Lange Kriegsfuhr
(1812)
Dies ist
die Geschichte, die dem Hausfreund vor einem Jahr ein unsichtbarer
Freund geschenkt hat, und der Freund sagt, er kenne die Abkömmlinge des
Wirts, und die Sache sei ganz gewiß.
Im Dreißigjährigen Krieg, der Schwed zog durch ein namhaftes Dorf im
Wiesenkreis, und in dem Dorf durchs Wirtshaus, und im Durchziehen durch
den Hof blieb der Knecht des Wirts mit einem Wagen und vier Pferden an
der Kolonne hängen. Denn er mußte Tornister führen, und Offizierskisten
und Weibsleute. Der Meister sagte: „Komm bald wieder heim Jobbi!" Der
Jobbi dachte: An mir soll's nicht fehlen. Die Meisterin weinte und
lamentierte, aber ein schwedischer Korporal sagte: „Man wird Roß nicht
fressen. Tartar frißt Roß." Indessen ging die erste Tagsstation nur bis
nach Freiburg, die zweite nur bis nach Kippenheim, die dritte nur bis
nach Ortenberg, die vierte nur bis nach Hornberg, die fünfte nur bis
nach Villingen im Schwarzwald. Dem armen Jobbi so hoch droben bei den
Wolken, war schon das Leben feil, und die Pferde hätten auch gern ins
Gras gebissen, aber noch lieber in den Haber. Und unter allen vieren
beklagte der Jobbi am meisten sein Lieblingsroß den Jockli, daß er schon
in seinen besten Jahren ein Kriegsheld werden mußte. Aber das half alles
nichts. Wo man hinkam, waren keine Fuhren zu haben, so mußte der Jobbi
und der Jockli mit, ungefragt und ungebeten bis weit hinein ins
Schwabenland und hinter sich und für sich, und aus so viel Tagen wurden
so viel Monate und mehr, bis er einmal zwischen einem Montag und
Dienstag Gelegenheit fand, eine Spazierfahrt für sich zu machen ins
Freie. Die östreichischen Vorposten riefen ihn an: „Wer da?" - „Gut
Freund." - „Wer ist gut Freund?" „Der Jobbi von da und da." „Bassa
mallergi", sagte der Korporal, „bist du Jobbi von da und da?" Der
Korporal hatte auch schon einen Schluck Branntwein oder vierundzwanzig
bei seinem Meister getrunken und kannte den Jobbi, und der
Vorpostenhauptmann war auch schon auf dem Jockli nach Waldshut geritten und kannt den
Jockli. Also sagte der Hauptmann: „Willst du einen Paß nach Haus oder
willst du bei uns bleiben und Geld genug verdienen?" Da dachte der Jobbi:
Aufgegeben hat mich der Meister schon lang und einen andern Zug gekauft.
Attrappiert mich unterwegs der Schwed, so geht's zu bösen Häusern oder
gar zu bösen Bäumen, und der Mund stand ihm voll Wasser, wenn er sah,
wie die östreichischen Dukaten flogen, und auf den Boden fielen, und
niemand bückte sich darnach. Denn der östreichisdie Krieg hat Geld. Also
blieb der Jobbi bei der Armee, hauderte hin und her, bis nach Preßburg
hinein im Ungarland und wieder zurück, handelte auch ein wenig und
gewann Hüte voll Geld. Der Wagen zerbrach; er kaufte sich einen neuen.
Ein Pferd fiel nach dem andern, die Beute hatte andere. Nur der Jockli
hielt aus Berg auf und ab, durch dick und dünn. Gleichwohl dachte der
alte Knabe oft an den Meister und an die Meisterin daheim, und wie er
auch wieder einmal zurückwolle, wenn's sauber sei im Reich. Und der
Meister und die Meisterin daheim dachten auch manchmal an den Jobbi
selig, und wie es ihm möge ergangen sein bei den Schweden. Eines Tags,
als schon alle Kanonen vom Rhein bis an die Donau und bis an die Ostsee
versaust hatten, die Meisterin schnitt die Suppe ein zum Mittagessen und
der Wirt richtete den Zeiger an der Wanduhr, denn es schlug auf der
Kirche, da seufzte die Frau, und sagte nichts. Der Meister fragt: „Was
fehlt dir?" - „He nichts", sagte sie, „ich hab an den Jobbi gedacht,
Gott hab ihn selig, und an den schönen Zug, heut jährt sich's wieder." -
„Es wird sich noch vielmal jähren", sagte der Mann. „Gottlob daß wieder
Ruhe im Lande ist."
