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Der Schimmel     (1813)

Was gilt's, der geneigte Leser, wenn er hieneben die Abbildung ansieht, so denkt er: „Das ist eine Geistergeschichte!" - Nichts nutz! - Der Herr in der weißen Gestalt den man für den Geist ansieht, hat Fleisch und Blut, wie andere Menschen hiezuland. Die Mägdlein lassen sich von ihm küssen, und gern, und reiten kann er im Galopp und Trab, trotz einem. Ist er nicht selbigen Abend auf seinem eigenen stattlichen Schimmel vor einem Wirtshaus angeritten, ich will nicht sagen wo, und „Herr Posthalter", sagte er, „kann ich hier über Nacht bleiben?" Der Posthalter erwiderte: „Was Euer Gnaden befehlen." Also speiste er zu Nacht, verliebte sich in eine Bouteille Klingenberger und ging ins Bett. Während er im ersten Schlaf war, fuhr eine Kutsche nach der andern vorbei, und wechselte die Pferde. Endlich weckte der heranfahrende Postwagen sein Spitzhündlein zum Bellen und das Spitzhündlein weckte ihn, und er wollte nicht gleich wieder einschlafen, denn der Vollmond leuchtete freundlich in die Schlafstube hinein, und die Kühle der Nacht kam erquicklich vom Turmberg her durch die offenen Fenster. „Was fangen wir jetzt an", sagte der eine Postknecht zu seinem Kamerad, „es fehlt uns ein Roß, und in der ganzen Stadt liegt alles im Bett." Der Kamerad sagte: „Spann den Schimmel ein!" Der Herr im Bett dachte: „Will's Gott, nicht meinen." - „Er merkt's nicht", fuhr der Kamerad fort. Der Herr im Bett dachte: „Freilich merkt er's" und fuhr wie eine brennende Rakette aus dem Bett und hinter das Fenster um im Mondschein zu sehen, was geschehen will. „Bis er aufsteht, bist du schon lang wieder da", fuhr der Kamerad fort. Der Herr hinter dem Fenster dachte: „Nein, er ist schon auf, und kommt eh du fortgehst." Indem ging der Postknecht in den Stall, um den Schimmel zu holen, aber es war nicht der Schimmel des Herrn gemeint, der hinter dem Fenster steht, sondern der Posthalter hatte auch einen im Stall, der aber den Fuß übertreten hatte, und der Posthalter hatte dem Knecht befohlen, ihn ein paar Tage zu schonen, bis er wiederhergestellt sei. Deswegen sagte der Kamerad zum Postknecht: „Er merkt's nicht, und bis er aufsteht, bist du schon lange wieder da."
 
Als aber der Herr hinter dem Fenster sah den Postknecht nach dem Stall gehn, sprang er wie er war, ohne Kleidung, ohne Schuhe und Strümpfe, bloß in ein Paar leinern Unterhosen, wie er aus dem Bette gekommen war, auf die Straße hinab. „Wie? Was? Wer untersteht sich den Schimmel anzuspannen? Wer will totgeschossen sein?" Der Kamerad des Postknechts sagte: „Guter Herr, Ihr habt den Nachtnebel, oder sonst einen, geht Ihr wieder in Euer Bett, und laßt uns gewähren." Unterdessen brachte der Postknecht den Schimmel angeschirrt, und stellte ihn vor die Deichsel, so daß der Herr ganz desperat wurde. „Meinen Gaul sollt Ihr nicht anspannen", und so und so. Der Kamerad des Postknechts sagte endlich: „Himmel Stern Bataillon! Jetzt macht, daß Ihr fortkommt! Was bekümmern wir uns um Euern Gaul?" - „So! Ihr Galgenstricke", sagte der Herr, „ich will euch zeigen, daß ihr euch um meinen Gaul zu bekümmern habt." Das Spitzhündlein nahm auch Anteil an dem Gespräch, und es kam zu ein paar harten Redensarten, die man besser mit den Ellenbogen und Fäusten als mit den Fingern abschreiben und wiedererzählen kann, bis zuletzt der Posthalter herauskam, und fragte: „Was gibt's da?" Da riefen der Herr und die Postknechte fast unverständlich durcheinander, wie die Spitzbuben da den Schimmel vor den Postwagen spannen wollten, und wie der kuriose Herr da nicht leiden wolle, daß sie den Schimmel vor den Postwagen spannen, und es sei doch kein ander Roß mehr da, und alle Leute in der Stadt liegen im Bett. Da konnte der Posthalter das Lachen fast nicht verwehren. „Gnädiger Herr", sagte der Posthalter, „das ist nicht Ihr Herr Schimmel! Ihr Herr Schimmel wird unangefochten im Stall stehen; es ist mein eigener und er hat seit ein paar Tagen einen krummen Fuß. Sehen Sie da! Aber aus der Not muß man eine Tugend machen." Da sagte der Herr: „Ja so! Wenn das ist!" und ging ganz still und betuches wieder in sein Bett. Diesmal, dachte er, bin ich ein kurioser Herr gewesen. Wenn's nur nicht bekanntwird!
 
 
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Bild: Original-Illustration aus dem "Rheinländischen Hausfreund"



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