Von den Schlangen
(1803/04)
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Noch immer
glauben Leute, daß die giftigen Schlangen mit der Zunge stechen. Allein
es ist schon lange außer Zweifel gesetzt, daß sie an der obern Kinnlade
zwei Giftzähne haben, die sie in eine Scheide zurückziehen und wieder
hervorstoßen können. Diese Zähne sind hohl, und haben an den Spitzen
eine feine Öffnung, hinter jedem derselben befindet sich eine Drüse, in
welcher das Gift bereitet wird, und wenn das Tier beißt, so tritt das
Gift aus der Drüse in den Zahn und durch die Öffnung in die Wunde. Es
ist also eine Fabel, daß die Schlangen, ehe sie ins Wasser gehen, das
Gift unter einen Stein ablegen. Wenn ein solches Tier im Wasser nicht
giftig ist, so hat es auch kein Gift außer demselben. An jenen Zähnen
hätte man also wohl ein Kennzeichen, die gefährlichen Tiere dieser Art
von den unschuldigen zu unterscheiden. Aber wie kann man ihnen, solange
sie leben, in den Mund schauen, und wer wird's tun? Lieber geht man
ihnen zur Sicherheit aus dem Wege, oder schlägt sie tot. Allein so wird
doch auch manches unschädliche und sogar nützliche Tier getötet. Denn
die Schlangen verzehren viel sogenanntes Ungeziefer, und helfen also uns
vor der schädlichen Menge desselben bewahren. Und ein guter und
besonnener Mensch will doch lieber erhalten, als ohne Zweck und Not
zerstören, lieber leben lassen als töten, war es auch nur ein Tier im
Staube. Und die Schlange, ob sie gleich mit dem Bauch auf der Erde
schleicht, ist doch ein merkwürdiges und wirklich ein schönes Tier.
Schon das verdient ja unsere Bewunderung, daß dieses Geschöpf ohne Füße
nur durch seine zahlreichen Muskeln sich so leicht fortbewegen kann.
Ihre Gestalt ist so einfach, und doch fehlt ihnen nichts, was ihnen zur
Erhaltung und zum Genüsse ihres Lebens nötig ist. Mit welcher
Geschwindigkeit und Gewandtheit gleiten sie in den mannigfaltigsten
Wendungen ihres schlanken Körpers nach allen Richtungen dahin, und
ereilen ihre fliehende Beute, oder retten ihr verfolgtes Leben? Mit
welcher leichten Biegsamkeit wenden sie sich zwischen und über und unter
den tausend Hindernissen durch, die ihrem Laufe überall im Wege liegen?
Wer hat über den ganzen Körper hinab Schild an Schild und Schuppe an
Schuppe gereiht und übereinander gelegt, daß sie bei jeder Bewegung in
der größten Geschwindigkeit ausweichen, nachgeben, sich übereinander
schieben, und doch den zarten Körper bedecken, und allemal wieder in
ihre vorige Lage zurückkehren? Wer hat sie mit der Schönheit und
Mannigfaltigkeit ihrer Farben geziert? In Amerika wird eine Schlange mit
roten, schwarz eingefaßten Flecken, und zitronengelben Querstreifen
wegen ihrer ausnehmenden Schönheit zum Staat als Halsschmuck getragen,
oder in die Haare geflochten. Auch von unsern Schlangen sind manche,
zumal wenn sie sich noch nicht lange gehäutet haben, an Farbe und
Zeichnungen schön, wenn man sie nur ohne Furcht und Abscheu betrachten
kann.
