Das Blendwerk
(1819)
Manche Leute, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen, noch
weniger nachmachen können, so sagen sie kurz und gut, das ist ein
Blendwerk. Nämlich daß man etwas zu sehen glaube, wo nichts ist, oder
daß man die Sache anders sehe als sie wirklich ist.
Daß es aber viel Blendwerk gibt, das unterliegt keinem Zweifel. Z. B.
wenn jemand im Mondschein auf der Straße ist und sieht an einer Mauer,
oder im Nebel seinen Schatten aufrecht, daß er meint es sei ein
ungebetener Kamerad der mit ihm geht, einer von der schwarzen Legion.
Item, wenn jemand einen falschen Freund, für einen guten Freund hält,
und trotz aller "Warnung dem Spitzbuben traut, bis er zuletzt um Hab und
Gut betrogen ist, und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Das ist
ein großes Blendwerk.
Item, wenn jemand meint etwas sei ein Blendwerk, und ist doch keins.
In einem namhaften Ort am Rheinstrom kam ein Gaukler an, ein
Tausendkünstler, und bekam die Erlaubnis auf einer alten Heubühne die
schon lange nicht mehr war gebraucht worden, seine Künste zu zeigen, und
zwar gleich zum letztenmal. Fast die ganze Gemeinde versammelte sich,
und es war der Mühe wert.
Dem Vernehmen nach, - der Hausfreund war nicht dabei - brachte der
Tausendkünstler zuerst zwei schwarze Katzen hervor, die hörten einander
das große Einmaleins ab, und rechneten verschiedene Exempel aus der
verkehrten Regeldetri.
Nach dem schlupfte er durch einen metallenen Fingerring hindurch, und
kam auf der andern Seite lebendig und ebenso dick wieder an, als er
vorher war. Etwas an der Sache scheint übertrieben zu sein. Hierauf sagte
er, das sei aber noch alles nichts. Jetzt wolle er sich mit einem
scharfen Schrotmesser den Bauch aufschneiden. Hernach wolle er ganz in
den Bauch hineinschlupfen, daß man gar nichts mehr von ihm sehe. Hernach
wolle er sich wieder aus sich selber
herauswickeln, daß er wieder sichtbar werde. Ehe
er aber das große Wagestück beginnen konnte, fing die Bühne an zu
knacken. Es kracht links, es kracht rechts. Knack, stürzte der morsche
Boden zusammen, und die ganze Zuschauerschaft wäre in dem untern Raume
zusammengestürzt, wenn nicht noch einer sich an einem schwebenden Balken
erhalten hätte. Die andern lagen alle unten. Da entstand nun ein großes
vierstimmiges Not- und Zettergeschrei von Männern, Weibern, Kindern und
Säuglingen. Es ist gar klug, wenn man kleine Kinder zu so etwas mitträgt.
Sie sehen alles gar gut, und wenn's an Musik fehlt, so können sie
machen. Alles schrie: „O mein Kopf! o mein Arm, o meine Rippen", so daß
der oben auf dem Balken genug zu trösten und zu ermahnen hatte. „Habt
doch nur Geduld", sagte er, „und seid verständig! Man muß sich ja
schämen vor dem fremden Mann. Merkt ihr denn nicht, daß es nur
Blendwerk ist. Euch Leuten", sagte er, „ist keine Ehre anzutun."
Denn er hielt das Unglück für ein Blendwerk vom Künstler, und meinte
unversehens würden wieder alle an ihren Plätzen sitzen.
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