Der große Sanhedrin zu Paris (1808)
Daß die Juden seit der Zerstörung Jerusalems, das
heißt, seit mehr als 1700 Jahren, ohne Vaterland und ohne Bürgerrecht
auf der ganzen Erde in der Zerstreuung leben, daß die meisten von ihnen,
ohne selber etwas Nützliches zu arbeiten, sich von den arbeitenden
Einwohnern eines Landes nähren, daß sie daher auch an vielen Orten als
Fremdlinge verachtet, mißhandelt und verfolgt werden, ist Gott bekannt
und leid. - Mancher sagt daher im Unverstand: „Man sollte sie alle aus
dem Lande jagen." Ein anderer sagt im Verstand: „Man sollte arbeitsame
und nützliche Menschen aus ihnen machen, und sie alsdann behalten."
Den Anfang dazu hat der große Kaiser Napoleon gemacht. Merkwürdig für
die Gegenwart und für die Zukunft ist dasjenige, was er wegen der Judenschaft in Frankreich und dem Königreich Italien verordnet und
veranstaltet hat.
Schon in der Revolution bekamen alle Juden, die in Frankreich wohnen,
das französische Bürgerrecht, und man sagte frischweg: Bürger Aron,
Bürger Levi, Bürger Rabbi, und gab sich brüderlich die Hand. Aber was
will da herauskommen? Der christliche Bürger hat ein anderes Gesetz und
Recht, so hat der jüdische Bürger auch ein anderes Gesetz und Recht, und
will nicht haben Gemeinschaft mit den Gojim. Aber zweierlei Gesetz und
Willen in einer Bürgerschaft tut gut, wie ein brausender Strudel in
einem Strom. Da will Wasser auf, da will Wasser ab, und eine Mühle, die
darin steht, wird nicht viel Mehl mahlen.
Das sah der große Kaiser Napoleon wohl ein, und im Jahr 1806, ehe er
antrat die große Reise nach Jena, Berlin, und Warschau, und Eylau, ließ
er schreiben an die ganze Judenschaft in Frankreich, daß sie ihm sollte
schicken aus ihrer Mitte verständige und gelehrte Männer aus allen
Departementern des Kaisertums. Da war nun jedermann in großem Wunder,
was das werden sollte, und der eine sagte das, der andere jenes, z. B.
der Kaiser wolle die Juden wieder bringen in ihre alte Heimat am großen
Berg Libanon, an dem Bach Ägypti und am Meer.
Als aber die Abgeordneten und Rabbiner aus allen Departementern, worin
Juden wohnen, beisammen waren, ließ bald der Kaiser ihnen gewisse Fragen
vorlegen, die sie sollten bewegen in ihrem Herzen, und beantworten nach
dem Gesetz, und war daraus zu sehen, es sei die Rede nicht vom
Fortschicken, sondern vom Dableiben, und von einer festen Verbindung
der Juden mit den andern Bürgern in Frankreich und in dem Königreich
Italien. Denn alle diese Fragen gingen darauf hinaus, ob ein Jude das
Land, worin er lebt, nach seinem Glauben könne ansehen und lieben als
sein Vaterland, und die andern Bürger desselben als seine Mitbürger,
und die bürgerlichen Gesetze desselben halten.
Das war nun fast spitzig, und wie es anfänglich schien, war nicht gut
sagen: Ja, und war nicht gut sagen: Nein.
Allein die Abgeordneten sagen, daß der Geist der göttlichen Weisheit
erleuchtet habe ihre Gemüter, und sie erteilten eine Antwort, die war
wohlgefällig in den Augen des Kaisers. Darum formierte die jüdische
Versammlung aus sich, zum unerhörten Wunder unsrer Zeit, den großen Sanhedrin. Denn der große Sanhedrin ist nicht ein großer Jude zu Paris,
wie der Riese Goliath, so aber ein Philister war, sondern Sanhedrin,
das wird verdolmetscht eine Versammlung, und wurde vor alten, alten
Zeiten also genannt der Hohe Rat zu Jerusalem, so bestand aus 71
Ratsherren, die wurden für die verständigsten und weisesten Männer
gehalten im ganzen Volk, und wie diese das Gesetz erklärten, so war es
recht, und mußte gelten in ganz Israel.
