Der fremde Herr (1811)
Einem Schneider in der Stadt waren seit ein paar Jahren die Nadeln ein
wenig verrostet, und die Schere zusammengewachsen, also nährt er
sich, so gut er kann. „Gevatter", sagt zu ihm der Peruckenmacher, „Ihr
tragt nicht gerne schwer; wollt Ihr nicht dem Herrn Dechant von
Brassenheim eine neue Perücke bringen in einer Schachtel? Sie ist
leicht, und er zahlt Euch den Gang." - „Gevatter", sagt der Schneider,
„es ist ohnedem Jahrmarkt in Brassenheim. Leiht mir die Kleider, die
Euch der irrende Ritter im Versatz gelassen hat, der Euch angeschmiert
hat, so stell ich auf dem Jahrmarkt etwas vor." Der Adjunkt hat die
Tugend, wenn er auf drei Stunden im Revier einen Markt weiß, so ist ihm
der Gang auch nicht zu weit, und ist er von dem Hausfreund wohl bezahlt,
so gibt er dem Jahrmarkt viel zu lösen für neue weltliche Lieder und
feine Damaszener Maultrommeln. Also saß jetzt der Adjunkt auch zu
Brassenheim im wilden Mann und musterte die Lieder: Erstes Lied: Ein
Lämmlein trank vom Irischen etc. Zweites Lied: Schönstes Hirschlein über
die Maßen etc. Drittes Lied: Kein schöner Leben auf Erden etc. und
probierte die Trommeln. Kommt auf einmal der Schneider herein mit rotem
Rock, hirschledernen Beinkleidern, Halbstiefeln und Zotteln daran, und
zwei Sporen. Der Wirt zog höflich die Kappe ab, die Gäste auch, und „hat
Euch, Herr Ritter, der Hausknecht das Pferd schon in den Stall geführt?"
fragt ihn der Wirt. „Mein Normänder, der Scheck?" sagte der Schneider.
„Ich hab ihn au Cerf eingestellt im Hirschen. Ich will hier nur ein
Schöpplein trinken. Ich bin der berühmte Adelstan und reise auf
Menschenkenntnis und Weinkunde; Platz da!" sagte er zum Adjunkt.
„Holla", denkt der Adjunkt, „der meint auch, grob sei vornehm. Was gilt's, er ist nicht weit her?" Als aber der Schneider die Gerte breit
über den Tisch legte, und räusperte sich wie ein Kamel, und betrachtete
die Leute mit einem Brennglas und den Adjunkt auch, steht der Adjunkt
langsam auf und sagt dem Wirt etwas halblaut in das Ohr. Ein Ehninger,
der es hörte, sagt: „Herr Landsmann, Ihr seid auf der rechten Spur. Ich
hab ihn gesehn die Stiefel am Bach abwaschen, und eine Gerte schneiden.
Er ist zu Fuß gekommen." Ein Scherenschleifer sagte: „Ich kenn ihn wohl,
er ist einmal ein Schneider gewesen. Jetzt hat er sich zur Ruh gesetzt
und tut Botengänge um den Lohn." Also geht der Wirt ein wenig hinaus und
kommt wieder herein. „So kann denn doch kein hiesiger Markt ohne ein
Unglück vorübergehen", sagt er im Hereinkommen. „Da suchen die Hatschierer in allen Wirtshäusern einen Herrn in einem roten Rocke, der
heute durch die Dörfer galoppiert ist, und ein Kind zu Tod geritten
hat." Da schauten alle Gäste den Ritter Adelstan an, der sagte in der
Angst: „Mein Rock ist eher gelb als rot." Aber der Ehninger sagte:
„Nein, aber Euer Gesicht ist eher blaß als gelb, und hat auf einmal viel
Schweißtropfen darauf geregnet. Gesteht's, Ihr seid nicht geritten."
„Doch er ist geritten", sagte der Wirt; „ich hab ihm eben das Roß
draußen angebunden. Es ist losgerissen im Hirsch, und sucht ihn. Hat
nicht Euer Normänder die Mähnen unten am Hals, und gespaltene Hufe, und
wenn er wiehert, sollte man schier nicht meinen, daß es ein Roß ist?
Zahlt Euer Schöpplein und reitet ordentlich heim." Als er aber vor das
Haus kam, und den Normänder sah, den ihm der Wirt an die Türe gebunden
hat, wollte er nicht aufsitzen, sondern ging zu Fuß zum Flecken heraus,
und wurde von den Gästen entsetzlich verhöhnt.
Merke: Man muß nie mehr scheinen wollen, als man ist,
und als man sich zu bleiben getrauen kann, wegen der Zukunft.
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