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Aber wenn wir nur erst die gefährlichen unter ihnen kennten! Ein
gelehrter Beobachter dieser Tiere hat folgende allgemeine Kennzeichen
angegeben, die leicht zu merken sind. Wenn der Kopf breit, und mit
dünnen Schuppen besetzt ist, so ist die Schlange verdächtig; wenn er
aber mehr rund ist, so ist sie's nicht. Ferner, wenn sich das Ende des
Körpers fein zuspitzt, so ist nicht zu trauen; ist es aber stumpf und
abgerundet, so hat man keine Gefahr. Doch gibt er diese Kennzeichen
selber nicht für ganz untrüglich aus, und das beste an der Sache ist
das, daß wir nur sehr wenige giftige Schlangen haben, die leicht zu
kennen sind, und daß diese nicht mutwillig den Menschen angreifen,
sondern nur sich selber verteidigen, wenn sie beunruhigt, gereizt,
gedrückt oder verletzt werden.
Zum Beispiel, die sogenannte Otter hat einen fast herzförmigen Kopf,
eine Länge von 1 bis
2 Fuß und ein spitziges Ende. Die Farbe ist nach den verschiedenen
Häutungen, oben grau olivenbraun, oder schwärzlich, unten hellgrau auch
bläulich. Auf dem Kopfe steht ein großer herzförmiger brauner Fleck, auf
dem Halse dergleichen Punkte im Zickzack, dann Streifen und von der
Mitte an noch einzelne größere und kleinere Flecken, hie und da, die
ebenfalls braun sind. Die Kupferschlange, auch Kreuzotter hat einen
platten, eirunden Kopf, dünnen Hals, eine Länge von 6, 8 bis 12 Zoll und
einen zugespitzten Schweif. Oben ist sie rostfarbig, bald stärker bald
schwächer. Sie hat auf dem Kopfe zwei voneinander abgekehrte Halbzirkel
)(. Über den Rücken hinab lauft ein dunkelbrauner Streifen im Zickzack,
und an den Seiten hin liegen braune Punkte. Der Unterleib ist aschgrau
mit weißen Querbinden, auf welchem wieder schwärzliche Punkte stehn, und
die Endspitze ist braun.
Auch findet man hie und da noch eine giftige Schlange, die am ganzen
Körper schwarz ist, und deswegen auch die schwarze Otter genennt wird.
Alle halten sich gern in einsamen, waldigen, düstern und verwilderten
Gegenden auf.'
Jede Art von giftigen Schlangen bringt durch ihren Biß andere, aber
allemal schmerzhafte, traurige, bisweilen sehr gefährliche Folgen
hervor. Auch ist der Biß von der nämlichen Schlangenart nicht immer
gleich furchtbar. Es ist gefährlicher, wenn das Tier alt, als wenn es
jung ist, gefährlicher in der heißen und schwülen Witterung, als in der
kühlen, und desto gefährlicher, je mehr der Feind gereizt und erbost
ist. Auf alle Fälle soll man nicht säumen, oder sich auf Segensprechen
und Sympathie verlassen, wenn man gebissen worden ist, sondern so
geschwind als möglich einen erfahrnen Arzt oder Wundarzt zu Rate ziehn.
Unterdessen soll man zum wenigsten die Wunde unterbinden, wenn es sein
kann, erweitern, mit Salzwasser auswaschen. Man empfiehlt auch, ein Loch
in die Erde zu graben, und das verwundete Glied hineinzustecken. Jäger
haben schon Schießpulver auf die Wunde gestreut, und angezündet, und
haben die Wirkung gerühmt.
Auch mit den getöteten Schlangen von giftiger Natur muß man gar behutsam
sein. Man hat Beispiele, daß unvorsichtige Personen durch die Giftzähne
noch am abgeschnittenen Kopf einer Schlange gefährlich verwundet worden
sind. Aber verschlucken könnte man solches Gift ohne Gefahr, wenn man
nur innerlich gesund und unverletzt ist, denn es schadet nur, wenn es
unmittelbar ins Blut kommt. Auch das Fleisch dieser Tiere ist
unschädlich. Schon manche Schlange ist gegessen worden, ja man bereitet
von dem Fleische der giftigen Otter für gewisse Kranke eine sehr
nahrhafte und heilsame Brühe.
