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Rettung vom Hochgericht     (1813)
 
Eines Tages sagte zu sich selbst ein einfältiger Mensch: „Dumm bin ich; wenn ich mich nun auf pfiffige Streiche lege, so wird kein Mensch vermuten, daß ich's bin." Also legte er sich aufs Stehlen. Aber schon nach dem ersten Diebstahl wurde er als der Täter entdeckt und überwiesen, weil er die goldne Uhr die er gestohlen hatte, selber trug, und alle Augenblicke herauszog. Einige Ratsherrn meinten, man könnte wegen seiner Einfalt etwas glimpflicher mit ihm verfahren, als mit andern, und ihn auf ein Jahr oder etwas ins Zuchthaus schicken. „So?" sagten die andern, „ist's nicht genug, daß so viele verschmitzte Halunken das saubere Handwerk treiben? Soll man für die dummen auch noch Prämien aussetzen, damit alles stiehlt", und sechs gegen fünf sagten: „Er muß an den Galgen." Auf der Leiter, als ihm der Henker den Hals visitierte, sagte er zu ihm: „Guter Freund, Ihr habt's ziemlich dick da herum sitzen, noch dicker, als hinter den Ohren. Fast hätt ich einen längern Strick nehmen sollen." Denn wirklich war dem armen Schelm das Kinn ziemlich stark mit dem Hals verwachsen, und als der Henker den Strick ohnehin ungeschickt angebracht hatte und den armen Sünder von der Leiter hinabstieß, glitschte dieser mit dem Kopf aus der Schlinge heraus und fiel unversehrt herab, auf die Erde. Einige Zuschauer lachten, aber der größte Teil erschrack und tat einen lauten Schrei, als ob sie fürchteten, es möchte dem Malefikanten, den sie doch wollten sterben sehn, etwas am Leben schaden. Aber der Henker stand einige Augenblicke, wie versteinert oben auf dem Seigel, und sagte endlich: „So etwas ist mir in meinem Leben noch nie passiert." Da sagte der Malefikant unten auf der Erde kaltblütig und mit gequetschter Stimme: „Mir auch nicht", und alle die es hörten, vergaßen die Ernsthaftigkeit einer Hinrichtung, und daß auf dem Weg über das Hochgericht ein armes verschuldetes Gewissen an seinen ewigen Richter abgeliefert wird, und mußten lachen. Der Blutrichter selber hielt das Schnupftuch vor den Mund, und sah auf die Seite. Die glimpflichem Ratsherrn aber ermahnten die strengern: „Laßt jetzt den armen Ketzer laufen. Am Galgen ist er gewesen, und mehr habt ihr nicht verlangt, und Todesangst hat er ausgestanden." Also ließen sie den armen Ketzer laufen.

 
 
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