Die Spinnen (1806)
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Die Spinne ist ein verachtetes Tier, viele Menschen fürchten sich sogar
davor, und doch ist sie auch ein merkwürdiges Geschöpf und hat in der
Welt ihren Nutzen. Zum Beispiel die Spinne hat nicht zwei Augen, sondern
acht. Mancher wird dabei denken, da sei es keine Kunst, daß sie die
Fliegen und Mücken, die an ihren Fäden hängenbleiben, so geschwind
erblickt und zu erhaschen weiß. Allein das macht's nicht aus. Denn eine
Fliege hat nach den Untersuchungen der Naturkundigen viele hundert
Augen, und nimmt doch das Netz nicht in acht und ihre Feindin, die groß
genug darin sitzt. Was folgt daraus? Es gehören nicht nur Augen, sondern
auch Verstand und Geschick dazu, wenn man glücklich durch die Welt
kommen und in keine verborgenen Fallstricke geraten will. - Wie fein ist
ein Faden, den eine Spinne in der größten Geschwindigkeit von einer Wand
bis an die andere zu ziehen weiß! Und doch versichern abermal die
Naturkundigen, daß ein solcher Faden, den man kaum mit bloßen Augen
sieht, wohl sechstausendfach zusammengesetzt sein könne. Das bringen sie
so heraus: Die Spinne hat an ihrem Körper nicht nur eine, sondern sechs
Drüsen, aus welchen zu gleicher Zeit Fäden hervorgehn. Aber jede von
diesen Drüsen hat wohltausend feine Öffnungen, von welchen keine umsonst
da sein wird. Wenn also jedesmal aus allen diesen Öffnungen ein solcher
Faden herausgeht, so ist an der Zahl sechstausend nichts auszusetzen,
und dann kann man wohl begreifen, daß ein solcher Faden, obgleich so
fein, doch auch so fest sein könne, daß das Tier mit der größten
Sicherheit daran auf- und absteigen, und sich in Sturm und Wetter darauf
verlassen kann. Muß man nicht über die Kunst und Geschicklichkeit dieser
Geschöpfe erstaunen, wenn man ihnen an ihrer stillen und unverdrossenen
Arbeit zuschaut, und an den großen und weisen Schöpfer denken, der für
alles sorgt, und solche Wunder in einem so kleinen und unscheinbaren
Körper zu verbergen weiß?
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Das mag alles gut sein, denkt wohl mancher, wenn sie nur nicht giftig
wären, und lauft davon, oder zertritt sie, wo er eine findet. Aber wer
sagt denn, daß unsere Spinnen giftig seien? Noch kein Mensch ist in
unsern Gegenden von einer Spinne vergiftet worden. Gibt es nicht hie und
da Leute, die sie aufs Brot streichen und verschlucken? Wohl bekomm's,
wem es schmeckt! Auch sonst tun diese Tierlein, die nur für die
Erhaltung ihres eigenen Lebens besorgt sind, keinem Menschen etwas
zuleide. Im Gegenteil leisten sie in der Natur einen großen Nutzen, den
man aber, wie es oft geschieht, nicht hoch anschlägt, weil jede einzelne
wenig dazu beizutragen scheint. Es ist das geringste, daß sie hie und da
einer Stubenfliege den Garaus machen. Für diese wäre noch anderer Rat.
Aber sie verzehren auch jährlich und täglich eine große Anzahl anderer
sehr kleinen Mücklein, die uns durch ihre Menge erstaunend beschwerlich
und schädlich werden, und gegen welche man sich nicht erwehren könnte,
wenn sie überhandnähmen. Sind nicht manchmal ganze Ackerfurchen mit
Spinnengewebe überzogen und glänzen im Morgentau? Da geht manches
Mücklein zugrunde, das die aufkeimende Saat vielleicht angegriffen und
verletzt hätte. Ein Gefangener machte einst in seinem einsamen Kerker
eine Spinne so zahm, daß sie seine Stimme kannte, und allemal kam, wenn
er sie lockte und etwas für sie hatte. Sie verkürzte ihm an einem Ort,
wo kein Freund zu ihm kommen konnte, manche traurige Stunde. Aber als
der Kerkermeister es merkte, brachte er sie ums Leben. Was ist
verabscheuungswürdig? Ein solches Tier, das doch noch einem
Unglücklichen einiges Vergnügen machen kann, oder ein solcher Mensch,
der dem Unglücklichen auch dieses Vergnügen mißgönnt und zerstört? Ein
anderer Gefangener, der sonst nichts zu tun wußte, gab lange Zeit auf
die Spinnen acht, und merkte, daß sie auch Wetterpropheten seien. Bald
ließen sie sich sehen und arbeiteten, bald nicht. Einmal spannen sie
trag, ein andermal hurtig, lange Fäden oder kurze, einmal näher
zusammen, ein andermal weiter auseinander, so oder so, und endlich
konnte er daran erkennen, was für Wetter kommt, Sturm, Regen oder
Sonnenschein, anhaltend oder veränderlich. Also auch dazu sind sie gut,
und wenn sich jemand verwundet hat, und findet geschwind ein
Spinnengewebe, das er auf die blutende Wunde legen kann, so ist er doch
auch froh darüber. Wenn es rein ist, so kann es Blut und Schmerzen
stillen. Wenn es aber voller Staub ist, so schmerzt es noch mehr, weil
der unreine Staub in die Wunde kommt.
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Daß es mancherlei Tiere dieser Gattung gebe, sieht man schon an der
Verschiedenheit ihres Gewebes in der freien Luft, an Fensterscheiben, in
den Winkeln, auf den Feldern, da und dort. Manche spinnen gar nicht,
sondern springen nach ihrer Beute. Im Frühjahr und noch vielmehr im
trockenen warmen Nachsommer sieht man oft gar viele weiße Fäden in der
Luft herumfliegen. Alle Bäume hängen manchmal voll, und die Hüte der
Wanderer auf der Straße werden davon überzogen. Man konnte lange nicht
erraten, wo diese Fäden und Flocken herkommen, und machte sich allerlei
wunderliche Vorstellungen davon. Jetzt weiß man gewiß, daß es lauter
Gespinst ist von unzählig viel kleinen schwarzen Spinnen, welche
deswegen die Spinnen des fliegenden Sommers genennt werden. Da sieht man
wieder, wieviel auch durch kleine Kräfte kann ausgerichtet werden, wenn
nur viele das nämliche tun. - Aber eine gefürchtete Spinne lebt in dem
untersten heißen Italien. Sie ist unter dem Namen Tarantel bekannt.
Diese soll wohl die Menschen beißen und durch den giftigen Biß krank und
schwermütig machen. Ein Mittel dagegen soll ein gewisser Tanz sein, die
Tarantata genannt. Wenn die Kranken die Musik dazu hören, so fangen sie
an zu tanzen, bis sie vor Müdigkeit umfallen, und sind alsdann genesen.
Es ließe sich wohl begreifen, daß durch die heftige Bewegung das Gift
aus dem Körper herausgetrieben werde. Allein es ist doch, wie man für
gewiß weiß, viel Einbildung und Übertreibung dabei, und wohl auch
Betrug.
Ein anderes merkwürdiges Tier dieser Art lebt in einer Gegend von
Amerika und heißt Buschspinne. Diese nimmt nicht mit Stubenfliegen und
Mücklein vorlieb. Nein, einer gewissen Art von Vögeln geht sie nach,
greift sie an und zwingt sie, tötet sie und saugt ihnen das Blut und die
Eier aus. Worüber soll man sich am meisten verwundern, über die große
Spinne oder über die kleinen Vögel? |