Der Zahnarzt (1807)
Zwei Tagdiebe, die schon lange in der Welt
miteinander herumgezogen, weil sie zum Arbeiten zu träg, oder zu
ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in große Not, weil sie wenig Geld
mehr übrig hatten, und nicht geschwind wußten, wo nehmen. Da gerieten
sie auf folgenden Einfall: Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot
zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers genießen, sondern zum
Betrug mißbrauchen wollten. Sie kneteten nämlich und drehten aus
demselben, lauter kleine Kügelein oder Pillen, und bestreuten sie mit
Wurmmehl aus altem zerfressenem Holz, damit sie völlig aussahen wie die
gelben Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein paar Batzen einige
Bogen rotgefärbtes Papier bei dem Buchbinder: (denn eine schöne Farbe
muß gewöhnlich bei jedem Betrug mithelfen.) Das Papier zerschnitten sie
alsdann und wickelten die Pillen darein, je sechs bis acht Stücke in ein
Päcklein. Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt
war, und in den roten Löwen, wo er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er
forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern saß ganz wehmütig in
einem Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut für sich,
und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen
Landleute und Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein,
daß der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war
zu tun? man bedauerte ihn, man tröstete ihn, daß es schon wieder
vergehen werde, trank sein Gläslein fort, und machte seine Marktaffären
aus. Indessen kam der andere Tagdieb auch nach. Da stellten sich die
beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen
hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite durch das Winseln des
erstem, der im Winkel saß, aufmerksam zu werden schien. „Guter Freund",
sprach er, „Ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?" und ging mit
großen und langsamen Schritten auf ihn zu. „Ich bin der Doktor
Schnauzius Rapunzius von Trafalgar", fuhr er fort. Denn solche fremde
volltönige Namen müssen auch zum Betrug behülflich sein, wie die Farben.
„Und wenn Ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt", fuhr er fort, „so soll
es mir eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien, von
Euren Leiden zu befreien." - „Das wolle Gott", erwiderte der andere
Halunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzius eines von seinen roten
Päcklein aus der Tasche, und verordnete dem Patienten ein Kügelein
daraus auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beißen. Jetzt
streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe herüber, und einer
um den andern kam herbei, um die Wunderkur mit anzusehen. Nun könnt ihr
euch vorstellen, was geschah. Auf diese erste Probe wollte zwar der
Patient wenig rühmen, vielmehr tat er einen entsetzlichen Schrei. Das
gefiel dem Doktor. Der Schmerz, sagte er, sei jetzt gebrochen, und gab
ihm geschwind die zweite Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun
plötzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden
auf, wischte den Angstschweiß von der Stirne weg, obgleich keiner daran
war, und tat, als ob er seinem Retter zum Danke etwas Namhaftes in die
Hand drückte. - Der Streich war schlau angelegt, und tat seine Wirkung.
Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen
haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in wenig Minuten
waren alle verkauft. Natürlich gingen jetzt die zwei Schelme wieder
einer nach dem andern weiters, lachten, als sie wieder zusammenkamen,
über die Einfalt dieser Leute, und ließen sich's wohl sein von ihrem
Geld.
Das war teures Brot. So wenig für 24 kr. bekam man noch in keiner
Hungersnot. Aber der Geldverlust war nicht einmal das Schlimmste. Denn
die Weichbrotkügelein wurden natürlicherweise mit der Zeit steinhart.
Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und Tag Zahnweh bekam, und in
gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal und zweimal darauf biß, da
denke man an den entsetzlichen Schmerz, den er, statt geheilt zu werden,
sich selbst für 24 Kreuzer aus der eigenen Tasche machte. Daraus ist
also zu lernen, wie
leicht man kann betrogen werden, wenn man den Vorspiegelungen
jedes herumlaufenden Landstreichers traut, den man zum erstenmal in
seinem Leben sieht, und vorher nie, und nachher nimmer; und mancher, der
dieses liest, wird vielleicht denken: „So einfältig bin ich zu meinem
eigenen Schaden auch schon gewesen." - Merke: Wer so etwas kann, weiß an
andern Orten Geld zu verdienen, lauft nicht auf den Dörfern und
Jahrmärkten herum mit Löchern im Strumpf, oder mit einer weißen Schnalle
im rechten Schuh, und am linken mit einer gelben. |