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Das heimliche Gericht     (1813)
 
In der großen Stadt, wo unter mehr als 20 000 Dächern so viel Leid und so viel Freude wohnt, und wo neben allen Tugenden alle Laster feilhaben, schlug zu seiner Zeit auch ein leichtfertiges und verdorbenes Herz und zwar unter dem seidenen Kamisol eines vornehmen jungen Manns, eines Barons. Das Schuldenmachen verstand er trotz einem, und das Schuldigbleiben noch viel besser. Schön von Angesicht und Wuchs, lieblich in seinem Tun und Wesen, glatt und einschmeichelnd in seinen Reden, verschwenderisch mit dem eigenen reichen Geld und dem geborgten hatte er alle Mittel in den Händen, die arme schwache Unschuld zu verführen, und sparte keines. Manche Träne klagte ihn an. Manche Ehe und Familie hat er um ihre Ehre und um ihren Frieden gebracht, und lachte dazu. Ja er war so frech und nannte die Namen tugendhafter Personen, als wenn sie ihm zu Willen gelebt hätten, und war doch nicht dem also. Aber wie lang geht der Krug zum Brunnen? Das Sprichwort gibt Auskunft. Als er einmal auf gleiche Weise eine sehr vornehme Frau in der ganzen Stadt in ein unehrbares Gerede gebracht hatte, - die Frau war edel und stolz - „das soll er nicht umsonst getan haben", sagte sie mit ernsthaftem Angesicht. Spät eines Abends, als er in seinem Kaleschlein ganz allein in eine lustige Nachtgesellschaft fahren wollte, - man kannte seine Wege - da umringte ihn auf einmal ein Trupp von bewaffneten Reutern, und man gab ihm mit Zeichen zu verstehen, daß er ihnen folgen solle, wenn er nicht wolle, niedergestochen sein auf der Stelle. Der junge Leichtsinn dachte: Das sind ein paar von meinen lustigen Kameraden, die wollen mir einen Spaß bereiten, und läßt willig einen von ihnen zu sich sitzen und das Leitseil in die Hand nehmen, läßt sich auch willig von ihm die Augen verbinden. Ich merke schon, dachte er, ich soll nicht wissen, wo sie mich hinführen. Aber wenn sie mir die Binde wieder abnehmen, bin ich in einem Saal voll brennender Wachskerzen und duftender Blumen, voll ausgelesener Frauen und Jungfrauen und eine nach der ändern fällt in meine Arme. Weit gefehlt. Vor der Stadt nahm man ihm die Binde wieder ab, aber er erkannte nicht mehr, wo er war. Stumm und ernsthaft ritten die andern Bewaffneten nebenher. Endlich ging's auf einer Zugbrücke über einen tiefen Graben, es ging zwischen hohen dicken Mauern durch ein enges Tor über einen öden Schloßhof nach einer alten festen Burg mit kleinen Fenstern und hohen Türmen und Zinnen. Es ging durch einen hohen Turm eine schmale Wendeltreppe hinauf, bis vor eine starke eiserne Türe und durch die Türe hinein in ein ödes Gefängnis. Wie wurde da dem armen Schacher zumute. Ein tannener Tisch, ein Stuhl, ein dürftiges Lager und düstres Lämplein waren sein ganzes Geräte, ein Totenkopf auf dem Tisch seine einzige Gesellschaft. Niemand redete mit ihm oder antwortete ihm ein Wort oder eine Silbe. Nur die Schlösser und Riegel rasselten ihm fürchterlich ins Ohr, als man die Zugbrücken hinter ihm aufzog und Tore und Türen siebenfach verschloß. Nur ein vermummter Mann, wenn er ihm einen Krug voll Wasser und ein Laiblein schwarz Brot brachte, sprach zu ihm: „Geh in dich." Nur die Fledermäuse zischten und die Eulen wehklagten vor dem hohen schmalen Fensterlein, und die Ratten und Mäuse besuchten, nicht ihn, sondern das Laiblein. Da fuhr es ihm auf einmal wie ein langer scharfer Messerstich durch das Herz, dieser lustige Spaß könne auf gut deutsch heißen furchtbarer Ernst. Gut getroffen. Den andern Tag holten ihn seine bewaffnete Begleiter wieder ab und führten ihn schweigend die schmale Treppe hinab, über den feuchten Hof, eine andere Treppe hinauf durch lange Gänge in eine große Halle zum Verhör, und statt der lieblichen Frauen und Jungfrauen erblickte er zwölf Männer in langen schwarzen Mänteln sitzend in einem halben Kreis, und der oberste von ihnen, nannte ihn mit Namen und Geschlecht und sagte: „Ihr seid vor diesem heimlichen Gericht angeklagt auf Leben und auf Tod, als ein gefährlicher Verführer der Jugend und der Unschuld, als boshafter Verleumder der weiblichen Ehre und Tugend. Verantwortet Euch, oder nicht, Ihr seid gerichtet." Dagegen machte der angstvolle Mensch zwar vielerlei Einwendungen, er wolle wissen vor wem er stehe, niemand habe über seinen Lebenswandel zu richten, er habe getan, was viele andere auch, das sei nicht dem also und eines, Leichtsinn der Jugend sei kein Verbrechen zum Tode. Allein der Richter sagte: „Wißt Ihr wo