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Geschwinde Fertigung      (1815)
 
Mancher geneigte Leser, der Weber, der Färber, der Schneider wird nicht glauben, daß am nämlichen Tag das Schaf die Wolle noch an dem Leibe trug, und der Mensch den Rock. Mancher wird denken, es steckt etwas hinter den Worten, zum Vexieren. „Ganz richtig", sagt der eine, „das Schaf trug die Wolle, und der Mensch den Rock, aber der Rock war nicht von der nämlichen Wolle, vielleicht gar nur ein leinener." „Nichts nutz", sagt ein anderer, „es war die nämliche Wolle. Der Rock wurde dem Schaf auf den Rücken gelegt. Trug es den Rock, so trug es auch die Wolle. Haben nicht im letzten Krieg die russischen Kavalleriepferde Stiefel getragen? Aber wie? An des Reuters Beinen." - „Nichts nutz", sagt der Hausfreund, „das Schaf trug am nämlichen Tag seine eigene natürliche Wolle, wie sie ihm aus der Haut herausgewachsen war, und der Mensch den Rock funkelnagelneu von der nämlichen Wolle." Viele Leute in der Stadt Meinungen in Sachsenland wollten auch nicht glauben, daß es möglich sei. „Es gilt das und das", sagte der eine. - „Es soll gelten", sagte der Tuchfabrikant Herr Georg Wagner alldort. Also machte er zuerst alle nötigen Anstalten. Als die Anstalten gemacht waren, wurde früh halb vier Uhr ein Schaf geschoren, dann die Wolle gewolft und mit Baumöl eingefettet. Der Hausfreund versteht's, wie man kunst- und handwerksmäßig spricht. Jetzt war es vier Uhr. Um vier Uhr wurde die Wolle in das Maschinenhaus gebracht, auf der Krempelmaschine verlegt, dann auf die Lockmaschine gebracht, dann auf der Spinnmaschine vorgesponnen, und feingesponnen, dann abgeweift. Es war erst halb sechs Uhr, weil auf der Maschine alles gar vielfach und geschwind geht. Jetzt wurde die gesponnene Wolle in die Webstube gebracht, zum Zeddel gespult, fett gemacht und gestärkt. Alles war in einer halben Stunde getan. Aber bis sie herausgebracht, trocken gemacht und auf den Stuhl gezogen werden konnte, kam acht Uhr ins Land. Jetzt wurde angeknüpft, zum Schuß fertiggemacht, und gewoben. Um zehn Uhr war die Wolle Tuch. Jetzt auf die Walkmühle. Jetzt zum Tuchscherer, wo es durchgerauht und zugerichtet wurde. Um halb zwei Uhr nachmittags kam es in die grüne Farbe, und obgleich es dreimal abgekühlt wurde, konnte es doch schon um zwei Uhr auf den Rahmen gespannt, getrocknet und verstrichen werden. Schon wartete der Schneidermeister mit der Schere in der Hand, und sechs Gesellen mit eingefädelten Nadeln. Das Maß war schon genommen, das Futter schon zugeschnitten. Um sechs Uhr war der Rock gemacht, und auf dem Leib. Diktum Faktum.
 
Vielleicht will's noch nicht jedermann recht glauben. Aber: Merke.
Erstlich: Alles was durch Maschinen gearbeitet werden kann, geht gar viel geschwinder,
als durch des Menschen Hände. Eben das wollte der Herr Wagner recht ins Licht setzen.
Zweitens: Alles war vorher bestellt und zugerichtet. Eine Hand wartete auf die andere.
Drittens: An jeder Arbeit schafften so viele Hände als möglich war und Platz hatten.
Viertens: Wenig Ware ist geschwinder verarbeitet, als viele. Keine Hand ist so flink und keine Maschine so künstlich, daß sie in der nämlichen Zeit hundert Ehlen fertigen und verarbeiten könnte, welche sie zu einer nötig hat.
Fünftens: Es ging alles bedächtig und mit der gehörigen Langsamkeit vonstatten. Man darf nie weniger geschwind tun, wenn etwas geschehen soll, als wenn man auf die Stunde einhalten will.

Merke: Es ist bei allem dem doch ein teures Röcklein geworden.
 
 
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