Tod vor Schrecken
(1814)
Als einmal der Hausfreund mit dem Doktor von
Brassenheim an dem Kirchhof vorbeiging, deutete der Doktor auf ein
frisches Grab und sagte: „Selbiger ist mir auch entwischt. Den haben
seine Kameraden geliefert."
Im Wirtshaus, wo die Schreiber beisammen saßen bei einem lebhaften
Disputat, schlug einer von ihnen auf den Tisch. „Und es gibt doch keine!"
sagte er, - nämlich keine Gespenster und Erscheinungen. - „Und ein altes
Weib", fuhr er fort, „ist der, der sich erschrecken läßt." Da nahm ihn
ein anderer beim Wort und sagte: „Buchhalter, vermiß dich nicht, gilt's
sechs Flaschen Burgunderwein, ich vergelstere dich, und sag dir's noch
vorher."
Der Buchhalter schlug ein: „Es gilt."
Jetzt ging der andere Schreiber zum Wundarzt: „Herr Landchirurgus, wenn
Ihr einmal einen Leichnam zum Verschneiden bekommt, von dem Ihr mir
einen Vorderarm aus dem Ellenbogengelenk lösen könntet, so sagt mir's."
Nach einiger Zeit kam der Chirurgus: „Wir haben einen toten
Selbstmörder bekommen, einen Siebmacher. Der Müller hat ihn aufgefangen
am Rechen," und brachte dem Schreiber den
Vorderarm. „Gibt's noch keine Erscheinungen, Buchhalter?" - „Nein, es
gibt noch keine." Jetzt schlich der Schreiber heimlich in des
Buchhalters Schlafkammer und legte sich unter das Bett, und als sich der
Buchhalter gelegt hatte und eingeschlafen war, fuhr er ihm mit seiner
eigenen warmen Hand über das Gesicht. Der Buchhalter fuhr auf und sagte,
dann er wirklich ein besonnener und beherzter Mann war: „Was sind das
für Possen? Meinst du, ich merke nicht, daß du die Wette gewinnen
willst?" Der Schreiber war mausstille. Als der Buchhalter wieder
eingeschlafen war, fuhr er ihm noch einmal über das Gesicht. Der
Buchhalter sagte: Jetzt laß es genug sein, oder wenn ich dich erwische,
so schaue zu, wie es dir geht." Zum drittenmal fuhr ihm der Schreiber
langsam über das Gesicht; und als er schnell nach ihm haschte, und als
er sagen wollte: „Hab' ich dich," blieb ihm eine kalte, tote Hand und
ein abgelöster Armstümmel in den Händen, und der kalte, tötende
Schrecken fuhr ihm tief in das Herz und in das Leben hinein. Als er sich
wieder erholt hatte, sagte er mit schwacher Stimme: „Ihr habt, Gott sei
es geklagt, die Wette gewonnen." Der Schreiber lachte und sagte: „Am
Sonntag trinken wir den Burgunder." Aber der Buchhalter erwiderte: „Ich
trink ihn nimmer mit." Kurz, den andern Morgen hatte er ein Fieber, und
den siebenten Morgen war er eine Leiche. „Gestern früh", sagte der
Doktor zum Hausfreund, „hat man ihn auf den Kirchhof getragen; unter
selbigem Grab liegt er, das ich euch gezeigt habe." |