Brotlose Kunst (1808)
In der Stadt Aachen ist eine Fabrike, in welcher
nichts als Nähnadeln gemacht werden. Das ist keine brotlose Kunst. Denn
es werden in jeder Woche zweihundert Pfund Nadeln verfertigt, von denen
5000 Stück auf ein Pfund gehen, Facit: Eine Million, und der Meister
Schneider und die Näherin und jede Hausmutter weiß wohl, wieviel man für
einen Kreuzer bekommt, und es ist nicht schwer, auszurechnen, wieviel
Geld an den Aachner Nadeln in der Fabrike selbst und durch den Handel
jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und
die meisten Arbeiter sind Kinder von 8 - 10 Jahren.
Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten, und wunderte sich, daß es
möglich sei, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feineren
Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast
unsichtbare Faden kann gezogen werden.
Aber ein Mägdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf
ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln eine
Öffnung dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um, und zog es
durch die Öffnung zu einer artigen Schleife.
Das war so brotlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses
künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür ein
artiges Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen sein.
Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleißigen Kinde wohl zu
gönnen.
Aber während ehrliche Eltern und Kinder allerorten etwas Nützliches
arbeiten und ihr Brot mit Ehren verdienen, und mit gutem Gewissen essen,
zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in der Kunst
geübt hatte, in einer ziemlich großen Entfernung durch ein Nadelöhr
kleine Linsen zu werfen. Das war eine brotlose Kunst. Doch lief es auch
nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz unter anderm nach Rom kam,
ließ er sich auch vor dem Papst sehen, der sonst ein großer Freund von
seltsamen Künsten war, hoffte ein hübsches Stück Geld von ihm zu
bekommen, und machte schon ein paar wunderliche Augen, als der
Schatzmeister des Heiligen Vaters mit einem Säcklein auf ihn zuging, und
bückte sich entsetzlich tief, als ihm der Schatzmeister das ganze
Säcklein anbot.
Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise Papst,
zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleißes, übermachen ließ, damit er
sich seiner Kunst noch ferner üben und immer größere Fortschritte darin
machen könnte.
|