Einen solchen Rat setzten die Abgeordneten der Judenschaft wieder ein,
und sagten: es sei seit 1500 Jahren kein großer Sanhedrin gewesen, als
dieser unter dem Schutz des erhabenen Kaisers Napoleon.
Dies ist der Inhalt der Gesetze, die der große Sanhedrin aussprach zu
Paris
im Jahr 5567 nach Erschaffung der Welt im Monat Adar desselbigen
Jahres
am 22. Tag des Monats:
1) Die jüdische Ehe soll bestehen aus einem Manne und einer Frau. Kein
Israelite
darf zu gleicher Zeit mehr haben, als eine Frau.
2) Kein Rabbiner darf die Scheidung einer Ehe aussprechen, es sei dann,
die
weltliche Obrigkeit habe zuvor gesprochen, die Ehe sei nach dem
bürgerlichen
Gesetz aufgelöst.
3) Kein Rabbiner darf die Bestätigung einer Ehe aussprechen, es sei
dann, daß
die Verlobten von der weltlichen Obrigkeit einen Trauschein
haben. Aber ein Jude
darf eine Christentochter heuraten, und ein Christ
eine jüdische Tochter. Solches
hat nichts zu sagen.
4) Denn der große Sanhedrin erkennt, die Christen und die Juden seien
Brüder,
weil sie einen Gott anbeten, der die Erde und den Himmel
erschaffen hat, und
befiehlt daher, der Israelite soll mit dem Franzosen
und Italiener und mit den
Untertanen jedes Landes, in welchem sie
wohnen, so leben, als mit Brüdern
und Mitbürgern, wenn sie denselben
einigen Gott anerkennen und verehren.
5) Der Israelite soll die Gerechtigkeit und die Liebe des Nächsten, wie
sie befohlen
ist im Gesetz Moses, ausüben, ebenso gegen die Christen,
weil sie seine Brüder
sind, als gegen seine eigene Glaubensgenossen, in
und außer Frankreich und dem Königreich Italien.
6) Der große Sanhedrin erkennt, das Land, worin ein Israelite geboren
und erzogen
ist, oder wo er sich niedergelassen hat, und den Schutz der
Gesetze genießt, sei
sein Vaterland, und befiehlt daher allen Israeliten
in Frankreich und in dem
Königreich Italien, solches Land als ihr
Vaterland anzusehen, ihm zu dienen, es
zu verteidigen etc.
Der jüdische Soldat ist in solchem Stand von den Zeremonien frei, die
damit nicht
vereinbar sind.
7) Der große Sanhedrin befiehlt allen Israeliten, der Jugend Liebe zur
Arbeit
einzuflößen, sie zu nützlichen Künsten und Handwerkern
anzuhalten, und
ermahnt sie, liegende Gründe anzukaufen, und allen
Beschäftigungen zu
entsagen, wodurch sie in den Augen ihrer Mitbürger
könnten verhaßt oder
verächtlich werden.
8) Kein Israelite darf von dem Geld, welches ein israelitischer
Hausvater in der
Not von ihm geliehen hat, Zins nehmen. Es ist ein Werk
der Liebe; aber ein
Kapital, das auf Gewinn in den Handel gesteckt wird,
ist verzinsbar.
9) Das nämliche gilt auch gegen die Mitbürger anderer Religionen. Aller
Wucher
ist gänzlich verboten, in und außer Frankreich und dem Königreich
Italien,
nicht nur gegen Glaubensgenossen und Mitbürger, sondern auch
gegen Fremde.
Diese neun Artikel sind publiziert worden den 2. März 1807, und
unterschrieben
von dem Vorsteher des großen Sanhedrin, Rabbi D. Sinzheim
von Straßburg
und andern hohen Ratsherren.
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