Eine Gerechtigkeit
( 1818 )
Im Jahrgang des Kalenders 1817 gleich auf der
ersten Seite zum Lesen steht unter der Überschrift Die folgenreiche
Holzkohle eine Erzählung, wie einst ein mutwilliges Büblein den
Schulmeister mit einer Kohle an die Schulstubentüre abgezeichnet und
dafür viel Schläge bekommen habe. Ja, der Schulmeister sei ihm von
dieser Stunde an gram geworden, und habe ihm viel Herzeleid angetan. Als
nun das Büblein in dieser Schule nimmer gedeihen konnte, auch nimmer
hineingehen wollte, sei es von seiner Mutter in eine vornehmere Lehre
getan worden, und sei hernach etwas aus ihm worden.
Derjenige der dieses schreibt, merkt wohl, daß er es gemeint ist, und
manche Leser des Kalenders können es auch merken, denn etwas an der
Sache ist wahr, aber nicht alles, und darum will er nicht dazu
schweigen.
Merke:
Erstens, daß das Büblein das Bildnis des Schulherrn an die Türe
gezeichnet hat, ist wahr. Die Kohle lag da, die Türe war noch nagelneu,
und nahm's an, und der Schulherr war leicht zu treffen.
Zweitens, daß das Büblein dafür Schläge bekommen hat, ist auch
wahr. Es waren nicht die ersten, auch nicht die letzten, auch nicht die
schlechtesten, und hat der Schulherr wohl daran getan.
Daß aber drittens, derselbe von dieser Zeit an dem Büblein feind
gewesen sei, und es mißhandelt habe, das liegt nebendraus, u. zwar
links, und getraut sich nicht mit der Wahrheit zu bestehen, es müßte
denn sein, daß es durch die Länge der Zeit und durch vielmaliges
Wiedererzählen wahr geworden wäre, wie manche wilde und ungeschlachte
Pflanze durch öfteres Ansäen und Versetzen nach und nach zahm wird, und
gut. Nein dazu war der Schulherr viel zu vernünftig. Er war ein treuer
und freundlicher Lehrer, gebrauchte auch nie solche unchristliche
Redensarten, als ihm in dem Kalender in den i Mund gelegt werden, u.
liebte das Büblein nachher wieder, wie vorher, und wie alle seine
Schüler. Oft, wenn derjenige, der dieses schreibt, ein Exempel aus den
Brüchen rechnet, oder wenn er im Herzen den Trost oder den Frieden oder
die Lehre eines Sprüchleins betet, denkt er an den Schulherrn, bei dem
er's gelernt, und wenn er nach Jahr und Tagen wieder einmal zu seinen
Jugendfreunden und Schulkameraden kommt, so reden wir von ihm.
Also kann es auch viertens mit der Wahrheit nicht bestehen, daß
der Knabe wegen der Feindschaft des Schullehrers, aus seiner Schule
genommen und in eine vornehmere getan worden. Nein, er hat auch nachher
noch lange neben der vornehmern Schule die vorige mit Freude und Liebe
fort besucht. Wie man zum Kaffee Zichorie tut, also kam es ihm nicht
darauf an, wenn er vormittags die lateinischen Schläge eine Stunde weit
heimgetragen hatte, nachmittags je einmal auch noch ein paar deutsche
einzutun - aber niemals unverdiente, oder aus Feindschaft und Radisucht
des einen, oder des andern Lehrers.
Es ist sonst des Rheinländischen Hausfreundes Art und Weise nicht, die
Leute zu verunglimpfen, am allerwenigsten die Toten, was man an ihm
loben muß. Denn die Toten haben auf der Erde nichts mehr anzusprechen,
als die Unbescholtenheit und Ehre ihres Namens. Ja sie haben gar nichts
mehr anzusprechen, sondern, wenn sie die Augen zum letztenmal
geschlossen haben, und auf den Kirchhof getragen sind, so haben sie ihr
Recht an sich selber verloren, und gehören nur noch der Zeit und den
Hinterbliebenen an, und wir lesen uns diejenigen, welche wir behalten
wollen, aus, und eignen sie uns in einem liebevollen und dankbaren
Andenken zu, wenn's ein Vater war, seine Kinder, wenn's sonst ein braver
Mann war, seine Mitbürger, wenn's ein Fürst war, seine Untertanen,
wenn's aber ein Schulherr ist, seine Schüler, und leiden nicht, daß ein
Unglimpf über sein Grab gehe. Darum wolle auch der geehrte Leser nicht
mißvergnügt dazu sein, daß derjenige, der dieses schreibt, diesmal laut
für sein Recht und Eigentum streitet.
Alle diejenigen aber, welche die Erzählung von der Holzkohle, und wer
darin gemeint ist, verstehen, und darüber ungehalten sein, oder sich
betrüben mögen, ersucht er, ihm auf sein Ehrenwort zu glauben, daß er
von dieser Erzählung nichts wußte, ehe er sie selber in dem Kalender
gelesen hat. Sonst wäre sie nicht hineingekommen. |