Einer Edelfrau schlaflose Nacht (1819)
Es ist nichts lehrreicher als die Aufmerksamkeit
wie in dem menschlichen Leben alles zusammenhängt, wenn man es zu
entdecken vermag z. B. Zahnschmerzen und das Glück eines Ehepaars, und
wie selbst das was unrecht und verboten ist, wieder gutgemacht werden
kann, wenn's an den rechten Mann oder an die rechte Frau kommt, und wie
in dem großen unaufhörlichen Wechsel der Dinge alles einzelne wieder
verschwimmt, daß man ihm nimmer nachkommt, und doch getan bleibt, und
nicht verlorengeht, es sei gut oder bös. Gleich als wenn man ein Glas
Wasser in den Rhein ausgießt, kein Sterblicher ist imstand es wieder
herauszuschöpfen, sondern es ist jetzt dem Rhein vermählt und
augenblicklich verschwemmt in der großen Flut. Ja wenn die Sonne Wasser
aufzieht, wie man zu sagen pflegt, sind ein paar Tröpflein davon
vielleicht auch dabei, und fallen irgendwo, in Bayern oder Lothringen
wieder aus einer Wasserwolke vom Himmel herab, und erquicken ein
Blümlein.
Eine Dienstmagd, jung und brav, auch hübsch, und ein Knecht gleicher
Qualität, dienten miteinander auf einem Edelhof, und hätten nicht so
gerne Kaffee getrunken, oder alle Tage Braten gegessen, als vielmehr
einander geheuratet. Allein sie waren Leibeigne, insoweit, daß sie
verpflichtet waren, eine gewisse Zeit Hofdienste zu tun, und die
Edelfrau auf dem Hofe wollte sie nicht früher aus dem Dienst entlassen, weil sie so brav waren in ihrer Aufführung, und so fleißig und treu in
ihren Geschäften. Deswegen saßen sie oft beisammen und weinten, oder
sie weinte, und er nagte an einem Holzsplitter. Ein andermal, wie die
menschliche Laune wechselt, sprachen sie sich Mut ein, daß es ja nur
noch um zwei Jährlein zu tun sei, und freuten sich schon zum voraus
ihres zukünftigen Glücks, wenn „du mein Weib bist" - sagte er - „und ich
dein Mann", und einmal vergaßen sie sogar die Zukunft, und meinten es
sei jetzt. Nach Verlauf aber eines Jahres hat die Frau auf dem Edelhof
in der Nacht desperates Zahnweh, nicht gerade deswegen. Sie steht aus
dem Bette auf, und wirft sich auf einen Stuhl, sie läuft aus einer Stube
in die andere, aus der andern in die dritte. In der dritten setzt sie
sich gegenüber einem Fensterlein, das in die Küche geht, mit einem
weißen Vorhang davor, und das Zahnweh wird ihr nun bald vergehen. Sie
sitzt jetzt am rechten Ort dazu. Denn auf einmal sieht sie hell werden
hinter dem weißen Vorhang, sie hört etwas sich bewegen, sie hört etwas
flüstern und knistern, sie schiebt leise das Vorhänglein weg, und in der
Küche stehen der Knecht und die Magd an einem Feuerlein nachts um 12
Uhr, und legen Späne an das Feuer, und auf dem Feuer steht ein Pfännlein.
— Bereits gibt das Zahnweh ein wenig nach. - „O ihr gottloses
Lumpenpack", -
sagte sie inwendig für sich. „So ist denn keinem Menschen mehr zu
trauen. Habt ihr nicht alle Tage euer ordentliches Essen. Ist es euch
nicht gut genug. Müßt ihr mich noch in der Nacht bestehlen, und
Leckerbissen kochen!" Nach einiger Zeit stellt das Weibsbild das
Pfännlein von dem Feuer, als ob sie jetzt die Leckerbissen verzehren
wollten, der Knecht aber geht zur Türe hinaus. - „Wie der Tag anbricht,
laß ich beide ins Gefängnis werfen", so fuhr die Edelfrau fort, „und
jage sie weg, ohne ehrlichen Abschied. Am Ende wird mir die Dirne auch
noch schwanger von dem Purschen, in meinem eigenen Haus. So weit soll's
mir nicht kommen." Indem kommt der Knecht zurück, und bringt ein
vierteljähriges Kind auf dem Arme und gibt's der Mutter auf die Schoß.
