Der Herr Graf
(aus dem Nachlaß)
Eines
Abends, da saßen wir in einem vornehmen Gasthause und vexierten einander mit
allerlei. „Wißt Ihr noch, zum Beispiel", fragte der Graf den Hausfreund, „wie
Ihr einst mit einem fremden Herrn angegangen seid, an dem nämlichen Platz, wo
Ihr jetzt sitzet, von wegen der Sternseherei und wie Ihr von einem beschrieen
worden seid, als Ihr nachher auf dem linken Flügel wolltet abziehen? Man muß
sich mit fremden Leuten in acht nehmen, die man nicht kennt", sagte der Graf im
Scherz, und erfuhr es bald nachher im Ernst. Denn mancher gibt eine gute Lehre
und befolgt sie selber nicht.
Es kamen jetzt aus einer Chaise vier fremde Personen in die Stube und darunter
zwei schöne weibliche Gestalten, wie sie der Graf gerne sieht, und freute sich
schon der angenehmen Tischgesellschaft. Als wir aber näher zusammenrückten,
damit die Fremden Platz hätten am Tisch, bestellten sie ihr Nachtessen in ein
eigenes Gemach, denn sie seien müde von der Reise und reich. Als aber der
Hausfreund hinwiederum den Grafen vexieren wollte, „denkt Ihr auch noch daran,
wie Ihr einmal seid heimgeschickt worden als der ungarische Major im Land war",
da war schon kein Graf mehr weit und breit zu sehen, sondern er war mit des
Wirts Vorwissen und Gefälligkeit in eine Kammer gegangen und kleidete sich
daselbst anderst an, als wenn er in die Wirtschaft gehörte. In solcher Gestalt
ging er in die Stube, wo die Fremden waren, deckte den Tisch, brachte das Essen,
wartete auf und erfreute sein Herz an der Schönheit der weiblichen Gestalten und
an ihren süßen Reden. Auch mußte er ihnen Neuigkeiten erzählen. Mehr
Unglücksfälle sind in zehn Jahren nicht geschehen, als damals an einem Tag nach
des Grafen Erzählung.
Den andern Tag reisten die Fremden wieder weiter, wir meinten nach Basel. Am
Mittwoch aber, oder donnerstags drauf, wurden wir einig, in die lustige
Badestadt zu gehen, wo unzählige Fremde aus allen Weltteilen der Gesundheit
pflegen und sich der wunderschönen Landschaft erfreuen. Als wir aber dort um die
Mittagszeit in einen Speisesaal traten, es waren schon viele Leute da,
erblickten wir die nämlichen vier Personen wieder und sie uns, und wer uns
kannte, bewillkommte uns laut mit Namen und tat uns unsre Ehre an. „Seid uns
höchlich gegrüßt, Herr Graf! Guten Tag, Herr Hausfreund! Was führt Euch für ein
Glücksstern zu uns, Herr Graf? Hausfreund, was bringt Ihr Neues von daheim?" Da
schaute mit Schweißtropfen auf der Stirne der Graf den Hausfreund an: „Jetzt ist
guter Rat teuer, wenn Ihr keinen wißt. Was Ihr aber tut, bringt's nicht in den
Kalender." - „Herr Graf", erwiderte der Hausfreund, „diesmal will ich Euch noch
retten. Aber künftig befolgt die Lehren selbst, die Ihr andern gebt! In solche
Verlegenheit kommt man mit Euch."
Also redete der Hausfreund mit dem Wirt, was er zu den fremden Personen sagen
sollte. Der Wirt sagte: „Wenn das so ist, so muß man freilich aus der Not eine
Tugend machen", und redete mit den Fremden. „Wißt ihr", sagte er, „wer die zwei
Personen sind, die zuletzt da hereinkamen? Der eine ist eines Wirts Sohn nicht
weit von hier, sonst ein wahrheitsliebender junger Mann, nur bisweilen, nachdem
als der Mond steht, kommt es ihm in den Kopf, er sei der Graf Süße. Deswegen
machen ihm die Leute, weil er gut ist, diesen Spaß. Der andere ist der
Rheinländische Hausfreund, dem im Jahr 1814 auf 1815 eine Eule aufgesessen ist,
wie ihr im Morgenblatt könnt gelesen haben." Da sprach die eine weibliche
Gestalt halb seufzend: „Der arme Mensch!" - nämlich der Graf - „wir kennen ihn",
sagte sie. „Wir haben auch damals schon etwas an ihm gemerkt. Statt des Kaffee,
den er uns auf den andern Morgen bestellen sollte, bestellte er uns eine
Habermehlsuppe."
Also wurde die Sache noch glücklich vertuscht und als sie hernach sahen, mit
welcher Feinheit und Würde er sich gegen jedermann benahm, sagten sie: „Man
sieht's ihm recht an, daß ihm der Graf von Herzen geht. Mit Vorsatz könnte sich
einer nicht so verstellen." |