Ihr steht, und wer über Euer Leben zu sprechen hat, das heimliche Gericht, das im Namen der ewigen Gerechtigkeit versammelt ist, und schon andern Leuten als Ihr seid, das Urteil gesprochen hat von Rechts wegen", und ließ ihm sein langes Sündenregister vorlesen und sagte: „Euere Taten richten Euere Worte", und mit diesen Worten wurde er in sein Gefängnis zurückgeführt, und bis zur Nacht seiner Besinnung, seinem Gewissen und seiner Reue überlassen. Aber in der Nacht wurde er wieder vor das nämliche Gericht gebracht, und da mußte er an der Türe niederknieen und der Richter sprach: „Der Stab ist gebrochen über Euer Leben und über Euere Sünden", und kündete ihm an, daß er eine Stunde nach Mitternacht durch des Henkers Beil enthauptet und vom Leben zum Tod sollte gebracht werden; da war es ihm als ob der Himmel voll Gewitter über ihm herabfallen, und die Erde unter ihm versinken wollte, aber alles Flehen, alle Tränen und Verwünschungen seiner angstvollen Seele, gingen an taube Ohren und an kalte Herzen. Er wurde über den Hof, wo er seitwärts im Fackelschein schon sein Totengerüste erblickte in eine schwach erleuchtete Kapelle geführt, beichtete dort einem Priester, und empfing von ihm die Vorbereitung zum Tode und das letzte Sakrament, und neben der Türe stand sein Sarg. Als aber die Glocke ein Uhr in die schauerliche Nacht schlug, da wurde der Sarg erhoben und an das Totengerüste getragen, und er mußte hinter seinem Sarg her und daran vorbeigehen und hörte kaum mehr die Worte und den Segen des betenden Priesters und seine einsinkenden Knie brachten ihn kaum auf das Blutgerüste. Aber als er mit verbundenen Augen und entblößtem Hals den Kopf auf den Block gelegt hatte, und den Todesstreich erwartete, rief eine barmherzige Stimme: „Gnade!" Der geneigte Leser atmet wieder. Aber der arme Sünder war so weit hinweg, daß er das Wort Gnade vor dem Todesstreich nicht mehr unterscheiden konnte, sondern er glaubte, dieses Wort habe seinen Kopf vom Leibe getrennt, und es sei jetzt seine Schuldigkeit tot zu sein. Denn er fiel in eine so schwere und tiefe Ohnmacht, daß er in der ersten Stunde nicht wußte, was mit ihm vorging.
Als er aber nach einer Stunde wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, es muß einem sonderbarlich zu Gemüt sein, wenn das letzte, dessen man sich besinnen kann, so viel ist, man sei vor einer Stunde geköpft worden, und weiß selber nicht anderst, als man sei tot, und lebt doch, - als aber wie gesagt, unser Malefikant die Augen aufschlug, - erstaunte er noch mehr, denn er befand sich jetzt in einem gar artigen Stüblein, auf einem weichen guten Bett. Zwei Ärzte saßen neben ihm und fragten ihn, wie ihm sei? Man ließ ihm zur Ader, man gab ihm mit Vorsicht stärkende Mittel, er sank in einen süßen erquickenden Schlaf, und als er nach einigen Stunden aufwachte, war er völlig wiederhergestellt, und fühlte keine andere Schwachheit mehr, als einen leeren Magen. Man führte ihn zu einer wohlbereiteten schmackhaften Mahlzeit, und ein paar vermummte Bedienten warteten ihm auf, wie er es nach seinem Stand und nach seiner Herkunft gewohnt war. Nach der Mahlzeit kam der Gerichtsschreiber, und las ihm sein zweites Urteil vor, gab's ihm auch schriftlich mit: „Der geheime Gerichtshof laßt Euch zum letztenmal Begnadigung widerfahren, und hofft er werde an Euerem künftigen Lebenswandel keine Ursache mehr finden, Euch vor seine Schranken zu laden." Siehe zu! Sündige hinfort nicht mehr, auf daß dir nicht etwas Ärgeres widerfahre. Als es endlich wieder Nacht geworden war, fuhr sein Kaleschlein wieder vor. Die nämlichen Begleiter führten ihn auf die nämliche Art, auf dem nämlichen Weg in die Stadt zurück, auf welchem sie ihn geholt hatten, und als sie ihm früh um 2 Uhr die Binde von den Augen nahmen, befand er sich auf dem nämlichen Platz, von welchem er die dritte Nacht vorher war weggeführt worden, wie zu seiner Zeit der Scharfrichter von Landau.
Solche Buße mußte der ausschweifende junge Mann für seine Sünden ausstehen. Aber wie hat der sich gebessert? Von Stund an lebte er so, daß in wenig Jahren sein eigenes Vermögen wieder in gutem Stande war, und nach und nach alle seine Schulden bezahlt werden konnten. Keine Unschuld war mehr durch seine Gelüsten, keine weibliche Ehre durch seine Verleumdung in Gefahr. Alle Sonntage ging er in die Messe, nicht mehr um schöne Mägdlein auszusuchen, sondern seine Sünden zu versöhnen und schöne Gesinnungen in sein Herz zu pflanzen.

 
 
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