Da hörte plötzlich das Zahnweh der Edelfrau auf, wie weggeflogen.
Die Mutter gibt dem Kindlein aus der Pfanne den Brei, sie legt es an die
mütterliche Brust, und der Schein des abnehmenden Feuers ging zur
rechten Zeit über ihr Angesicht, als sie mit nassen Blicken ihr Kindlein
noch einmal beschaute, und dem Vater zurückgab, und etwas zu ihm sagte.
Denn da ward das Herz der Edelfrau wunderbar bewegt, und kam auf andere
Gedanken. Denn es war ihr als ob die Mutter mit den nassen Blicken
gesagt hätte: „Gott wird des armen Würmleins sich auch erbarmen", und
als ob sie dazu bestimmt wäre. Ja es fuhr ihr mit Grausen durch die
Seele, was für ein Unglück in ihrem Hause hätte geschehen können, wenn
nicht Gott das Herz der Eltern vor einem schweren Verbrechen bewahrt
hätte.
Am frühen Morgen aber ließ sie beide Eltern vor sich bescheiden. Beide
sahen einander an.
„Was gilt's", - sagte sie -„wir bekommen unsere
Freiheit." - „Oder auch nicht", - sagte er. Die Edelfrau aber, als sie hereingetreten waren, redetet sie ernsthaft und gebieterisch an: „Wo
habt ihr euer Kind?" Da glaubten beide in den Boden zu versinken vor
Schrecken und Scham, und schauten einander verstohlenerweise an,
gleichsam ob das andere noch da sei. „Wo ihr euer Kind habt", -
wiederholte die Edelfrau. - „Weil wir denn doch eins haben" - stotterte
endlich der Vater, - „in der Holzkammer hinter einer Beige." Als es aber
der Pursche holen mußte, bracht er es, wie es war in einem alten
Felleisen. Es war reinlich gehalten und gebütschelt auf einem Bettlein
von Heu, und weinte, als ob es schon wüßte wie man es machen muß. Da
erbarmte sich das Herz der Edelfrau noch mehr, und als die treue Magd
und Mutter reuevoll und mit Tränen bat, sie und ihr unschuldiges Kind
nicht unglücklich zu machen, konnte die Edelfrau ihre Rührung nicht
mehr verbergen: „Nein, ich will euch nicht unglücklich
machen", — sagte sie. „Ich will euch die Härte vergelten, die ich an
euch begangen habe. Ich will euch den Kummer versüßen, den ihr getragen
habt. Ich will eure Sünde wieder gutmachen. Ich will euch die
Barmherzigkeit vergelten, die ihr an euerm Kinde getan habt." Meint man
nicht, man höre den lieben Herr Gott reden in den Propheten oder in den
Psalmen? Ein Gemüt, das zum Guten bewegt ist, und sich der Elenden
annimmt, und die Gefallenen aufrichtet, ein solches Gemüt zieht nämlich
das Ebenbild Gottes an, und fällt deswegen auch in seine Sprache. „Ihr
könnt euch am Sonntag in der Stille zusammengeben lassen", - sagte die
Edelfrau - „Ich will euch ein angenehmes Heiratsgut stiften. Ich will
aus eurem Kinde etwas werden lassen. Ist's ein Büblein?" -
Also wurden
sie am nächsten Sonntag auf Geheiß der Edelfrau zusammengegeben, und
lebten seitdem in Liebe und Frieden ehelich beisammen. Das Büblein aber
kann jetzt schon Haselnüsse aufbeißen, und lernt fleißig, und hat runde
rote Backen. - Was aber weiter daraus werden soll, weiß der, der den
Himmel mit der Spanne mißt, und den Staub der Erde mit einem Dreiling.
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