Indem tritt der Hausknecht herein, und sagt:
„Meister da draußen haltet ein obsonater Gesell, ein Ungar mit
schneeweißem Bart und 4 Rossen, der aussieht wie ein Marketender und hat
auch so ein Brannteweinfäßlein auf dem Wagen. Kommt mir der Sapperment
frangschemang in den Stall und sagt: ,An diesem Platz bin ich der
Meister'; drauf jagt er Eure Pferde in den Hof hinaus und bindet die
seinigen an. Ist noch Krieg oder ist's Frieden?" Indem der Meister
hinauswill, kommt der Ungar hinein und sagt: „Gemach!" - Der Wirt
fragt: „Woher des Landes? Solche Gäste haben wir auch schon gehabt."
„Eine Halbe will ich", sagte der Ungar, „von Eurem Besten und zwei
Gläser." - „Das ist nicht von Euerm Besten", sagte er nachher. „Von dem
Krenzacher will ich, im hintern Keller, oder von dem Laufemer hinter der
Brotbahre, wo die Katz darauf sitzt." Der Wirt sagt: „Woher wißt Ihr,
was ich für Wein im Keller habe?" Der Ungar sagt: „Von Euerm alten
Knecht dem Jobbi", und wollte sich noch lange verstellen. Als er aber
seinen Namen hörte, wiewohl er ihn selber aussprach, konnte er nimmer an
sich halten, sondern ergriff die Hand des Meisters, und die Tränen
rannen ihm aus den Augen in den weißen Bart, wie der köstliche Balsam,
der herabfließt in den Bart Aarons, der herabfleußt in sein Kleid und
Lust und Freude erregt. „Ich bin ja der alte Jobbi", sagte der vermeinte
Ungar, „wo einmal bei Euch" - Aber der Wirt und die Wirtin unterbrachen
ihn mit einem lauten Freudengeschrei, „und den Jockli hab ich auch
wieder mitbracht", sagte der Jobbi, „die andern sind neu." Jetzt ging's
an ein Bewillkommen und an ein Fragen, der Wirt rief die
Kinder zusammen, der Jobbi sei wieder da, und die Mutter brachte die
Kleinen eins an der Hand, eins auf dem Arme; aber sie fürchteten sich
und schrien vor dem fremden Bart; und der Herr Schulmeister kam im
Vorbeigehen auch hinein. Als aber der Meister ein Glas zum Willkommen
mit ihm getrunken hatte, und wollte ihm das zweite einschenken, sagte
der Jobbi: „Das Fäßlein! Wir müssen zuerst das Fäßlein abladen." Drauf
brachte der Wirt, der Jobbi und der Hausknecht ein Fäßlein; aber nicht
mit Branntwein, nein voll kaiserlicher Taler und Chremnitzer Dukaten ab
dem Wagen herein, so schwer sie tragen konnten. „Dies ist Euer Geld",
sagte der Jobbi, „das ich Euch ehrlich verdient habe. Ich verlange
nichts als für die sechs Jahre meinen Lohn, und für den Jockli den
Ruhestand." Der Meister sagte: „Du sollst keinen Lohn von mir bekommen,
sondern du sollst das Kind im Hause sein und zwar das älteste." Aber der
Jobbi sagte: „Ihr habt unterdessen, wie ich sehe, Kinder genug bekommen.
Laßt mich, wie ich bin", und ging mit einem Mund voll Brot hinaus, um
nach den Pferden zu sehen, und seine alten Geschäfte zu verrichten wie
vorher, als wenn er nie weg gewesen wäre.
Also blieb er bis an sein Ende im Dienste seines Meisters, und vermachte
ihm, weil er keinen Erben hatte, noch sein Vermögen von 520 Pfund Basler
Währung, tut 416 Gulden rheinisch. Der Meister aber rührte das Geld
nicht an, sondern stiftete es für die Armen.
Merke: der Hausfreund kann letzteres nicht für gewiß sagen. Aber er
denkt so: War der Jobbi ein guter Knecht, so war der Meister ein guter
Mensch. Fromme Herrschaft zieht frommes Gesinde. Grobheit, Fluchen und
Geiz ist der falsche Weg zu gutem Gesind, hintenherum. Ist also der Wirt
ein so raisonnabler Mann gewesen, hat er auch das Geld den Armen
geschenkt.
Zwei Tage nach dem Jobbi starb auch der Jockli. Merke: die Kleidertracht
auf der Abbildung ist nicht, wie man sie jetzt trägt, sondern wie sie im
Dreißigjährigen Krieg getragen wurde, und der Mann mit dem freundlichen
frohen Gesicht neben der Wirtin ist ohne Zweifel der Herr Schulmeister.
Sieht er nicht aus fast wie ein Weihbischof? |