Geschwinde Reise
(1812)
Ein italienischer
Kaufmann, der auf die Frankfurter Messe reisen wollte, hatte sich in Stuttgart
um einen Tag verspätet. Also mußte er die Extrapost anspannen lassen. Wie fang
ich's an, dachte er, daß ich geschwind aus dem Feld komme, und doch mit geringen
Kosten? „Postillion", sagte er, als er in das Kaleschlein saß, „fahr langsam,
denn ich sitze nicht nur auf dem Kutschenkistlein, sondern auch auf einem
Blutgeschwür, und meine entsetzliche Kopfwunde da auf der linken Seite wirst du
hoffentlich sehn." Eigentlich aber war sie nicht wohl zu sehen. Denn fürs erste
war der Kopf mit einem Tüchlein verbunden, das zwar blutig aussah, fürs zweite
hatte er unter dem Verband keine Wunde. „Wenn du recht langsam fährst", sagte
er, „auf der Station soll's dich nicht reuen." Der Postillion dachte: Solchen
Gefallen kann ich den Rossen tun, und was das Trinkgeld anbelangt, mir auch, und
fuhr so langsam, daß die Pferde selber anfingen, eins nach dem andern vor langer
Weile zu gähnen, was doch selten geschieht. Nichtsdestoweniger schrie der
Italiener unaufhörlich: „Zetter und Mordio. O mein Kopf! o mein Bein! Fahr
langsam!" Der Postillion sagte: „Wollt Ihr auf der Straße über Nacht bleiben, so
will ich Euch abladen. Ich kann nicht gar fahren, als wenn ich etwas anders
ausführte auf den Acker. Tu ich nicht langsam genug?" Aber der Passagier sagte:
„Ich schieß dich tot, wenn du nicht gemach fährst." Auf der Station in
Ludwigsburg, als er dem Postillion das Trinkgeld gab, gab er ihm zwei schäbige
Zwölfer, einen Albus und ein paar verrufene Kreuzerlein, bis es einen halben
Gulden ausmachte. Andere gaben sonst wenigstens achtundvierzig Kreuzer, auch
einen Gulden und drüber. Wenn's recht pressiert und wenn's recht in der Tasche
klingelt, auch einen Kronentaler. Aber alle Vorstellung des Postillions und
alles Protestieren half nichts. „Hab ich Euch nicht schlecht genug geführt",
fragte er. „Nein du hast mich nicht langsam genug geführt. Geh zum Henker." Der
Postillion nahm das Geld und dachte: Lieber wenig als gar nichts. Aber wart nur,
dachte er, du bist noch lange nicht zu Frankfurt. Als der Ludwigsburger die
Pferde einspannte, fragte er den Stuttgarter: „Ist der Weg gut?" „Schlecht",
antwortete der Stuttgarter, und winkte ihm ein wenig abseits. Ein wenig abseits
sagte er ihm, was er für einen wunderlichen und geizigen Passagier führe, wie
ihm noch keiner vorgekommen sei. „Fahr den Ketzer drauflos", sagte er, „daß die
Räder davonfliegen. Er hat drei Bluteisen, drei Löcher im Kopf und eine
gespaltene Kniescheibe."
Der Passagier, als der Postknecht aufsaß, sagte: „Fahr langsam Schwager. Es
kommt mir auf ein gutes Trinkgeld nicht an." Aber der Postillion dachte: Dein
Trinkgeld kenn ich. „Meine Pferde sind auf gesunde Herrn dressiert", sagte er,
„ich kann sie nicht halten, wenn sie im Lauf sind", und fuhr drauflos, als wenn
die ganze türkische Armee hinter ihm drein käme. Der Passagier im Kaleschlein
bittet vor Gott und nach Gott, lamentiert, flucht daß sich der Himmel mit Wolken
überzieht. Alles vergeblich. Auf der Station in Besigheim gibt er dem Postillion
dreißig Kreuzer, wie dem ersten. „Was bringst du für einen presthaften Herrn",
sagte der Besigheimer. „Fahr ihn gar tot", sagte der Ludwigsburger, „es ist
ohnedem nicht mehr viel an ihm", und so rekommandierte ihn einer dem andern, und
einer fuhr mit ihm geschwinder davon als der andere, so, daß er noch eine Stunde
früher nach Frankfurt kam, als nötig war. In Frankfurt sprang er zur
Verwunderung und zum Staunen des Postillions kerngesund aus dem Kaleschlein
heraus und gab ihm auch dreißig Kreuzer. |