Guter Rat (1805)
Was ich jetzt sagen will, wird manchem, der es
liest, geringfügig und vielleicht lächerlich scheinen; aber es ist nicht
lächerlich; und mancher, der es liest, wird meinen, ich habe ihn
leibhaftig gesehen, und es wäre wohl möglich. Doch weiß ich's nicht, und
will niemand besonders meinen. Es gibt Gegenden hin und wieder, wo die
Männer und Jünglinge im ganzen recht gesund und stark aussehen, wie es
bei guter Arbeit und einfacher Nahrung möglich und zu erwarten ist. Sie
haben eine gesunde Gesichtsfarbe, eine starke Brust, breite Schultern,
guten Wuchs, kurz, der ganze Körperbau ist wohlproportioniert und
tadellos, bis unter die Kniee. Da kommt's auf einmal so dünn und so
schwach bis zu den Füßen hinab, und man meint, die armen Beine müssen
zusammenbrechen unter der schweren Last, die sie zu tragen haben. Das
wißt ihr wohl: Manchem, der sich vor dem Spiegel einbildet, ein hübscher
Knabe zu sein, geht es wie dem Pfau, wenn er auf seine Füße schaut, und
deswegen zieht ihr die starken ledernen Riemen, mit welchen ihr die
Strümpfe unter dem Knie zu binden pflegt, immer fester an, und setzt ihn
in eine Schnalle ein, wo er nie nachgeben kann, damit das Fleisch ein
wenig anschwellen, sich herausheben, und etwas gleichsehen soll, und
eben daher kommt's. Denn der ganze menschliche Körper und alle seine
Glieder erhalten ihre Nahrung von dem Blut. Deswegen lauft das Blut
unaufhörlich von dem Herzen weg, zuerst in großen Adern, die sich
nachher immer mehr in unzählig viele kleine Äderlein verteilen und
vervielfältigen, durch alle Teile des Körpers bis in die äußersten
Glieder hinaus, und kehrt alsdann durch andere Äderlein, die wieder
zusammengehen, folglich größer und an der Zahl weniger werden, zu dem
Herzen zurück, und das geht unaufhörlich so fort, solange der Mensch
lebt, und auf diesem Wege gibt das Blut dem Fleisch, den Knochen und
allen Teilen des Körpers ihre Nahrung, ihre Kraft und Ausfüllung, und
wird selber wieder auf eine andere Art durch tägliche Speise und Trank
erhalten und ersetzt. Es geht da fast so zu, wie bei einer
wohleingerichteten Wasserleitung. Da wird das Wasser aus dem größeren
Strom in kleinere Kanäle fortgeleitet. Aus diesen verteilt es sich immer
mehr in kleinere Bäche und Bächlein, dann in Rausen, und endlich findet
es jeden Grashalm auf einer Wiese, Klee und Habermark,
Liebfrauenmantelein, und was darauf wächst, und gibt ihm seine
Erquickung. Aber wo wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen
klein und schlecht, und was kann davor sein? So ist es mit dem
menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die
Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann
sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch
alle Teile des Körpers mit dem Wachstum zu ihrer Kraft und
Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen
Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch
diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von
früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen
durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden
zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nötig
ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es
setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man
nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein,
macht aber eigentlich nur das Übel ärger, wie es immer geht, wenn man
nur auf den Schein sieht, und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens
die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten
sich begnügt. Mein guter Rat wäre also der: Ihr sollt's machen wie
andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigem
Bändern über dem Knie, oder wenn man bei der alten Weise bleiben will;
so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nötig ist, um die
Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft anwenden, und mehr tun
als nötig ist, um seinen vernünftigen Zweck zu erreichen. Besonders
müssen die Eltern frühe darauf sehen, daß ihre Kinder die Strümpfe nicht
zu fest binden. Alsdann wird das Blut seinen Weg schon finden, und den
Gliedern die Nahrung und Stärke geben, die ihnen gebührt. Dies ist mein
guter Rat; und wer keinen Glauben daran hat, der frage nur einen Arzt
oder den Herrn Pfarrer; die müssen's auch wissen. Aber folgen muß man
als dann.
Denn, wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen. |