Die Wachtel (1819)
Zwei
wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten sonst miteinander immer in
Frieden und Freundschaft, jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen
hatte eine Wachtel. Zu ihm kommt endlich der Nachbar und sagt: "Freund, begreift ihr nicht,
daß mir euer Lärmensmacher, Euer Tambour da
sehr ungelegen sein kann, wenn ich morgens noch ein Stündlein schlafen möchte,
und daß Ihr Euch unwert macht, bei der ganzen Nachbarschaft?" – Ihm
erwiderte der Nachbar: - "Ich begreife das Gegenteil. Ist's nicht aller
Ehren wert, daß meine Wachtel der ganzen Nachbarschaft den Morgen umsonst
ansagt, und die Gesellen weckt, auch sonst Kurzweil macht, und ich trage
die Atzungskosten allein?" Als alle Vorstellungen nichts verfangen
wollten, und die Wachtel immer früher schlug, und immer heller, kommt
endlich der Nachbar noch
einmal und sagt: "Freund, wär Euch Eure Wachtel nicht feil?" Der
Nachbar sagt: "Wollt ihr sie totmachen?" – "Das nicht"
-
erwiderte der andere. - "Oder fliegen lassen?" - "Nein, auch nicht."
– "Oder in eine andere Gasse stiften?" – "Auch das nicht,
sondern hier vor mein Fenster will ich sie stellen, damit Ihr sie auch
noch hören könnt alle Morgen." Der Nachbar merkte nichts, denn er war
nicht der Klügere von beiden. "Ei", - dachte er, - "wenn ich sie vor deinem
Fenster umsonst hören kann, und bekomme noch Geld dazu, so ist's besser."
– "Ist sie Euch ein Zweiguldenstück wert?", - fragte er den Nachbarn.
Der Nachbar dachte zwar, es sei viel Geld, doch soll's ihm nicht
verloren sein, und noch in der nämlichen Stunde wurde die Wachtel
umquartiert.
Am anderen Morgen, als sie ihren vorigen Besitzer aus dem
Schlaf erweckte, und er eben denken wollte: "Ei, meine gute Wachtel ist
auch schon
munter", – halbwegs des Gedankens fällt's ihm ein: "Nein, es ist meines
Nachbars Wachtel", – "das undankbare Vieh", sagte er endlich am
dritten Morgen, "ein Jahr lang hat sie bei mir gelebt und gute Tage
gehabt, und jetzt hält sie es mit einem andern und lebt mir zum
Schabernack. – Der Nachbar sollte verständiger sein, und bedenken, daß
er nicht allein in der Welt ist, wenigstens nicht allein in der Stadt."
Nach mehreren Tagen aber, als er vor Verdruß es nimmer aushalten konnte,
redete er hinwiederum den Nachbarn an: "Freund", - sagte er, -
"Euere Wachtel hat in der vergangenen Nacht, wieder einen kurzen Schlaf
gehabt." – "Es ist ein braver Vogel", - erwiderte der Nachbar,
- "ich habe mich nicht daran verkauft." – "Er ist recht brav worden in
Eurem Futter", - fuhr jener fort. - "Was verlangt ihr Aufgeld, daß er
Euch wieder feil werde?" Da lächelte der andere, und sagte: "Wollt ihr
sie vielleicht totmachen?" - "Nein" – "oder fliegen lassen",
– "das auch nicht" - "oder in eine andere Gasse
vermachen?" – "Auch das nicht. Aber an ihren alten Platz will ich sie
wieder
stellen, wo ihr sie ja ebenso gut hören könnt wie an ihrem jetzigen."
- "Freund", - erwiderte ihm hierauf der Nachbar, - "vor Euer Fenster
kommt die Wachtel nimmermehr, aber gebt Ihr mir meine zwei Gulden wieder,
so laß ich sie fliegen." Der Nachbar dacht bei sich: "Wohlfeiler kann
ich sie nicht loswerden, als für sein eigenes Geld." Also gab er ihm die
zwei Gulden wider, und die Wachtel flog.
Der geneigte Leser wolle
hieran gelegenheitlich erkennen, wenn er es nötig hat, was für ein großer
Unterschied es sei, ob etwas vor dem eigenen Fenster und in dem eigene
Haus geschieht, oder in einem andern, ferner – denn es braucht keine
Wachtel dazu – ob einer in Gesellschaft selber pfeift, und auf den Tisch
trommelt, oder ob es ein anderer anhören muß, item: ob einer selber bis
nachts um 10 Uhr eine langweilige Geschichte erzählt, und ob ein anderer dabei
sein, und von Zeit zu Zeit sich verwundern, und etwas dazu sagen muß,
gleich als ob er achtgäbe. |