Aber an allen unsern Schlangen, die nicht Giftzähne haben, ist auch
sonst nichts Furchtbares, und ihre Größe macht sie nicht gefährlich. Ob
man gleich nicht genau sagen kann, wie alt sie werden, so hat man doch
Ursache zu glauben, dass sie lange wachsen, und die ungewöhnliche Größe
mancher Schlangen bewiese also nur, daß ihr der Zufall viel Zeit
gelassen hat, sich zu strecken.
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Es ließe sich noch viel Merkwürdiges von diesen Tieren, besonders aus
fremden Ländern, erzählen, z. B. die giftige Klapperschlange in Amerika
gibt mit mehrern beweglichen Gelenken am Schweif einen zischenden oder
rauschenden Laut von sich, ehe sie angreift. Wer es hört, ist gewarnt,
und kann sich in acht nehmen. Aber Eichhörnchen und andere Tiere, die zu
ihrer Nahrung bestimmt sind, werden durch diesen Laut ordentlich
herbeigelockt, und liefern sich selber zur Beute, und die jungen
Amerikaner, wenn sie Eichhörnchen fangen wollen, sind so keck, daß sie
sich irgendwo im Gebüsche verbergen, das Rauschen der Klapperschlange
nachmachen, die Eichhörnchen damit locken, und sich alsdann ihrer zu
bemächtigen suchen.
Es gibt auch ungeheure große Schlangen in Afrika, Ostindien etc. die
größte soll mehr als Mannsdicke und eine Länge von 40 Fuß auch drüber
erreichen. Sie ist nicht giftig, aber durch ihre Größe und Stärke selbst
dem grausamsten Raubtiere, dem Tiger, gefährlich. Sie umwindet ihn, und
drückt ihm die Knochen im Leibe entzwei. Sie schlingen Tiere ganz hinab,
die dicker als sie selbst sind, weil der Körper nachgibt, und sich über
seine gewöhnliche Dicke ausdehnen läßt, werden aber alsdann träge und
unbehülflich.
Man erzählt, daß ein Vater eben dazukam, als eine große Schlange sein
Kind verschluckte. Augenblicklich und glücklich soll er sie getötet, ihr
den Bauch aufgeschnitten, und sein Kind lebendig und unversehrt
herausgezogen haben. Es gehört Glauben dazu, aber als ein äußerst
glücklicher Zufall scheint es wenigstens möglich zu sein.
Wenn die Neger in Afrika einer großen Schlange die Haut abstreifen
wollen, so ziehn sie dieselbe mit einem Strick an den Ast eines hohen
Baumes auf. Einer klettert alsdann mit einem Messer hinauf, geht auf den
Ast hervor, läßt sich an das Ungeheuer hinab, löst ihm die Haut unter
dem Kopf, streift sie ab, und gleitet alsdann sachte mit der Haut, die
er von oben nachzieht, an dem glatten Körper zur Erde hinab.
Große Schlangen wurden bei den Alten auch Drachen genannt. Aber wer
dabei an geflügelte und feuerspeiende Untiere denkt, oder an sogenannte
Basilisken, der denkt an eine Fabel. Und es ist nur so viel an der
Sache, daß es in fremden Weltteilen auf den Bäumen Eidechsen gibt, die
durch sogenannte Flughäute auf dem Rücken und am Hals, oder an den
Seiten zwischen den vordem und hintern Beinen sich in der Luft schwebend
erhalten und weite Sprünge machen können.
Man kennt auch eine Schlange, die auf dem Kopfe zwei bewegliche
Auswüchse wie Hörner hat, und nennt sie deswegen die gehörnte. Sie weiß
sich sehr geschickt im Grase zu verbergen, so daß nur diese Auswüchse
hervorschauen. Vögel, die dies sehen, halten's für Würmer, fliegen
herzu, und wollen anbeißen, werden aber augenblicklich von der Schlange
erhascht, und gefressen.
So begegnet wohl auch manchem Menschen gerade dasjenige selber, was er
aus Eigennutz oder Schadenfreude einem andern zugedacht hat.
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