszuweichen wußte und alles gestand. Also bekam er links
und rechts fünfzehn Hiebe vom Profos, und begleitete freiwillig die
Mutter ins Zuchthaus nach Heiligenberg. Der Amtmann aber aß mit dem
Hauptmann Auditor bei dem Generalfeldmarschall zu Nacht, und den andern
Tag bei seiner Frau und Kindern zu Mittag, und der Hausfreund tut auch
einen Freudentrunk, daß er wieder ein Exempel der Gerechtigkeit
statuiert hat.
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