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Die Treue und ihr Dank      (1813)

Schon viel Wohltat und Segen ist von dem glorreichen Thron ausgegangen, auf welchem einst Maria Theresia und Joseph der Zweite saßen. Aber Kaiser Franz der Zweite, Josephs Neffe und Zögling, bleibt auch nicht zurück. Hat er nicht vor kurzer Zeit eine neue Gesindeordnung für die Stadt Wien ausgehen lassen, und zehen Belohnungen, jede zu einhundertundfünfzig Kaisergulden für ebensoviel männliche oder weibliche Dienstboten ausgesetzt, welche Beweistum ablegen können, daß sie fünfundzwanzig Jahre lang mit unbescholtener Ehrlichkeit und Treue gedient haben, und in dieser Zeit zehn Jahre lang hintereinander in einem und dem nämlichen Dienst. Im Monat Mai des Jahres 1811 wurden zum erstenmal diejenigen aufgefordert, sich zu melden, welche sich getrauen konnten, sie seien der Belohnung wert. Mancher Leser denkt: Es werden nicht viel gekommen sein.
 
Doch! Geneigter Leser! Es sind siebenhundertundeinundfünfzig gekommen, und mehr als zweihundert von ihnen haben nicht nur fünfundzwanzig Jahre, sondern auch ihre dreißig, aber auch ihre vierzig und fünfzig Jahre und drüber fromm in ihrem Wandel und treu in ihrem Dienste ausgehalten. Das ist ein Respekt. Die Wahl tat weh, unter soviel achtungswerten Menschen. Aber folgende zehen, der Hausfreund will keinen verheimlichen, sind für die würdigsten erachtet worden:

1) Johannes Brenner. Er diente nur bei zwei Herrschaften, bei der ersten, fünfundzwanzig, bei der andern dreißig, in allem fünfundfünfzig Jährlein, ohne Vorwurf und ohne Tadel, und ist darüber fünfundsiebenzig Jahre alt geworden. Macht er nicht ein Gesicht, als wenn er schon das Sprüchlein hörte: „Du frommer und getreuer Knecht, bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen. Gehe ein zu deines Herren Freude."
2) Adelbert Hamelton. Achtundsechzig Jahre alt, ohne Vermögen, Vater von vier unversorgten Kindern, ist zweiundvierzig Jahre lang im nämlichen Dienst gewesen, als er die Belohnung des Kaisers empfing, und sagt: „Ich habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brot gehn."
3) Anton Cares. Diente schon siebenunddreißig Jahre in einemfort bei dem Herrn Vizepräsident von Sommerfels, und der Herr Präsident sagt: er sei ihm noch nicht feil.
4) Polixena Imhoferin. Ist seit fünfundfünfzig Jahren in Diensten, und hat sechsundvierzig Jahre davon in dem nämlichen Hause mit unbescholtner Treue zugebracht. Sie ist dort ganz wie daheim und sagt: sie könnt's an einem andern Ort nimmer aushalten.
5) Mariane Wurmin. Diente siebenundfünfzig Jahre in dem nämlichen Haus, zuerst als Stubenmagd, darnach als Kindsmagd, darnach als Köchin, jetzt wieder als Stubenmagd, bis ins vierundachtzigste Jahr ihres Lebens. „Bleibe treu, bis in den Tod, so will ich dir die Krone der Ehren geben."
6) Magdalena Zotterin. Sie hatte in achtundfünfzig Jahren nur drei Herrschaften und stand bei der letzten schon seit einunddreißig Jahren.
7) Marianna Radin. Kränklich und gebrechlich, dient fünfundfünfzig Jahre in dem nämlichen Hause, um dürftigen Lohn. „Ich will dich tragen bis ins Alter und bis du grau wirst. Ich will's tun. Ich will heben, tragen und erretten."
8) Therese Höflingerin. Ist seit achtundfünfzig Jahren Dienstmagd in dem nämlichen Hause gewesen, hat geholfen die Kinder groß und fromm erziehen, und war seit zwölf Jahren die treue Pflegerin einer kranken Frau.
9) Elisabeth Obentraufin. Wem dient die schon siebenunddreißig Jahre? Einem dürftigen, an einem Auge blinden, gichtkranken Mann, und ist seine einzige treue Stütze.
10) Rosalie Swoboda. Sie hat in neunundzwanzig Dienstjahren ihre Herrschaft, eine jetzige Witwe, wohlhabend und arm gesehen. Als die Witwe den Mann verloren hatte, und arm wurde, und doch ohne Pflege nicht mehr leben konnte, sagte Rosalie Swoboda: „Ich verlasse Euch nicht." Auch fragt sie weiter nicht: „Wann bekomm ich meinen Lohn?" sondern sucht durch Arbeiten für andere Leute außer dem Hause so viel nebenher zu verdienen, daß sie ihrer Herrschaft auch noch ein wenig Gutes davon tun kann. Es wird alles sein, ob die gute Seele nicht ihre hundertundfünfzig Gulden mit der armen Witwe teilt.
Diese drei Nro. 8. 9. und 10., besonders die letzte, wenn man sie recht drum beschaut, scheinen auch schon ein Sprüchlein von weitem zu hören: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters! Ich bin arm oder krank gewesen, und ihr habt mich gepflegt."
Dies sind die zehen gottesfürchtigen Dienstboten, welchen der Kaiser zur Erkenntlichkeit für ihre Rechtschaffenheit und Tugend zusammen eintausendfünfhundert Kaisergulden hat ausbezahlen lassen, und wer war dabei? Der Viertelsmeister und der Stadtbote von Wien? Nichts nutz! Aber S. Hochwohlgeboren der Herr Staatsrat von Lorenz, Se. Exzellenz der Herr Vizepräsident von Sonnenfels, Ihro Exzellenz und Hochgeboren, die Frau Gräfin Mariane von Dietrichstein, im Namen der adelichen Frauen, Sr. Hochfürstliche Gnaden, der Fürst Erzbischof von Wien, viel Abgeordnete von allen Ständen, und noch einer, den man nicht sehen kann. Denn Ehre und Gottes Dank geht noch über Geld.
 
