Hexenmehl
(1813) An vielen Orten pflegen die Mütter aus altem zerfressenem Holz das sogenannte Wurmmehl zu sammeln und herauszukratzen, auf daß, wenn die Kindlein in der Wiege sich aufliegen oder sonst wund werden, so bestreut man ihnen damit die wund gewordnen Stellen, und verschafft ihnen Linderung. Das wäre nun freilich gut, aber es gibt noch etwas Besseres. Denn erstlich so kann man das Aufliegen und Wundwerden der Kinder gar oft verhüten, daß es gar nicht kommt, wenn man sie fleißig am ganzen Körper wascht, wenn man ihr Bettlein so reinlich hält, als möglich, und sie nicht länger in der Wiege liegen läßt, als zu ihrer Ruhe und Pflege nötig ist. Reinlichkeit ist in allen Dingen für die Gesundheit der Meister. Zweitens und wenn sich dies Wundwerden nicht verhüten läßt, so ist das Wurmmehl noch nicht das zuträglichste Mittel dagegen. Denn das Wurmmehl ist noch nicht fein genug, für den zarten empfindlichen Körper eines solchen Kindes. Ein ungeschickter Wurm kann nicht so fein mahlen. Hiernach ist das Wurmmehl auch nicht reinlich genug, sondern es ist meistens mit Staub, mit kleinen Holzsplitterlein und mit den Unreinigkeiten des ekelhaften Wurms selbst vermischt, und anstatt dem armen Kind zu helfen, verursacht man ihm oft nur größeres Übel. Leute die auf eine Kleinigkeit nicht zu sehen haben, gehen daher lieber in eine Apotheke und kaufen für ein paar Kreuzer Streumehl, sonst auch einfältigerweise Hexenmehl genannt. Dieses allein ist fein, rein und heilsam, denn es hat's kein Wurm gemahlen und bereitet, auch nicht des Apothekers Hand, er läßt's bleiben, auch keines Menschen Hand, auch keine Hexe, sondern es kommt aus den reinen gütigen Händen der Natur selbst, und der Apotheker verkauft's nur. Nun wäre es keine Sache, wenn man sagte: „Mutter, laß dich ein paar Kreuzer für ein Schächtlein voll Streumehl um deines zarten Kindes willen nicht reuen, wenn du es hast, und spar es lieber an dir selber wieder!" Aber der Hausfreund weiß andern Rat. Er kann vielen von seinen Lesern mit einem beträchtlichen Vorrat davon unentgeldlich aushelfen, und bietet's hiemit an. Der Apotheker hört's nicht gern. Es kommt nämlich dieses Streumehl von einer Pflanze, die überall in trockenen und bewachsenen Wald- und Heidegegenden vorkommt, und an verschiedenen Orten ungleiche Namen hat, als da sind Bärlappe, Sankt Johannesgürtel, Drudenfuß, Wolfsklaue, Teufelsklaue, Neunhell und so weiter. In der Gegend von Hausen zum Exempel auf dem Alzebühl, an dem Plaßberg, im Wagengesperr hat sie der Hausfreund in seiner Kindheit oft gesehn und um den Leib herumgegürtet, hernachmals auch in Brassenheim und in Segringen. Sollte aber der Leser dieses Gewächs an keinem von obigen Namen erkennen können, so sieht es eben deswegen ganz kurios und nicht wie andere Krauter aus, damit man es desto sicherer beschreiben kann. Es hat nämlich einen gelblich grünen Stengel der sich mit seinen Ästen nicht in die Höhe treibt, sondern unter dem Gras und Laub links und rechts wie ein dünner Strick oder eine dicke Schnur auf dem Boden liegend fortwindet, immer neue Würzelein in die Erde hineintreibt, und ringsum mit viel tausend kleinen spitzigen anliegenden Blättlein, als wie mit Schuppen umgeben ist. Der geneigte Leser fängt schon an, etwas zu merken. „Nicht wahr", sagte er, „im Sommer steigen aus dem Winkel der Äste gerade, aufrecht stehende Stiele 3 bis 5 Zoll lang in die Höhe und auf jedem sitzen zwei auch drei kleine runde Ähren oder Würstlein, und man kann oben an ihnen sehen, wo sich das Gewächs unter dem Gras und Laub hinwindet?" — Ganz richtig! - „Und die Würstlein sind anfänglich auch mit fest anliegenden kleinen Blättlein oder Schuppen rings umgeben, aber im Spätjahr gehn die Blättlein oben los, und die Ähre öffnet sich in ebensoviel kleine Fächlein?" Ganz richtig! Und nun ist alles klar, und in diesen offenen Fächlein liegt alsdann das reife Streumehl oder sogenannte Hexenmehl, das der Hausfreund anbietet. Wer's ihm abnehmen will, tut am besten, man gibt im Sommer Achtung, wo solche Pflanzen zu finden sind, und im September oder Oktober frühmorgens, wenn die Würstlein noch feucht vom Nachtduft sind, schickt man ein paar Kinder hinaus, oder geht selber. Einer Mutter wird für ihr Kindlein kein Gang zu sauer. Hernach schneidet man mit einer Schere die Ähren ab, und tragt sie sorgfältig heim. Daheim legt man sie auf ein Papier, läßt sie dürr und trocken werden, schüttelt alsdann das Mehl heraus, und hebt es zum Gebrauch gut auf. Der Hausfreund hat allemal eine stille Freude, wenn er bedenkt, wie die Einwohner auf dem Land und in den lustigen Tälern so manches umsonst haben können, wenn sie wollen, was man in der Stadt bezahlen muß und oft für teures Geld nicht haben kann, als Bohnen, Kirschen, Habermark, Himbeeren und Heidelbeeren genug, kühles Wasser, item Gesundheit, item Zufriedenheit, item Kurzweil, item Streumehl für die armen Kinder. |
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