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Die Schmachschrift    (1813)

Als bekanntlich eine Pasquille oder Schmachschrift auf den König Friedrich in Berlin an einem öffentlichen Platz aufgeheftet wurde und sein Kammerdiener ihm davon die Anzeige machte: „Ihro Majestät", sagte der Kammerdiener, „es ist Ihnen heute nacht eine Ehre widerfahren, das und das. Alles hab ich nicht lesen können; denn die Schrift hängt zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichts Gutes"; da sagte der König: „Ich befehle, daß man die Schrift tiefer hinabhänge und eine Schildwache dazustelle, auf daß jedermann lesen kann, was es für ungezogene Leute gibt." Nach der Hand geschah nichts mehr.
Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von Brassenheim. Denn Brassenheim ist ein Amtsstädtlein. Als ihm eines Morgens eine Pasquille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit Teig in der Nacht an die Haustüre geklebt hatte, wurde er ganz erbost und ungebärdig, fluchte wie ein Türk im Haus herum und schlug der unschuldigen Katze ein Bein entzwei, daß die Frau Amtsschreiberin ganz entrüstet wurde und fragte: „Bist du verruckt oder was fehlt dir?" Der Amtsschreiber sagte: „Da lies! du hast deinen Teil auch darin." Als das die losen Vögel erfuhren, welche die Schandschrift angeklebt hatten, daß der Herr Amtsschreiber also im Harnisch sei, hatten sie ihre große Freude daran, und sagten: „Heut nacht tun wir's wieder." Den zweiten Morgen, als ihm die neue Schandschrift gebracht wurde, und ein Rezept für lahmgeschlagene Katzen darin, ward er noch viel wütender, und warf Tische und Stühle zusammen, ja er schrieb mit eigener Hand einen zornigen Bericht darüber an den regierenden Grafen, ob er gleich niemand nennen konnte, und als er ihm geschrieben hatte, und den Sand darauf streuen wollte, ergriff er in der Rasche statt der Sandbüchse das Dintenfaß und goß die Dinte über den Bericht, und über die weißtüchenen Amtshosen.
Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten: „Hansstoffel", sagte er, „vigiliere heut nacht um das Haus herum bis der Hahn kräht, und wenn du den Kujonen attrappierst, so bekommst du einen großen Taler Fanggeld. Ich will sehen", sagte er, „ob ich mir soll auf der Nase herumtanzen lassen."
Etwas nach eilf Uhr kam der Stoffel von seinem Posten herauf, und der Herr Amtsschreiber war auch noch auf, auf daß, wenn der Stoffel den Pasquillenmacher brächte, daß er ihn gleich auf frischer Tat erstechen könnte. „Herr Amtsschreiber", sagte der Stoffel, „ich will nur melden, daß heute nacht nichts passiert ist, wenn Sie mir erlauben, jetzt ins Bett zu gehen. Alle Lichter im Städtlein sind ausgelöscht, die Wirtshäuser sind leer, die zwei letzten sind nach Haus gegangen und des Wagner-Mattheisen Hahn hat zweimal hintereinander gekräht, es wird wohl morgen auch wieder einmal regnen." Da fuhr ihn der Amtsschreiber wie ein betrunkener Heide an: „Dummes Vieh, auf der Stelle begib dich auf deinen Posten, bis der Tag aufgeht, oder ich schlage dir das Gehirn im Leib entzwei", sagte er im unvernünftigen Zorn. Der geneigte Leser denkt: „Was gilt's, während der Stoffel bei dem Amtsschreiber war, ist die dritte Pasquille auch angepappt worden, und wenn er herabkommt findet er sie jetzt." Nichts weniger. Sondern als der Stoffel im Fortgehen bereits an der Stubentür war, und der Amtsschreiber ihm noch einmal nachsah, „Hansstoffel", rief er ihm, „komm noch ein wenig daher!" - Der Stoffel kam, „dreh dich um! Was hast du auf dem Rücken?" „Will's Gott keinen Galgen", sagte der Stoffel. „Nein vermaledeiter Dummkopf, aber wahrscheinlich ein Pasquill." - Wie gesagt, so erraten, der Stoffel trug das dritte Pasquill bereits auf dem Rücken geklebt, und standen darin noch viel mutwilligere Dinge als in dem ersten und zweiten und unter ändern ein Rezept, für Dintenflecke aus den Amtshosen zu bringen. Dies war so zugegangen. Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen war, kamen zwei lose Gesellen heran, und einer von ihnen hatte schon die dritte Pasquille auf der flachen Hand liegen, also daß die beschriebene Seite des Papiers gegen die Hand hinein lag, die äußere Seite aber war mit Teig bestrichen, daß er im Vorbeigehn die Schrift nur an die Tür hätte drücken dürfen. Als sie aber den Bedienten des Amtsschreibers vor der Türe sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, aber nicht alle Leute kannte der Stoffel: „Ei, guten Abend", sagte der eine, „was schafft Er Guts hier Herr Hansstoffel, was gilt's Er kann nicht hinein", da erzählte er ihnen, warum er da sitzen müsse, und bis wann, und wie ihm bereits die Zeit so lange sei, und es komme doch niemand. „Ei", sagte der eine, „die Lichter im Städtlein sind ausgelöscht, und die Wirtshäuser sind leer, und wir zwei sind die letzten, die heimgehen. Also gehe Er in Gottes Namen ins Bett." Der andere aber, der das Papier in der flachen Hand hatte, schlug ihm im Fortgehen sanft und freundlich die Hand auf den Rücken, daß das Papier am Rocke hängenblieb und sagte: „Gute Nacht Herr Hansstoffel, schlaf Er wohl!" „Ebenfalls!" sagte der Stoffel, und als sie um das Eck herum waren, krähte einer von ihnen zweimal, wie ein Hahn, oder wie der russische Generalfeldmarschall Suwarow Fürst Italinsky im Lager. Also brachte der Stoffel dem Amtsschreiber die Pasquille selber auf dem Rücken in die Stube, und der Herr Amtsschreiber prügelte zwar den Stoffel im Zimmer herum, und schlug bei dem Ausholen ein paar Spiegel entzwei, aber den Schimpf und Schaden und Zorn mußte er an sich selber haben, und brachte nichts heraus. Denn die zwei Spaßvögel sagten: „Der Klügste gibt nach. Jetzt wollen wir's aufgeben, eh es zu bösen Häusern geht", und jedermann der davon erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus.
 
Merke: der König von Preußen hat sich in diesem Stücke klüger betragen als der Herr Amtsschreiber von Brassenheim.

 
 
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