Jetzt weiß ich, was der geneigte Leser zu diesem allen denkt. Er denkt: „So sollt's an andern Orten auch sein. Wer weiß, so bekäme man auch besseres Gesinde." Antwort: Das ist so absolut just nicht nötig. Vielmehr der Hausfreund hat schon gedacht: Wenn's an ihm wäre der Kaiser zu sein, ob er nicht schier auch eine Belohnung für Herrschaften aussetzen wollte, die gegen ihr Gesinde sich so betragen, daß es zehen Jahre lang bei ihnen aushaken kann. Halte du deine Dienstboten in Ehren und sei gütig gegen sie, denn sie sind auch mit Liebe und Tränen groß gezogen worden. Versorge sie christlich in Nahrung, Kleidung und Arbeit. Schone und pflege sie in der Krankheit! Sei nachsichtig oder streng gegen ihre Fehler, nachdem sie sind, ohne Scheltworte und ohne Fluch, und laß sie auch sonst ein wenig merken, daß du Gott fürchtest und die Menschen liebest. Das ist noch mehr, als hundertundfünfzig Gulden wert, und wird dir mehr als für hundertfünfzig Gulden Segen ins Haus und ins Herz bringen, meint seines Orts der Rheinländische Hausfreund. Denn die Gottesfurcht hat sich noch nicht überall von den armen und geringen Menschen geschieden und bei den reichen und vornehmen einquartiert. Vielmehr, sie hat sich schon an manchem Ort vor dem Reichtum und Übermut der Herrschaften in das Herz und in das Kämmerlein ihrer Dienstboten geflüchtet.

 
 
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Bild: Original-Illustration aus dem "Rheinländischen Hausfreund"



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