zurück

Die Bekehrung   (1811)
 

Zwei Brüder im Westfälinger Land lebt miteinander in Frieden und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb, und der ältere katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der ältere
katholisch wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte der Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einige Jahren schrieb er zum ersten Mal an seinen Bruder. „Bruder“, schrieb er, „es geht mir doch im Kopf herum, dass wir nicht einen Glauben haben und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut, kann ich dich katholisch machen, desto besser.“ Also beschied er ihn in den roten Adler nach Neuwied, wo er wegen einem Geschäft durchreiste. „Dort wollen wir's ausmachen.“ In den ersten Tagen kamen sie nicht weit miteinander. Schalt der Lutherische: „Der Papst ist ein Antichrist“, schalt der Katholische: „Luther ist der Widerchrist“. Berief sich der Katholische auf den heiligen Augustin, sagte der Lutherische: „Ich hab nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei.“ Aber am Samstag aß schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise. „Bruder“, sagt er, „der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den durchgeschlagenen Erbsen“; und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder in die lutherische Vesper. „Bruder“, sagte er, „euer Schulmeister singt keinen schlechten Tremulant.“ Den andern Tag wollte sie miteinander zuerst in die Frühmesse, darnach in die lutherische Predigt, und was sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt, das wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem Grünen Baum nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn: „Augenblicklich setzt Eure Reise fort. Hab ich Euch auf eine Tridenter Kirchenversammlung nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr nicht vielmehr die Musterkarte reiten?“ Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: „Lieber Sohn, komm heim, sobald du kannst, du musst spielen.“ Also gingen sie noch den nämlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten jeder für sich nach, was er von dem anderen gehört hatte. Nach sechs Wochen schreibt der jüngere dem Ladendiener einen Brief: „Bruder, deine Gründe haben mich unterdessen vollkommen überzeugt. Ich bin jetzt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem Vater darf ich nimmer unter die Augen kommen.“ Da ergriff der Bruder voll Schmerz und Unwillen die Feder. „Du Kind des Zorns und der Ungnade, willst du denn mit Gewalt in die Verdammnis rennen, daß du die seligmachende Religion verleugnest? Gestrigs Tags bin ich wieder lutherisch worden.“ Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der lutherische hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher, höchstens ein wenig schlimmer.
Merke: Du sollst nicht über die Religion grübeln und tüfteln, damit du nicht deines Glaubens Kraft verlierst. Auch sollst du nicht mit Andersdenken darüber disputieren, am wenigsten mit solchen, die es ebenso wenig verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten, denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit und Kunst, nicht durch deine Überzeugung. Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei dann, daß dich dein Gewissen selber treibt zu schanschrieren.
 
 
zurück


           nach oben          




Das nach dem Faksimiledruck
von 1981 erstellte
Gesamtverzeichnis
der Kalenderbeiträge
1803-1826