Der silberne Löffel
(1810)
In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch
einmal im roten Ochsen zu Mittag essen, und geht in den roten
Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und
Mittelmäßige, ehrliche Leute und Spitzbuben, wie überall. Man aß und trank,
der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und jenem,
zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von dem Machin in Frankreich, der mit dem großen Wolf gekämpft
hat. Das sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt durch den
Hausfreund alles ein
Jahr früher, als andere Leute. - Als nun das Essen fast vorbei war, einer und
der andere trank noch eine halbe Maß Ungarwein zum Zuspitzen, ein anderer dreht Kügelein
aus weichem Brot, als wenn er ein Apotheker wär, und wollte Pillen machen, ein dritter spielt mit dem Messer oder
mit der Gabel oder mit dem silbernen Löffel. Da sah der Offizier von ungefähr zu,
wie einer, in einem grünen Rocke, mit dem silbernen Löffel spielte, und wie ihm
der Löffel auf einmal in den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder
herauskam.
Ein anderer hätte gedacht: Was geht's mich an?
und wäre still dazu gewesen, oder hätte großen
Lärmen angefangen. Der Offizier dachte: Ich weiß nicht, wer der grüne Löffelschütz ist, und was es für einen Verdruß geben kann, und war mausstill, bis
der Wirt kam und das Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der
Offizier auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei Knopflöcher
im Rocke, zu einem hinein, zum anderen hinaus, wie es manchmal die Soldaten im
Krieg machen, wenn sie den Löffel mitbringen, aber kein Suppe. - Währenddem der
Offizier seine Zeche bezahlt, und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er:
"Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muß
sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, daß er zum Ehrenzeichen
einen silbernen Löffel bekommen hat, oder ist's gar einer von meinen eigenen?" Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit
ernsthafter Miene: "Und der Löffel geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche
ist teuer genug dazu." Der Wirt sagte: "So etwas ist mir noch nicht
vorgekommen. Wenn Ihr keinen Löffel daheim habt, so will ich Euch einen
Patentlöffel schenken, aber meinen silbernen laßt mir da." Da stand der
Offizier auf, klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. " Wir haben nur
Spaß gemacht", sagte er, "ich und der Herr dort in dem grünen Rocke.
Gebt Ihr Euren Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will ich
meinen auch wieder hergeben." Als der Löffelschütz
merkte, daß er verraten sei, und daß ein ehrliches Auge auf seine unehrliche
Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spaß als Ernst, und
gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum
und der Löffeldieb lachte auch -aber nicht lange. Denn als andere Gäste das
sahen, jagten sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande zum
Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll
ungebrannter Asche nach. Den wackern Offizier aber bewirtete er noch mit einer
Bouteille voll Ungarwein auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute.
Merke: Man muß keine silbernen Löffel
stehlen.
Merke: Das Rechte findet seinen Knecht.
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